Die Natur, die Lois Weinberger (71) beschäftigt, ist fern jeder Idylle.

Foto: Paris Tsitsos

So viel Schönheit ist ja nicht auszuhalten!" Und so schuf Lois Weinberger mit einer Wagenladung Beton mitten auf der grünen Wiese eines Antwerpener Parks Abhilfe. Die pflegeleichte Variante einer Garteninsel (1999), nachts vom grünen Licht einer Laterne beschienen, war seine brachiale Antwort auf das Ideal des englischen Landschaftsgartens – für Weinberger das Ergebnis einer missverstandenen Vorstellung von Natur.

Das Ausgießen dieses brutalen Materials der Moderne mag viele erstaunen, die mit dem Tiroler Künstler zuallererst das Sprießen von "Grün" an den unwirtlichsten Orten assoziieren, das Fördern von Wildwuchs auf den Brachen unserer Städte, Minibiotope auf billigen Gartensesseln und Baumpilze an den Wänden von White Cubes und Museen. Aber Weinberger ist mehr als der Schutzpatron der Ruderalpflanzen, die in spießbürgerlichen Gärten noch immer gern Unkräuter geschimpft und ausgerissen werden. Die Natur für sich allein genommen interessiert ihn gar nicht so sehr. Vielmehr ist es das Verhältnis des Menschen zur Natur, das er wie ein Forscher beäugt. Diese Beziehung sei ein Spiegel unserer Gesellschaft.

Das Werden und Vergehen ist der Natur eingeschrieben: Lois Weinbergers "Skull" von 2004.
Foto: Lois Weinberger, Galerie Krinzinger

"Die Natur ist überhaupt nur über unsere Kultur sichtbar", sagt Weinberger und präzisiert, die Worte oft zögerlich, weil überlegt, aneinanderreihend. "Ich würde es sogar so weit treiben und sagen, dass die Kultur die Natur erst ermöglicht und erschafft." Für die Symbiose dieser scheinbaren Gegensätze schafft der 71-Jährige seit 40 Jahren Bilder. Anfangs noch fern eines Kunstwollens, so wie beim Hochhaus für Vögel (1976), das in einem hohen winterkahlen Baum hängt, oder jenem Obstbaum auf dem elterlichen Hof in Stams, der nun auch Teil seiner retrospektiven Ausstellung in der Wiener Galerie Krinzinger ist.

Aufgeputzt wie ein Christ- baum ist die junge Kirsche, lässt, behängt mit all den bunten Plastiksackerln, an einen vergessenen Kult, einen volkstümlichen Brauch denken. Baumfest (1977) heißt die Fotoserie, die zugleich dokumentiert, wie die ganze Familie Teil des Rituals wird. Ursprung war die Erinnerung Weinbergers an die bunten Folien, die sich bei Hochwasser in den Bäumen am Inn verhedderten. Schon als Bub hatten ihn die wehenden Fähnchen in den Zweigen fasziniert.

Damit fing es an: "Baumfest" nannte Lois Weinberger 1977 eine Serie von Fotografien, die in seiner Oberinntaler Heimat Stams entstand. Ein Baum geschmückt mit dem Überfluss des Alltags, die der Fluss anspült.
Foto: Lois Weinberger, Galerie Krinzinger

Kultur und Natur

Weinberger erkundet das Flüchtige und das Verschwindende des Alltags: "Randzonen der Wahrnehmung als Reservoir von Ereignissen". Beim selbsterklärten "Feldarbeiter" mischt sich der ethnologische Blick mit jenem eines poetischen Philosophen. 40 Jahre auf einem Bauernhof lebend, hatte er anfangs einen sehr praktischen, unromantischen Zugang zur Natur. Aber umso mehr er sich mit Kunst beschäftigte, umso undefinierbarer wurde ihm die gesellschaftliche Vorstellung von Natur, erzählt Weinberger, der nach einer Lehre zum Schlosser und Kunstschmied an die Wiener Kunstschule ging.

Für ihn ging es "weg von dem ganzen Grünzeug, hin zur unsichtbaren Natur – zur Natur unseres Geistes, zur Natur unseres Entstehens und zur Natur der poetischen Möglichkeiten". Lois Weinberger zeigt auf eine Reihe schwarz-weißer Fotos: Für die Serie Nichts ist von einer Handlung zu sehen (1982) "bin ich oberhalb unseres Hauses in den Wald gegangen und habe Ästchen anders hingelegt oder Laub weggewischt. Dann habe ich ein Foto gemacht und bin weitergegangen." Der Clou ist allerdings, dass aus den tatsächlichen, freilich nicht wahrnehmbaren Eingriffen irgendwann nur noch behauptete wurden. "Es ging mir ja nicht ums Tun, sondern um die Realität, um das, was dahintersteht."

Diese Figuren aus Ackererde (ohne Titel) gehören zu den jüngsten Arbeiten Lois Weinbergers: Extrem fragil und schwer sind sie, sagt der Künstler, der sie dennoch beherzt in die Hand nimmt. Das Besondere an Ihnen ist der Moment der Schwebe – zwischen dem, was aus dem Boden sprießen, neu entstehen könnte und dem Zerfallen des Materials zu Staub.
Foto: Paris Tsitsos

Es sind also Anleitungen zum Sehen und Anstöße zum Denken. Das passt auch zu Weinbergers Idealvorstellung: dem Publikum etwas "vorwerfen", bei dem noch eine Ahnung des eigenen Wollens bleibt, bei dem der Betrachter die Idee aber selbst entwickelt. Denn es drängt und drückt ihn, nichts mehr zu tun und aus dem Kreislauf von eitlem Ehrgeiz und Gefühlen des Scheiterns auszubrechen. "Aufhören zu können wäre die schönste Hürde, die ich nehmen könnte. Losgelassen zu sein, von dem ganzen Sein des Machers, der wie ein Hund jede Ecke anbrunzen muss."

