"Las Vegas ist eine der kommunikativsten Städte, die ich kenne, weil sie sich ihrem Betrachter inhaltlich mitteilt. Die Schriften, Schilder und Leucht- reklamen sind ein wichtiges Verbindungsmittel zwischen Mensch und Architektur."

Foto: Denise Scott Brown

"Oh yes! Keep your eyes fresh and horrify yourself!" Denise Scott Brown in Las Vegas.

Foto: Robert Venturi

"Ob ich diese Stadt schön finde? Natürlich finde ich sie schön! Und wie ich sie schön finde!" Denise Scott Brown, weiße Haare, weiße Brille, eine kleine Ente als Brosche, die sich in ihrer Wollweste versteckt hat, sitzt in ihrem Büro in Philadelphia und erinnert sich an die 1960er und 1970er, als sie sich mit ihrem Mann Robert Venturi und ihren Studierenden der Yale University nach Las Vegas aufmachte, um die damals wie heute vielleicht eigenartigste Stadt der Welt zu studieren.

"Las Vegas ist eine der kommunikativsten Städte, die ich kenne, weil sie sich ihrem Betrachter inhaltlich mitteilt", sagt Scott Brown. "In Europa, wo die Stadt zwischen alten Stadtmauern und auf den Fundamenten der Vergangenheit errichtet wird und stets in einen Kontext eingebettet ist, braucht es das nicht. Aber in der Neuen Welt sind die Schriften, Schilder und Leuchtreklamen ein wichtiges Verbindungsmittel zwischen Mensch und Architektur. Man hasst sie, oder man liebt sie. Ich aber liebe sie."

So sehr sogar, dass sie ihrer Faszination für die Kasinometropole 1972 das (wie sich herausstellen sollte) millionenfach zitierte Buch Learning from Las Vegas widmete. "Man kann von jeder Stadt etwas lernen", meint Scott Brown, "von den guten und den schlechten, von den schönen und den hässlichen, von den vertrauten und den befremdlichen. Und wenn man offen, interessiert und unvoreingenommen hinschaut, dann wird man auch im Hässlichen etwas Schönes finden. Oh yes! Keep your eyes fresh and horrify yourself! That makes life more joyful!"

"Großmutter der Architektur"

Der heute 87-jährigen Liebhaberin des positiv genießerischen Schocks widmet das Architekturzentrum Wien (AzW) in seiner großen Ziegelhalle die weltweit erste umfassende Personale. Downtown Denise Scott Brown, so der Titel der Ausstellung, wirft einen sehr genauen und auch ziemlich humorigen Blick auf das architektonische, stadtplanerische und theoretische Schaffen jener Frau, die sich selbst als "Großmutter der Architektur" bezeichnet und die der Zeitleiste der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts einen ordentlichen Knick verpasste.

Manche behaupten sogar, sie und ihr erst im September verstorbener Partner Robert Venturi, mit dem sie 50 Jahre lang ein Architekturbüro leitete, hätten die Postmoderne aus der Taufe gehoben. Ein lächelnder Seufzer. "Da kommt er wieder, der Postmoderne-Eintopf! Ich bin eine durchaus postmoderne Frau, was die Literatur, Soziologie und Philosophie der 1960er-Jahre betrifft. Aber in Bezug auf die Architektur würde ich bestenfalls sagen, dass es mit der Postmoderne zwar Berührungspunkte gegeben hat, aber Postmodernisten ... Nein, das waren wir nie!"

Die Ausstellung im AzW vermittelt anderes. Während in der Mitte des Raumes ein stilisierter Stadtbrunnen steht, der sich in Anlehnung an Learning from Las Vegas gleich selbst zum Denkmal erklärt (I am a monument), ist die rundherum aufgebaute Indoor-Piazza an den Seiten von zitierten Wiener Geschäftsportalen gesäumt. Jedes Portal – ob nun Buchhandlung, Kaffeehaus oder Ein-Euro-Shop – vermittelt nicht nur sich selbst, sondern auch die in der Auslage passend zusammengeballte Architektur- und Stadtplanungsphilosophie.

Wien, Las Vegas, Philadelphia

So wie sich die Postmoderne an der Architekturgeschichte bediente, so arbeitet man sich in Downtown Denise durch Versatzstücke aus Wien, Las Vegas, Philadelphia. Zu lesen gibt es eine Menge. Lustiges, Wissenschaftliches, Architekturgeschichtliches. Es grenzt an kuratorischen und archivarischen Wahnsinn, dass es sich bei den in der gesamten Ausstellung zu lesenden Texten (inklusive der auf den Tischen liegenden Zeitungen) um eine aus vielen Jahrzehnten zusammengetragene Collage aus O-Ton-Fragmenten der hier porträtierten Architektin handelt.

"Denise Scott Brown lehrt uns, in der Architektur und Stadtplanung niemals Tabula rasa zu machen, sondern immer auf das Vorhandene zurückzugreifen und damit zu arbeiten, was schon da ist", erklärt AzW-Direktorin Angelika Fitz, die die Ausstellung gemeinsam mit Katharina Ritter und Scott Browns engstem Mitarbeiter Jeremy Tenenbaum kuratiert hat. "Sie ermutigt uns, die Stadt als einen oft hässlichen, komplexen und konfliktbeladenen Ort zu akzeptieren und all das in die Planung miteinzubeziehen."

Viele zeitgenössische Stadtplanungskonzepte wie Partizipation, Placemaking und sanfte Stadterneuerung basieren auf dieser vor Jahrzehnten vorweggenommenen Doktrin. Auch die Kultur des kollektiven Planens, das lieber auf die Qualität des Heterogenen als auf den Nimbus des Heroischen setzt, lässt sich auf die frühe Denkschule Scott Browns zurückführen. "In einer Zeit, in der jeder heroisch ist, ist es originell, gewöhnlich zu sein", ist im AzW mit Farbe an die Wand gepinselt.

Druck aus der Szene

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass just ihr diese praktizierte Teamkultur 1991 selbst zum Verhängnis wurde. Trotz gleichberechtigter Kooperation in Forschung und Praxis ging der renommierte, von jeher chauvinistisch angehauchte Pritzker-Preis an den Alleinlaureaten Robert Venturi. Denise Scott Brown ging leer aus.

Trotz massiven Drucks aus der Szene – mehr als 20.000 Menschen haben die Petition Change.org unterzeichnet – hat die Pritzker-Stiftung diesen Fehler nie behoben. Stattdessen bietet sich nun eine Reise nach Downtown Denise an, wo eine der außergewöhnlichsten Architektinnen und Stadtplanerinnen der Gegenwart vor den Vorhang geholt wird. (Wojciech Czaja, 24.11.2018)