Zufallsbekanntschaften gehören zu den schönsten Erfahrungen auf Reisen. Für die 1.000. Ausgabe des RONDO ist Reiseredakteur Sascha Aumüller in der Redaktionsstube geblieben und hat sich eine Europa-Karte besorgt. Er suchte zehn Orte, die exakt 1.000 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt liegen. Dort rief er Wildfremde an und ließ sich erzählen, was es bei ihnen zu erleben gibt. Das hier sind die ersten fünf.

Tulcea in Rumänien

Schon die erste Zufallsbekanntschaft in 1.000 Kilometer Entfernung ist für eine Überraschung gut: Ich wähle die rumänische Nummer eines Bootstourenanbieters im Donaudelta, und wer hebt ab? Ein Deutscher. Joachim Meyer ist dran und erzählt munter von seinem Leben: "Vor 15 Jahren habe ich mir einen Kindheitstraum erfüllt und bin von Stuttgart ins Donaudelta ausgewandert. Warum mich die Gegend so fasziniert? Ich bin Ornithologe."

Da hat sich der 60-Jährige, der nun in der Nähe von Tulcea lebt, einiges vorgenommen für die Frühpension: 325 Vogelarten wurden bis dato im Delta gezählt, vermutlich gibt es weitere zu entdecken. Meyer meint: "Was man anderswo in Europa als bedrohte Art kennt, findet man im Mündungsgebiet der Donau im Überfluss. Das Gebiet ist immerhin eineinhalb Mal so groß wie das Burgenland, und 70 Prozent davon bleiben sich selbst überlassen." Genau deshalb organisiert Meyer seit einiger Zeit Bootstouren im Delta, über die er sagt: "Kaum ist man auf dem Wasser und sieht die ersten Pelikane, vergisst man alles um sich herum."

Bootstouren im Donaudelta: www.delta-tours.de

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Korfu in Griechenland

Bietet sich natürlich an: Im Achilleion-Museum auf Korfu anrufen und ein wenig Schmäh führen. "Hallo, ich melde mich aus dem Zentrum des Sisi-Imperiums und möchte wissen: Nervt euch der Kaiserinnenschmarrn an der Peripherie auch so?" Doch in dem Palast, den sich Kaiserin Elisabeth in den Jahren 1890 bis 1892 auf der griechischen Insel bauen ließ, hebt zu keinem Zeitpunkt (Mo bis Fr, 8 bis 19 Uhr, Sa und So, 8 bis 14.30 Uhr geöffnet) jemand ab. Irgendwann meldet sich dann eine Lydia aus Athen.

Sie arbeitet bei der griechischen Verwaltung für öffentliche Gebäude, zu der Sisis Achilles-Tempel mittlerweile gehört. Eine Gebäudeverwalterin als Gesprächspartnerin? Drängt sich in diesem Fall fast auf: Gleich nach dem Tod Sisis schnappte sich der deutsche Kaiser Wilhelm II. den Palast, ehe dieser im Ersten Weltkrieg zum Militärkrankenhaus und im Zweiten zum Hauptquartier der Nazis in diesem Teil Griechenlands wurde. Bis in die 1980er-Jahre beherbergte das Achilleion das Kasino von Korfu – so spannend kann Gebäudeverwaltung sein!

Achilleion-Museum: www.achillion-corfu.gr

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Caccuri in Italien

Pronto! Armando Rizzo taucht innerhalb weniger Sekunden tief in die Geschichte Kalabriens ein. Von orthodoxen Mönchen aus dem Orient erzählt er am Telefon, die in dem Bergdorf Stilo (Foto) eine sagenhaft schöne byzantinische Kirche errichtet haben und in Caccuri im 6. Jahrhundert eine wehrhafte Burg. Von Letzterer kennt Rizzo so ziemlich jedes geschichtliche Detail, ist er doch vor ein paar Jahren mit seiner Frau Chiara dort eingezogen.

Oder besser gesagt in einen von drei Flügeln dieser riesigen Anlage, deren heutiges Aussehen sie im 17. Jahrhundert verliehen bekam. Der Großvater von Chiara war einst der Anwalt jener adeligen Familie aus Neapel, die das Castello di Caccuri zuletzt bewohnte – irgendwann kaufte er ihr einen Flügel ab. Armando und Chiara Rizzo haben daraus ein Hotel mit nur drei Suiten gemacht, das heute gern von US-Amerikanern oder Asiaten besucht wird. "Sie kommen, um Geschichte zu atmen", sagt Rizzo. Die Zimmerpreise verursachen auch unter Europäern keine Atemnot: Man kann dort ab 85 Euro logieren.

Relais Château Caccuri: www.relaischateaucaccuri.it

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Sanary-sur-Mer in Frankreich

"Kommen Sie vorbei, und Sie kriegen einen Plan", antwortet eine freundliche Stimme vom Tourismusbüro in Sanary-sur-Mer auf meine Frage. Die lautete, inwieweit sich ein besonderes Kapitel der Geschichte dieser Kleinstadt an der Côte d'Azur heutigen Besuchern erschließt: Ab 1933 lebten dort 1500 bekannte deutschsprachige Autoren, die vor den Nazis geflüchtet waren. Bertolt Brecht ebenso wie Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Thomas Mann, Joseph Roth, Alma Mahler-Werfel und Stefan Zweig.

Tatsächlich enthält die vom Tourismusbüro empfohlene Broschüre, die unter anderem auf Deutsch erhältlich ist, einen hilfreichen Stadtplan. Mit diesem kann man sich auch ohne Führung auf die Spuren der Exilschriftsteller begeben – etwa im heute noch existierenden Café de la Marine am Yachthafen, in dem sich Joseph Roth regelmäßig mit Schriftstellerkollegen traf, oder in Thomas Manns Wohnhaus, der Villa la Tranquille. Zudem führt ein Rundweg mit 40 Infotafeln durch die "Exilhauptstadt der deutschen Literatur".

Tourismusbüro Sanary-sur-Mer: www.sanary-tourisme.com

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Brügge in Belgien

"Wir zeigen Ihnen, wie Sie perfekte Pralinen hinbekommen, warum Schokolade völlig unterschiedlich schmecken kann und dass die Mayas schon 600 vor Christus Kakao getrunken haben", sagt Daniel Verbeiren. Der stellvertretende Chef von Choco-Story hat vermutlich eines der attraktivsten Büros in Brügge. Das Haus de Croone wurde um 1480 errichtet und war zunächst Weinstube, lange Zeit Küche für Konditoren und Tortenbäcker, zwischenzeitlich auch schon Polizeischule und Arbeitsamt.

Heute beherbergt es eine Art Museum, das sich mit tief empfundener, typisch belgischer Begeisterung dem Thema Schokolade widmet. Aber warum steht das ausgerechnet in Brügge? Die selbsternannte Hauptstadt der Schokolade mit knapp 120.000 Einwohnern verfügt immerhin über rund 50 Chocolatiers, die eine eigene Gilde gebildet haben. Wie der Kakao ab 1527 nach Europa kam, wann in London die erste Schokotafel gepresst wurde und worauf es heute bei guter Schokolade ankommt, erzählt die Choco-Story.

Museum Choco-Story: choco-story-brugge.be

(Sascha Aumüller, RONDO, 22.11.2018)


Hinweis: Dieser Artikel erscheint im Rahmen der 1.000-RONDO-Ausgabe, Teil 2 finden Sie hier!

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