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In manch kräftigen Preisnachlässen verbirgt sich eine Mogelpackung. Vielen Händlern geht das Feuerwerk an Rabatten hart an die Substanz.

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Der Trauerzug führt entlang der Mariahilfer Straße bis zum Museumsquartier. Während sich am Freitag tausende Konsumenten in die Rabattschlachten rund um den Black Friday werfen, trägt Roman Kmenta einen Sarg an Wiener Geschäftsauslagen vorbei. Der Unternehmensberater streut bunte Blütenblätter und hält düstere Grabreden. Am Ende wartet der Leichenwagen. Er geleitet die Tugenden Qualität, Wert, Service und Wirtschaftlichkeit symbolisch zur letzten Ruhe.

Kmenta will in einem der belebtesten Einkaufsviertel Österreichs ein Mahnmal setzen. Die wachsende Preisschleuderei bringe weder der Wirtschaft noch der Gesellschaft etwas, klagt er. "Denn die Leute kaufen Zeug, das sie nicht brauchen. Und Händler können sich die immer größeren Rabatte nicht mehr leisten. Arbeitsplätze gehen verloren."

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Ende November ruft der Handel stationär wie online weltweit zur kollektiven Schnäppchenjagd. Ziel ist es, sich mit aggressiven Aktionen einiger Ladenhüter zu entledigen, um Platz für Weihnachtsware zu schaffen. Und es ist der Versuch, Einkäufe vom traditionell lukrativen Dezember in den Vormonat zu ziehen.

Abwärtsspirale

Knapp zehn Milliarden Euro sollen der Black Friday und sein jüngerer Bruder Cyber Monday in den USA bereits jährlich einspielen. In Österreich schätzt der Handelsverband die Umsätze rund um die beiden von der Marketingindustrie getriebenen Tage auf bis zu 230 Millionen Euro. In den Jubel über stetig neue Rekordgeschäfte mischen sich aber zusehends herbe Misstöne. Von Wertevernichtung ist die Rede, von einer Abwärtsspirale, der sich kein Händler entziehen kann. Und von leicht verführbaren Konsumenten, die weit über ihre Bedürfnisse und Verhältnisse einkaufen.

Über die Wurzeln des Black Friday in den USA, der 2007 erstmals in Deutschland kopiert wurde, sind sich die Geschichtsschreiber uneinig. Völliger Unsinn sei, dass dieser Tag die Schwelle der Händler hin zu schwarzen Zahlen markierte, sagt Peter Schnedlitz. Für realistischer hält es der Handelsexperte an der Wiener Wirtschaftsuni, dass schwarz gekleidete Amerikaner 1929 nach dem großen Börsencrash um ihr letztes Geld einkauften, ehe es an Wert verlor.

Aus den USA importiert, machen die Aktionstage Ende November seit Jahren auch in Österreich Schule.

Heute sei der Schwarze Freitag der Versuch, Kunden zu mobilisieren. "Für den Handel bleibt er aber ein Nullsummenspiel." Schnedlitz vergleicht Preisnachlässe mit einer Droge, deren Dosis ständig erhöht werden müsse. "Sie macht Unternehmen kurzfristig high und langfristig krank." In einer Studie wies er erst jüngst nach, dass Konsumenten Aktionspreise, die vier Wochen lang währen, als Normalpreise wahrnehmen.

Waschmaschine statt Punsch

An sich ist anlassbezogenes Kaufen ja nichts Neues, sagt Schnedlitz und erinnert an die verbilligten Küchengeräte vor dem Muttertag in den 60er-Jahren. Mittlerweile kämpfe der Handel gegen Rivalen aus

Gastronomie und Tourismus. Der Antrieb für den Black Friday: "Weniger Punsch auf Weihnachtsmärkten trinken, seltener Urlaub auf Mallorca machen, dafür mehr Waschmaschinen kaufen."

Die enormen Rabatte hält Schnedlitz freilich vielfach für eine Mogelpackung. "Heißt minus 90 Prozent, dass zuvor gut 1.000 Prozent aufgeschlagen wurden?" Ernste Zweifel hegt er auch an den prognostizierten Umsätzen. 297 Euro werden die Österreicher heuer im Schnitt pro Kopf zwischen Freitag und Montag ausgeben, erhob der Handelsverband. Umfragen wie diese hätten aufpeitschenden Charakter, verletzten aber alle Prinzipien seriöser Marktforschung, ärgert sich Schnedlitz. "Die meisten Leute wissen ja nicht einmal nach Weihnachten, was sie für Geschenke ausgeben."

