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Burlesque-Star Dita Von Teese führt selbstverständlich auch in Wien ihre bekannteste Nummer vor: die Sache mit dem Schampusglas.

Foto: AP/Steinberg

Wien – Eine alte und sehr wahre Weisheit aus dem Showbusiness geht so: Beginne mit dem Höhepunkt und steigere dich dann konsequent. Wie vor allem Männer ab einem gewissen Lebensalter gelernt haben sollten, existiert allerdings aus guten Gründen wie etwa Rücksicht, Höflichkeit, Zivilisiertheit, Liebe abseits des Fortpflanzungsgedankens, guter alter Geilheit und durchaus auch im Sinne einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung so etwas Ähnliches wie ein Vorspiel. Da kann jetzt niemand ernsthaft etwas dagegenhaben: Vorspiel ist super. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Nachdem uns ein im Burlesque-Genre heutzutage offenbar obligater, nachhaltig homosexueller und auf jeden Fall anzüglicher Moderator in der Wiener Stadthalle ein wenig aufgeheitert und aufgegamselt hatte, begann die Auskleidungsshow des neben der ikonographischen Pin-up-Übermutter Bettie Page größten Burlesque-Stars aller Zeiten gleich mit einem Paukenschlag. Dita Von Teese kam ziemlich glitzernd und hochhackig angezogen auf die Bühne.

Dort wurde ihr im Rampenlicht sehr schnell heiß, Überraschung! Deshalb musste sie sich allerdings ziemlich langwierig ausziehen und schließlich zur Abkühlung in ein überdimensioniertes Champagner-, Martini-, Damenspitz-Glas steigen. Mit dem aus einer riesigen Erdbeere gequetschten Theater-Sprühwein erfrischte sie dort auch ihren mit neckischen Brust-Pasties verhüllten Busen. Der Anblick unverklebter nackter Brustwarzen, liebe Kinder, das müsst ihr wissen, ist für uns alte Leute ungefähr so wie heutzutage im Porno gezeigte Achsel- oder Schamhaare. Ekelig, verkommen, sündig. Das geht also gar nicht.

Dienst nach Vorschrift

Der 46-jährige US-Star Dita Von Teese, der dafür berühmt ist, berühmt zu sein, absolvierte diese Übung mit dem Bad vor der Menge also durchaus routiniert. Immerhin wird dieser Showteil von ihr seit gut 20 Jahren performt. An der eingefrorenen, huldvoll lächelnden Diven-Miene, einem gewissen Widerwillen gegen fließende Bewegungen und rhythmisches Einfühlungsvermögen in Sachen Big-Band-Musik der 1950er-Jahre sowie der Tücke des Objekts bezüglich Korsetthaken, Miederschnüren und Strümpfen ändert das alles nichts. Als sich Dita Von Teese nach langen Minuten der von uns empathisch ertragenen Ereignislosigkeit endlich in der Schampuswanne räkelte, waren wir sozusagen schon im inneren Exil mit absolut keinem irgendwie kribbelnden Bauchgefühl zu interessanten neuen Erkenntnissen gelangt:

Wenn Erotik tatsächlich und hauptsächlich im Kopf und dann erst in der Hose stattfindet, ist eine im gestelzten Schritt des Stummfilmzeitalters, mit pathetischen Gesten zusätzlich aufgeladene und also umgekehrt praktizierte Barbiepuppen-Anziehshow im 21. Jahrhundert vielleicht nicht mehr das Mass aller Dinge. In der Generation der nackten Fakten wirkt das schlicht aus der Zeit gefallen.

Viel Luft nach oben

Die auch in Wien während der letzten Jahre gern und ausführlich praktizierte Form der Burlesque-Show, weibliche Selbstermächtigung, der schlichte, sehr gern auch derbe Spaß an der selbstverständlich auch sexuell aufgeladenen Freude und auch die Feier einer natürlichen, um Gottes Willen nicht perfekten, weil mitten im Leben stehenden Körperlichkeit wird bei Dita Von Teese antiseptisch und anämisch interpretiert. Da ist nix mit Geilheit und Fun, Fun, Fun. Dienst nach Vorschrift! Auch diverse Kolleginnen Dita Von Teeses konnten daran nichts ändern.

Die Heldin des Abends erschien übrigens nur viermal auf der Bühne, unter anderem mit einer dem Schlaf der Vernunft erheblich zuarbeitenden Playback-Gesangsnummer namens "Lazy", während der sich unser Star mit zwei definitiv nicht verheirateten Männern in Untergatten im großteils angezogenen Zustand auf einer Chaiselongue räkelte. Ein ehemaliges "Playboy"-Model, die zünftig gachblonde Texanerin Gia Genevieve, brachte uns zum Beispiel in einer goldenen Badewanne mit Duschkopf im Schritt ("Pussy splash!") die Eröffnungsnummer ihrer Chefin in Erinnerung. Eine andere Frau tanzte in Memoriam Josephine Baker den Bananenrock-Tanz. Eine dritte räkelte sich in einem mannshohen Neonherz bis zur mit viel Luft nach oben angefüllten Sinnlosigkeit.

Jeder einzelne Mensch im Publikum (okay, weitgehend die meisten) strahlte mehr Sinnlichkeit und Sexyness und Leben aus, als es auf der Bühne geboten werden konnte oder wollte. Freuen wir uns auf die Weihnachtsfeier in der Firma, auf die "Sex Bomb" von Tom Jones und auf Right Said Fred. Feiern, dass wir da sind, können wir selber: "Ich bin zu sexy für mein Shirt, zu sexy für mein Shirt. So sexy, dass es schmerzt." (Christian Schachinger, 21.11.2018)