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Auch in China legt man auf einen Mercedes Wert.

Foto: Reuters

Chinas weltgrößter Automarkt schmiert ab. Der Alarm kam nicht von den Unkenrufern der Branche, sondern von einem Regierungsbeamten. Xu Changmin, Vizepräsident des Staatlichen Informationszentrums, warnte Anfang November auf einer Fachkonferenz in Peking, dass der Pkw-Markt in "seine größte Krise seit 1998 schlittert".

Das finanzpolitische Magazin "Caixin" nannte dazu die Zahlen. Erstmals seit Juli brechen die Autoverkäufe ein – und Monat um Monat rascher. Sie fielen nach Angaben des Autoverbands von Jänner bis Oktober auf 18,4 Millionen verkaufte Pkws, 2,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Darunter betrug das Minus im Einzelmonat Oktober 13,2 Prozent. In der Gesamtrubrik "Fahrzeuge" fielen die Verkäufe in den ersten zehn Monaten um 0,1 Prozent auf 22,87 Millionen. Doch darunter brachen sie im Einzelmonat Oktober mit minus 11,7 Prozent ein.

US-Hersteller besonders betroffen

Hauptbetroffene waren mit Ausnahme von Herstellern geförderter NEV- und Elektroautos die Hersteller von chinesischen Klein- und Mittelwagen. Trübsal blasen auch alle US-Hersteller von Ford bis General Motors (GM), deren Verkäufe wegen des Handelsstreits mit den USA und der seit Juli erhöhten US-Einfuhrzölle zweistellig zurückgingen. Pessimistisch äußerte sich Wang Yongqing, Chef des China-Joint-Venture mit GM, auf der Kantoner Automesse. Er sagte "Caixin", dass der Gesamtmarkt 2018 um 3,5 bis 4,6 Prozent fallen werde. Der Automarkt werde auch in den kommenden zwei bis drei Jahren weiter einbrechen.

Nur die deutschen Premiumhersteller Mercedes, Audi und BMW trotzen dem Trend. Die Daimler AG meldete am Mittwoch einen neuen Rekord von fast 551.000 von Jänner bis Oktober verkauften Mercedes-Fahrzeugen, 12,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Ihr folgte die Audi-Gruppe, die nach Angaben der Fachwebseite "Automotive News" fast 538.000 Wagen verkaufte, 14 Prozent mehr. BMW kam auf 516.000 Wagen, sechs Prozent über 2017.

Daimler-Chef optimistisch

Optimistisch äußerte sich Daimlers China-Chef Hubertus Troska. "Wir gehen weiterhin davon aus, dass China wirtschaftlich stabil bleibt. Insofern wird auch weiteres Wachstum im Pkw-Markt möglich sein. Für das Premiumsegment bin ich besonders zuversichtlich", sagte er bei der Markteinführung der neuen Mercedes-Benz A-Klasse L. Das L steht für eine eigens für Chinas Kunden verlängerte Version. Es ist der inzwischen fünfte Mercedes-Benz, den das Pekinger Joint Venture BBAC (Beijing-Benz Automotive) für den heimischen Markt baut. Am Mittwoch feierte BBAC die Herstellung des zweimillionsten lokal produzierten Mercedes seit der Gründung 2005. "Unsere heutigen Verkäufe in China sind höher als in den USA und Deutschland zusammen."

Seit 2015 sei China zum weltgrößten Einzelmarkt für die Stuttgarter geworden, die dort im Premiumbereich vom "ewig dritten" Nachzügler zum Marktführer geworden sind. Das Vertrauen in die Perspektiven des chinesischen Marktes sei bei Daimler so groß, dass "wir weiter stark in unsere lokale Produktion investieren werden". Vergangene Woche kündigte Troska an, in Peking bis 2020 um 145 Millionen Euro ein zweites Forschungs- und Entwicklungszentrum zu errichten, um schneller den Bau seiner Fahrzeuge lokalisieren zu können. Projekte zum Bau von Autobatterien für elektrische Fahrzeuge und ein weiteres Werksgelände stehen ebenfalls auf der Agenda.

Importzölle gesunken

Doch viele Unwägbarkeiten der derzeitigen Wachstumsschwäche in China stellen die Frage, wie lange sich die deutschen Anbieter im boomenden Premiumsegment vom einbrechenden Gesamtautomarkt abkoppeln können. Auch die drohende Eskalation im Handelstreit mit den USA ist dabei eine Unbekannte. Mercedes (ebenso wie BMW) importiert sowohl aus Deutschland als auch den USA Luxuswagen nach China. Beiden kommt derzeit zugute, dass Peking seit dem 1. Juli seine Importzölle auf Wagen, die aus Deutschland kommen, von 25 auf 15 Prozent gesenkt hat. Dagegen hat es als Vergeltungsaktion seine Zölle für Importfahrzeuge aus den USA auf 40 Prozent erhöht. Seither brachen die Verkäufe von GM bis Ford ein.

Troska wollte nicht sagen, wie hoch der USA-Importanteil ist. Daimler lässt etwa den GLI aus den USA einführen. Die AG schützt ihre Interessen in China, indem sie den Anteil ihrer in China hergestellten Fahrzeuge erhöht. Zwei Drittel aller 2017 in China verkauften Mercedes kamen aus heimischer Joint-Venture-Produktion. 2018 wird sich der Anteil auf mehr als 70 Prozent erhöhen, hieß es vom Konzern. Damit aber macht sich Daimler noch stärker vom chinesischen Markt abhängig. Der Konzern verkauft inzwischen fast jedes dritte Auto von Mercedes-Benz in China.

Halbierung der Kaufsteuern

Den Hintergrund für den jüngsten überraschenden Einbruch im Automarkt erklärt Regierungsforscher Xu Changmin so: Aus strukturellen Gründen habe sich Chinas Wirtschaftswachstum am stärksten in seinen Klein- und Mittelstädten abgeschwächt. Diese wurden in den vergangenen Jahren zur Hauptquelle für neue Automobilkäufe. Zudem gerieten chinesische Haushalte durch die steigenden Immobilienpreise unter Druck, Sonderausgaben einzusparen. Dieser Trend sei schwer umzukehren, auch nicht mit weiteren staatlichen Anreizen zum Autoerwerb, wie der derzeit diskutierten Halbierung der Kaufsteuern.

Wer auf sein Auto verzichtet, spart nicht nur Anschaffungskosten. Erstmals errechnete das Hangzhou-Finanzinstitut Wacai in seinem Konsumentenbericht 2018 die durchschnittlichen Jahresausgaben eines Autobesitzers. Sein Wagen kostete ihn demnach 2017 umgerechnet 3.780 Euro. Davon entfielen 48 Prozent auf Benzin, Parkkosten schlugen mit 816 Euro zu Buche, Versicherungen mit 534, Mautgebühren mit 72 und Bußgelder mit 90. Weil alles immer teurer wird, droht nun der Autoboom einzubrechen. (Johnny Erling, 21.11.2018)