Glück im Schnäppchen

Harald Gutschi, Chef des Versandriesen Otto in Österreich, erwartet für seinen Konzern jedenfalls das stärkste Wochenende des Jahres. "Man kann ihn lieben oder nicht, Faktum ist, dass der Black Friday gigantische Zuwächse bringt." Im Vorjahr verbuchte sein Unternehmen ein Plus von 185 Prozent im Vergleich zum vierten Novemberwochenende 2016.

Wobei sich der Boom rasch relativiert. Denn in Summe kaufen Kunden dadurch übers Jahr verteilt nicht mehr. Im Grunde besitze jeder mehr als genug, der Ersatzbedarf sei gering, sagt Gutschi. Inszenierte Tage wie diese weckten allerdings den Jäger und Sammler im Menschen – "ein Relikt aus einer archaischen Zeit". Konsumenten werde vermittelt, sie versäumten etwas im Leben, nähmen sie am Ereignis nicht teil. Ganz abgesehen davon, dass "Schnäppchen glücklich machen. Es ist, als ob man ein Tier erlegt hat und weiß, damit über den Winter zu kommen."

Onlinehändler werben zwar mit dem schwarzen Freitag, die meisten Umsätze erzielen sie aber sonntags.

Die Gefahr, dass Kunden mit unseriösen Rabatten hinters Licht geführt werden, schätzt Gutschi als gering ein. Natürlich gebe es schwarze Schafe unter den Händlern. Das Internet mache den Preisvergleich jedoch leicht: Kein Unternehmer wolle durch einen Shitstorm gut vernetzter Konsumenten sein Gesicht verlieren.

Kommt durch das Feuerwerk an Rabatten das Gefühl abhanden, was Produkte tatsächlich wert sind? Gutschi stimmt dem zu. "Acht Euro für eine Jeans etwa als Lockartikel ist kein normaler Preis. Dafür müssen bei ihrer Herstellung sämtliche Regeln der Fairness und Nachhaltigkeit missachtet werden."

Anders als Schnedlitz bezweifelt Gutschi, dass Händler das Rabattspektakel so einfach verlassen können: Das Risiko, Geschäft an Konkurrenten zu verlieren, sei schlicht zu groß. Der Überhang an Ware ist online wie stationär enorm. Die Differenzierung erfolgt primär über den Preis, auch wenn dies zulasten der Roherträge geht. Der einzige Ausweg aus der Spirale führt aus Gutschis Sicht über einzigartige Produkte, die Begehrlichkeiten wecken, und stärkere Kundenbindung.

Anfällig für Propaganda

Hans Grohs, ehemals Schuldnerberater, nunmehr Wissensvermittler im Financial Life Park der Erste Group, sieht bei seinen Gesprächen mit Schulklassen noch einen weiten Weg hin zu mündigen Konsumenten. Die vom Handel eingeläuteten Einkaufsfeiertage werden stetig mehr. Grohs plädiert daher für mehr Finanzbildung schon in jungen Jahren. "Jugendliche müssen lernen, in welchem Wirtschaftssystem sie leben – und welche Rolle sie darin spielen."

Anfällig für Propaganda seien Menschen immer gewesen, sagt Grohs. Heute diene Stimmungsmache vor allem der Stimulierung des Konsums – um Wirtschaftswachstum voranzutreiben. "Viele erliegen der Verlockung, ihren Wert im Leben über Konsum zu definieren."

Auch Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts, kann die Euphorie für Events wie den Black Friday nicht teilen. Fünf bis acht Prozent der Österreicher sind stark kaufsuchtgefährdet, Tendenz steigend, sagt der Psychiater – das sei erheblich. Er erzählt von Kontrollverlust, vom Drang, trotz stark wachsender Schulden immer mehr zu kaufen, von körperlichen Entzugssymptonen und von der Scham, sich die Sucht einzugestehen. Die meisten begeben sich erst sehr spät in Behandlung, wenn die Schulden überhand nehmen und Familienkrisen eskalierten.

Kaufhaus in der Hosentasche

Musalek lässt nicht zu, dass sich der Handel aus der Verantwortung stiehlt. Schließlich müsse sich ja auch die Autoindustrie Themen wie der Umweltverschmutzung stellen und die Glücksspielindustrie präventive Maßnahmen setzen. "Die Österreicher neigen gern zur Bagatellisierung. Es braucht hier in der gesamten Gesellschaft einen kritischeren Zugang." Unbestritten sei: Je stärker Ware beworben werde und je leichter sie verfügbar sei, desto größer sei das Risiko, dass Einkaufen zur Sucht werde. "Mit dem Handy hat man ein Kaufhaus ja praktisch in der Hosentasche." (Verena Kainrath, 22.11.2018)