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Die Schweizerische Volkspartei will die Landesflagge noch höher ziehen. Sie soll künftig über jener des Völkerrechts wehen.

Foto: Reuters / Stefan Wermuth

Selbstbestimmungsinitiative: Schweizer Recht statt fremde Richter" – wer möchte da schon dagegen sein? Und doch steht die Schweizerische Volkspartei SVP, von der die Initiative ausgeht, einmal mehr allein da. Die Regierung, alle anderen Parteien, Wirtschaftsverbände und Kirchen sowie viele unabhängige Gruppierungen bekämpfen die "Selbstbestimmungsinitiative".

Diese sei ein Wolf im Schafspelz, argumentieren sie, sie könnte den Schutz der Menschenrechte in der Schweiz schwächen und die Beziehungen mit Nachbarstaaten und mit internationalen Organisationen aufs Spiel setzen. So seien auch 600 bilaterale Freihandels- und Investitionsschutzabkommen und sogar die Mitgliedschaft der Schweiz in der Welthandelsorganisation WTO gefährdet, warnt etwa der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.

Notfalls Verträge kündigen

"Die Bundesverfassung steht über dem Völkerrecht und geht ihm vor, unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts", heißt es im Initiativtext. Und weiter: "Bund und Kantone gehen keine völkerrechtlichen Verpflichtungen ein, die der Bundesverfassung widersprechen. Im Fall eines Widerspruchs sorgen sie für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Vorgaben der Bundesverfassung, nötigenfalls durch Kündigung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge."

Die Initianten argumentieren, die Selbstbestimmungsinitiative schaffe Rechtssicherheit. So sagte etwa Roger Köppel, der SVP-Abgeordnete und Verleger der Weltwoche, in einer Fernsehdiskussion: "Internationales Recht kann nicht über die Bundesverfassung gestellt werden." Die Stimmbürger hätten sich für die Masseneinwanderungsinitiative ausgesprochen, "dann muss dies auch gelten, Völkerrecht hin oder her!"

Die Rechtsprofessorin Helen Keller, Schweizer Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, warnt hingegen, bei einem Ja "würde die Schweiz ihre völkerrechtsfreundliche Tradition aufgeben und ernsthafte Konflikte zwischen Landesrecht und Völkerrecht, einschließlich grundlegender Menschenrechtsverträge, in Kauf nehmen". Sie würde "ihren Ruf als zuverlässiger Partner gefährden". In der Tat besagt eine Rückwirkungsklausel im Initiativtext, dass völkerrechtliche Verträge nur noch dann gelten sollen, wenn das Volk seinerzeit vor ihrem Inkrafttreten darüber hätte abstimmen können. Dies legt nahe, dass das Begehren letztlich auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abzielt und eine Kündigung der Menschenrechtskonvention anstrebt.

Gegen "türkische Richter"

"Sollen türkische Richter unser Minarettverbot aushebeln können?", fragt provokativ ein ganzseitiges Inserat auf der Titelseite der meistgelesenen Schweizer Zeitung, des Gratisblatts 20 Minuten. In einem Faktencheck auf ihrer Website wies die Redaktion aber selber darauf hin, dass am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte derzeit gar keine türkischen Richter aktiv sind und dass in jedem Fall, der die Schweiz betrifft, ein Schweizer Richter beteiligt sein muss.

Eine letzte Umfrage der SRG zeigt, dass die Selbstbestimmungsinitiative einen schweren Stand hat und über das SVP-Publikum hinaus kaum Zustimmung findet; 61 Prozent lehnen sie ab.

Knapper könnte es bei einem zweiten Volksbegehren werden, das freilich nicht gerade grundlegend neue Spielregeln der direkten Demokratie anstrebt. Ein Komitee fordert staatliche Zuschüsse für Bauern, die ihren Kühen und Ziegen die Hörner belassen, anstatt sie wie heute üblich zu entfernen. Schließlich stimmen die Schweizer auch darüber ab, ob und wie Bezieher von Sozialversicherungsleistungen durch Detektive observiert werden dürfen. (Klaus Bonanomi aus Bern, 24.11.2018)