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Theresa May und Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Brüssel.

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Gibraltar könnte ein Symbol für das Zusammenwachsen in der EU sein – nun wird es stattdessen zum Spaltpilz.

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Es war ein weiterer Tag der großen Worte. "Politische Erklärung über den Rahmen einer künftigen Partnerschaft zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich" prangt stolz über dem 26-seitigen Papier, das Brüssel und London am Donnerstag präsentierten. Es klang, als sei in Sachen Brexit alles unter Dach und Fach. Einmal mehr. Und einmal mehr zeigte sich Minuten später, dass weiter vieles doch noch offen ist.

Zur Unklarheit darüber, wie die britische Premierministerin Theresa May den Austrittsentwurf durch das britische Unterhaus bringen will, gesellte sich gegen Mittag ein neues Problem: Spaniens Premier Pedro Sánchez kündigte an, sowohl gegen den Austrittsvertrag als auch gegen die politische Erklärung zu stimmen. Gebe es keine Änderungen, würde Spanien ein Veto einlegen, fügte er am Donnerstagabend via Twitter nach seinem Gespräch mit May hinzu. Er stößt sich daran, dass der Status des britischen Territoriums Gibraltar ungenügend geklärt sei.

Nach Darstellung des Regierungschefs der Enklave Gibraltar zeichnet sich nun jedoch offenbar eine Einigung ab. "Wir haben sehr hart gearbeitet und in der Tat mit den spanischen Kollegen eine Einigung über die Rolle von Gibraltar im Rückzugsprozess erzielt", sagte Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo am Freitag der BBC.

Zeitgewinn ist unpopulär

Doch der Reihe nach: Die am Donnerstag vom EU-Verhandler Michel Barnier präsentierte "politische Erklärung" soll die Übergangsperiode nach dem formellen EU-Austritt der Briten am 29. März 2019 regeln. Diese Anpassungszeit soll mindestens bis Ende 2020 dauern, kann aber auch noch um ein bis zwei Jahre bis Ende 2022 verlängert werden.

Ihr Sinn ist es, den Willen beider Seiten zu dokumentieren, auch in Zukunft eine "tiefe Partnerschaft" zu haben. Sie soll helfen, eine Freihandelszone zu schaffen, in der es keine Zölle und keine Mengenbeschränkungen im Waren- und Dienstleistungsaustausch geben soll. Und sie soll dazu dienen, Zeit zu gewinnen.

Doch genau das ist in Großbritannien höchst umstritten, weil die Brexit-Hardliner eine rasche Trennung und sofortige Handlungsfreiheit ohne EU fordern. Die Übergangszeit nach dem Austritt bedeutet aber, dass für Großbritannien alle EU-Regeln weiterhin gelten. London muss auch ins gemeinsame EU-Budget einzahlen, hat aber kein Stimmrecht mehr.

Von alldem nicht betroffen ist der EU-Austrittsvertrag, auf den man sich bereits vergangene Woche geeinigt hat. Er ist fertig und regelt im Detail, wie die Scheidung vollzogen wird. Wichtig dabei: Die bisherigen EU-Bürgerrechte gelten für insgesamt 4,3 Millionen EU-Bürger – 3,4 Millionen, die in Großbritannien leben, eine Million Briten, die auf dem Festland leben – die auf Basis der Personenfreizügigkeit in einem EU-Gastland leben, weiter – lebenslang.

"Ein blinder Brexit"

Tatsächlich fielen die ersten Reaktionen in Großbritannien äußerst gemischt aus. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sprach von einem "blinden Brexit". Da alle wichtigen Streitpunkte vertagt seien, werde eine Verlängerung der Übergangsphase bis 2022 wahrscheinlicher.

Mays Team geht wegen des Widerspruchs derweil in die PR-Offensive. Loyale Minister sind ausgeschwärmt, um auf dem Umweg über die Medien ihren Brexiteer-Kollegen ins Gewissen zu reden. Diese sollten sich bewusst sein, dass sie mit der Ablehnung von Mays Verhandlungspaket "Chaos verursachen", sagte Finanzminister Philip Hammond auf ITV. Aus der Downing Street erhielten die Vorstände großer Aktienunternehmen eine 37-seitige Erläuterung der vereinbarten Dokumente mit der Bitte um Weitergabe an "Angestellte, Zulieferer und Kunden".

Rechte kritisieren Mays Kompromiss

Von entscheidender Bedeutung für May wird die Reaktion der eigenen Fraktion sein. Die Hysterie auf der Parteirechten ist groß. Das Magazin "Spectator" erscheint an diesem Freitag mit einem Coverbild, auf dem ein Theresa May gehörender Stöckelschuh das Tory-Parteiemblem zertritt.

Da passte ihr schlecht ins Konzept, dass am Donnerstag eine neue Unwägbarkeit hinzukam, die sich freilich schon seit einigen Tagen angekündigt hatte: Der spanische Premier Pedro Sánchez drohte bislang damit, nicht zuzustimmen. Er wollte in einem Trennungspapier deutlich machen, dass das britische Überseegebiet am Felsen von Gibraltar kein integraler Bestandteil des Vereinigten Königreichs sei. Wie die angebliche Einigung zwischen Spanien und Gibraltar aussieht, ist unklar.

Spanien erhebt Anspruch auf das 6,5 Quadratkilometer große Gebiet, das seit dem Friedensschluss von Utrecht 1704 unter britischer Verwaltung steht. "Sollte das Problem nicht gelöst werden, wird Madrid sich gezwungen sehen, gegen das Brexit-Abkommen zu stimmen, weil dies das Wesen unseres Landes und unserer Nation betrifft", erklärte der Sozialist noch am Donnerstag seine Haltung.

Die Drohung mit einem Veto ist aber schwach, der Brexit-Vertrag wird von den Staats- und Regierungschefs notfalls mit qualifizierter Mehrheit entschieden. Im Hintergrund streben jedoch ohnehin alle eine Einigung an.

Madrid will weniger Tabak

Spanien geht es dabei nicht nur um den Gebietsanspruch, sondern auch um Realpolitik. Der niedrige Tabakpreis in Gibraltar führt zu Schmuggel nach Spanien. Zudem geht es um die Rechte der 10.000 Spanier, die als Grenzgänger in Gibraltar arbeiten, und die Steuerpolitik, die dazu führt, dass spanische Firmen ihren Sitz nach Gibraltar verlegen. (Sebastian Borger aus London, Manuel Escher, Thomas Mayer aus Brüssel, Rainer Wandler aus Madrid, 22.11.2018)