London – Die britische Premierministerin Theresa May eckt wegen des von ihr ausgehandelten EU-Ausstiegsvertrags daheim und in Europa zunehmend an. Die nordirische DUP, die Mays konservative Minderheitsregierung toleriert, verweigerte ihr in der Frage am Dienstag immer noch die Gefolgschaft. Zudem droht Spanien wegen eines Streits um das britische Gibraltar mit einer Blockade des Brexit-Deals.

Gleichzeitig ergreift May inmitten des parteiinternen Schlagabtauschs um ihren Brexit-Kurs die Initiative und kündigte für Mittwoch eine Reise nach Brüssel an, um EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu treffen. Am Donnerstag wollte sie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dessen Regierung derzeit den EU-Ratsvorsitz führt, in London empfangen. Der Countdown läuft: Am Sonntag treffen sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel, um den Ausstiegsvertrag abzusegnen.

"Geduld ist eine Tugend, Tugend ist eine Zier"

May kämpft seit Ende voriger Woche um ihr politisches Überleben. Das von ihr ausgehandelte Abkommen, das das Ende der 45-jährigen EU-Mitgliedschaft im März 2019 regeln soll, fand zwar die Zustimmung ihres Kabinetts. Doch traten danach aus Protest reihenweise Minister zurück. Gleichzeitig sammeln sich Gegner ihres Brexit-Kurses bei den Tories, um sie zu stürzen. Die dafür notwendigen 48 Angeordneten aus dem Unterhaus sind aber bisher nicht zusammengekommen. "Geduld ist eine Tugend, Tugend ist eine Zier", sagte der Wortführer der Anti-May-Rebellen, Jacob Rees-Mogg, am Dienstag.

May konnte dem innenpolitischen Sturm bisher trotzden. Ihr Hauptargument ist, dass es ohne sie vielleicht ein vollkommen chaotisches EU-Goodbye der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt oder eventuell sogar gar keinen Brexit geben wird.

Neuen Ärger für May gibt es jetzt ausnahmsweise nicht zu Hause, sondern aus Spanien. Ministerpräsident Pedro Sanchez will gegen den Vertragsentwurf stimmen, falls es keine Änderungen am Umgang mit der britischen Halbinsel Gibraltar in Südspanien geben sollte. Madrid erhebt seit langem Ansprüche auf Gibraltar und will nun, dass die Verhandlungen über die Beziehungen nach dem Brexit mit London nicht von Brüssel, sondern von Spanien geführt werden. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte am Dienstag, dass sich die Brüsseler Behörde der spanischen Bedenken bewusst sei. Die Verhandlungen seien aber noch im Gange, eine Absegnung des Abkommens bei einem EU-Sondergipfel am Sonntag weiterhin geplant.

Keine Mehrheit im Parlament

Die DUP, die bisher May zu einer Mehrheit im Unterhaus verholfen hat, legte sich indes auf ein Nein zum Brexit-Abkommen fest. Der Abgeordnete Sammy Wilson sagte zur Begründung, Nordirland würde auf Grundlage des Abkommens auf lange Sicht vom Vereinigten Königreich abgespalten. Die Bemühungen der DUP seien darauf gerichtet, das Abkommen zu verhindern und ein Umdenken zu erzwingen.

Größter Stolperstein für Mays Brexit-Plan ist die notwendige Zustimmung im britischen Parlament, wo ihre konservative Partei keine eigene Mehrheit hat. Das Votum findet im Dezember statt, ist aber noch nicht genau terminiert. Danach muss auch das EU-Parlament grünes Licht geben.

Die britische Notenbank hat sich hinter den von der Regierung mit der EU ausgehandelten Brexit-Entwurf gestellt. Laut Zentralbankchef Mark Carney würde ein Abkommen mit einer Übergangslösung der Wirtschaft helfen und den EU-Austritt erleichtern. Die Notenbank habe von Anfang an die Wichtigkeit einer solchen Übergangsvereinbarung betont, sagte er vor einem Parlamentsausschuss. Im Kabinett von May und in Teilen des Parlaments gilt jedoch genau diese Übergangszeit als Stein des Anstoßes. Die Gegner stören sich vor allem an Regelungen zur künftigen EU-Außengrenze in Nordirland, da sie die Preisgabe von Souveränitätsrechten wittern.

Größter Streitpunkt in den Brexit-Verhandlungen war und ist die Frage der irischen Grenze. Die EU und Irland wollen eine neue Grenze zu dem lange Zeit von politischer Gewalt erschütterten Nordirland auf keinen Fall zulassen. Dazu soll es eine umstrittene Notfallklausel (Backstop) geben, die greift, wenn andere Lösungen versagen. Darüber soll Mitte 2020 entschieden werden. Entscheidend ist dabei der noch ausstehende neue Handelsvertrag zwischen Brüssel und London. (APA, 20.11.2018)