Fremdes und Heimisches

Richtig Fahrt aufgenommen hat Lois Weinbergers Karriere 1997 mit der Teilnahme an der Documenta X und einer Arbeit im öffentlichen Raum von Kassel. 20 Jahre später bei der Documenta XIV, also in einer vom Thema Migration dominierten Zeit, hätte sie womöglich Kontroversen ausgelöst. Man erinnere sich kurz daran, wie die AfD im Vorjahr gegen den Obelisken mit dem Bibelzitat "Ich war ein Fremder und ihr habt mich beherbergt" mobilisiert hat: Auf einem stillgelegten Bahngleis hatte Weinberger 1997 eine seiner Ruderalgesellschaften angesiedelt. Auf über 100 Metern gingen dort Samen aus Süd- und Südosteuropa auf. Die nichtheimische Botanik, die sogenannten Neophyten, gedieh prächtig, wucherte neben der und über die einheimische Vegetation. Eine politische Metapher für den Umgang mit dem Fremden, interpretiert als Anspielung auf die europäische Einwanderungspolitik.

Wer heute über Lois Weinberger schreibt, kehrt immer wieder zu der Arbeit, die 1997 für die Documenta X entstand, zurück: "Das über Pflanzen ist eins mit ihnen". Das Bahngleis bepflanzte der Künstler mit Neophyten aus Süd-und Südosteuropa.
Foto: Dieter Schwerdtle

"In den 1930ern hat es in den USA bereits geheißen, alles, was bei uns wächst, ist heimisch. Das sagt schon sehr vieles", sagt Weinberger und dreht sich – auch symbolisch – zu einem anderen Ort der Weltgeschichte um. Auf einem Schild ist in Fraktur "Kein Unkraut mehr" zu lesen. Ein aus einem 1938 erschienenen Buch entnommenes Zitat. "Im Text geht es weiter, dass man einfach jedes Gewächs, das von fremden auf heimische Straßen gelangt, sofort ausmerzen muss."

Garten und Gebiet

In vielen Projekten hat Weinberger die Wanderschaft der Samen, den Austausch unterstützt, Erde und Pflanzen gesammelt, gehegt, vermehrt und wieder auf Brachen ausgesetzt. Manchmal nur wenige Kilometer von seinem "Speicher", einem von ihm auch "Gebiet" genannten 500 Quadratmeter Wildgarten an der Alten Donau, entfernt, oft brachte er die Gewächse aus dem pannonischen Raum, der ungarischen Tiefebene oder der Welser Heide aber an wesentlich fernere Orte und Länder. Das Gebiet war für ihn aber auch ein Gegenentwurf zum Konsumwahn. "Die turbokapitalistische Gesellschaft braucht die Natur, wie ich sie sehe, nicht. Sie will eine ganz andere, eine verfälschte Natur."

Aber nach elf Jahren auf dem Gebiet war Schluss. Ein Bagger durchpflügte das Ruderalparadies. "Das war das Beste, was mir passieren konnte. Ich selbst hätte nie die Kraft dazu gehabt." Weinberger wollte weg von der Alten Donau, weg "vom Partygeruch an den Wochenenden in der Spareribs-Saison" und den Diskussionen mit den Nachbarn, die sich aufregten, dass sie nur noch Zichorien aus ihrem Rasen ausstechen müssen. Die Vielfalt, bemerkte Lois Weinberger, werde, wenn sie wenig Raum hat, auch zu einer Monokultur. Die herzförmige Kugelblume und die Hainburger Federnelke haben seinen halben Garten gefüllt. "Die Kanadische Goldrute hat die Freiflächen von Burgenland bis nach Bregenz fest im Griff. Dass ich da plötzlich einschreiten muss, ist mir oft ungeheuer. Da entstehen Dilemma des Denkens."

Bei der Documenta 14 sollte eine "Ruderal Society" in einer aufgerissenen Furche der Karlsause entstehen. Ein Stück Natur, bei der der Mensch nicht eingreift. Allerdings sahen die Kasseler das anders und machten ein Blumenbeet daraus.
Foto: Roman Gerold

Es ist die Neugier, die Lust an Prozess und Verwandlung, die Weinberger aber stets offen bleiben lässt. Als er 2017 eine riesige Spur in die Karlsaue in Kassel riss, um die Furche sich selbst zu überlassen, machten ihm Guerillagärtner einen Strich durch die Rechnung. "Ein Blumenmeer aus Sonnenblumen, Malven, pfirsichblättrigen Glockenblumen." Die Documenta-Leitung wollte das roden lassen, es entspräche nicht seinem Werk. Aber Weinberger widersprach: "Doch, das entspricht jetzt meinem Werk!" Und mit einer Art schmunzelndem Seufzen setzt er nach: "Und ich bin ein guter Mensch gewesen: Ich habe ihnen eine Blumenwiese hingestellt." (Anne Katrin Feßler, 25.11.2018)