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Vizepremier Matteo Salvini spricht von einem "weltweit unerreichten" privaten Vermögen der Italiener. Somit sei man nicht von ausländischen "Spekulanten" abhäng, lautet die Botschaft.

Foto: Reuters / Remo Casilli

Der blaue Brief aus Brüssel ist in Rom eingetroffen. Die Kommission wird ein Defizitverfahren gegen Italien einleiten, gab die Behörde am Mittwoch bekannt. Das hoch verschuldete Land peilt im kommenden Jahr ein Budgetdefizit von 2,4 Prozent an, dreimal so hoch, wie die Vorgängerregierung vorgesehen hatte.

Damit sprengt Rom zwar nicht den Rahmen von drei Prozent, wie er im Stabilitätspakt festgelegt ist, aber bei einer Gesamtverschuldung von rund 130 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt Italien weit jenseits des Rahmens (bis 60 Prozent). Daher müsste Rom laut EU-Regeln eigentlich Schulden abbauen.

Die Kommission bezeichnete Italiens Budget daher als "besonders schwerwiegender Verstoß". Am Ende des Verfahrens könnten sogar Bußgelder von bis zu 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gefordert werden. Bisher hat die EU noch nie eine Geldstrafe verhängt.

Anleihen als Ladenhüter

Wie die Geschichte zeigt, muss sich Italiens Regierung weniger vor einem Defizitverfahren der EU-Kommission fürchten als vor der Reaktion der Finanzmärkte. Am Dienstag erreichte der Risikoaufschlag zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen (Spread) ein neues Zweimonatshoch. Die angepeilte Neuverschuldung wird zunehmend kostspieliger.

Dabei ist die Regierung zunehmend auf die eigenen Bürger angewiesen. Vizepremier Matteo Salvini von der rechten Lega setzt sogar mit Nachdruck auf das Volk. Italien sitze auf einem "weltweit unerreichten privaten Vermögen", sagte er im Oktober. "Ich bin überzeugt, dass die Italiener uns ihre Hand reichen werden." Dazu könnte die Regierung weitere Steueranreize setzten und somit wiederum das Budget belasten.

Zuletzt entpuppten sich die vierjährigen italienischen Schuldscheine (BTP) eher als Ladenhüter. Diese inflationsgesicherten Schatzscheine richten sich speziell an private Investoren im Inland. In den ersten beiden Tagen der Woche wurden nur 722 Millionen Euro gezeichnet, sieben bis neun Milliarden Euro will Rom bis Donnerstag mit der BTP-Emission einbringen.

"Die Nachfrage war geringer als erwartet" bestätigte auch Davide Iacovoni, der für die Staatsschuldverschreibungen zuständiger Direktor im Schatzamt. "Die Italiener vertrauen nicht mehr der Regierung" so Analysten. In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil der Schuldner zugunsten von Inländern deutlich verschoben. Ausländer halten laut jüngsten Schätzungen der Agentur Reuters nur noch rund ein Drittel davon.

Das spricht weniger für Salvinis Pläne, auf die eigene Bevölkerung zu setzten, als auf den ersten Blick zu erwarten wäre. Wie der Brüsseler Thinktank Bruegel schätzt, halten ausländische Investoren rund drei Viertel aller kurzfristigen Schulden. Erst Ende 2019 könnten zwei Drittel des Schuldendienstes an Inländer fließen. Im Jahr 2019 werden rund 120 Milliarden Euro für ausländische Gläubiger fällig. Könnte das vielgepriesene Vermögen der Bürger diese Summe stemmen, sollten sich die Ausländer zurückziehen?

Heil in der Flucht

Innerhalb von sechs Jahren ist das Haushaltsvermögen der Italiener um ein Fünftel geschrumpft. Insgesamt müssten die Bürger aber nur 2,5 Prozent ihres Vermögens aufbringen, um den 2019 im Ausland anfallenden Schuldenberg zu stemmen. Das wäre verkraftbar.

In der Praxis gibt es jedoch einen Haken. Es ist unwahrscheinlich, dass Italiener dies freiwillig tun würden, zumal sie sich bereits jetzt von heimischen Staatspapieren fernhalten. Darum müsste die Regierung auf irgendeine Form von Vermögenssteuer zurückgreifen. Das wäre "politisch toxisch", wie die Experten von Bruegel schreiben.

Außerdem gibt es innerhalb der Eurozone freien Kapitalverkehr. Die reicheren Italiener könnten ihr Vermögen rasch in Sicherheit bringen. Um solidarisch für die Staatsfinanzen in die Bresche zu springen, blieben nur die relativ ärmeren Sparer übrig, die vielleicht nur ein Haus oder ein Sparbuch haben. Ein Rezept für steigende Ungleichheit und Unruhe. (Leopold Stefan, Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand, 21.11.2018)