Wien – Donnerstagabend. Sie sind wieder da. Unter Weihnachtsbeleuchtung und Blaulicht sammeln sich die Teilnehmer der Donnerstagsdemo. Zum achten Mal treffen sie sich schon seit dem Startschuss am Ballhausplatz. Dieses Mal liegt der Treffpunkt vor dem Sozialministerium. Laut hupend ziehen die letzten Autofahrer vorbei, bevor der Ring gesperrt wird.

Zum achten Mal marschierten die Demonstranten gegen Türkis-Blau.
Foto: brüstle

Hupen sie, um ihrer Unterstützung oder ihrer Wut Ausdruck zu verleihen? Längst haben sich die Demos zu einer Verkehrsbelastung entwickelt. Der Obmann der Sparte Handel der Wirtschaftskammer Wien, Rainer Trefelik, ärgerte sich jüngst: "Für die nächsten Wochen sind derart viele Straßensperren angekündigt, dass bald der innerstädtische stationäre Handel zusperren kann." Die Häufung verschiedenster Demonstrationen koste die Händler bis zu 70 Prozent des Umsatzes und vernichte Arbeitsplätze. Demonstrieren sei erlaubt, aber bitte nicht immer im Zentrum.

Zuerst Demo gegen Strache

Wie stets ist die Donnerstagsdemo ordentlich angemeldet. Es ist kalt und nieselt, trotzdem zählt die Polizei 2.800 Demonstranten, die Veranstalter sprechen sogar von 6.000 bis 7.000. Einige blasen laut in ihre Trillerpfeifen, sie kommen direkt vom Graben, wo Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) in einer Buchhandlung seine Biografie vorgestellt hat. "Wir wurden von der Polizei rasch abgedrängt", sagt ein junger Mann. Die Polizei spricht von einer unangemeldeten Demonstration vor der Buchhandlung.

DER STANDARD

Vor dem Sozialministerium tragen viele Demonstranten Plakate mit sich, auf einem steht "Kickl, absatteln!". Eine Rednerin ruft vom Demowagen herab: "In diesem Haus werden unsere sozialen Errungenschaften geschrottet."

"Widerstand, Widerstand"

Die Demonstranten schwenken rote Fahnen, ein Händler verkauft gelbe Rosen. Eine Gruppe junger Damen trommelt in umgehängte Resonanzkörper, Sprechchöre sind zu hören und immer wieder "Widerstand, Widerstand". Die Schlange scheint sich ewig in die Länge zu ziehen. Es vergehen 15 Minuten, bis sie von ihrem Kopf bis zu ihrem Ende an einem Punkt vorbeigezogen ist. Angehängt folgt eine Reihe von Polizisten und zehn Einsatzwagen.

Viele Demonstranten versammelten sich zuvor bei der Präsentation der Strache-Biografie.
apa/neubauer

Besonders pittoresk ist das Glühweindreirad, von dem aus mehrere Kanister gegen freiwillige Spenden ausgeschenkt werden. "Das Geld geben wir dann den Organisatoren", sagt Jonas, der auf dem Sattel sitzt, während zwei Kollegen ausschenken.

Sündenbock

Die Stimmung ist locker, gemächlich spazieren die Teilnehmer des "Wiener Wandertages" über die nassen Straßen. Leicht kommt man miteinander ins Gespräch, erfährt die Beweggründe des einen oder der anderen. Eine Studentin erzählt: "Ein Mann am Straßenrand hat mich gefragt, wieso wir hier demonstrieren. Der hat von den Maßnahmen von Schwarz-Blau scheinbar nichts mitbekommen, vom Sozialabbau und anderem. Ich klärte ihn auf, da hat er nur gesagt, solange es mir gut geht, passt es mir."

Kurt Wendt demonstrierte schon gegen Schwarz-Blau I und marschiert auch heute wieder gegen die Regierung.
apa/neubauer

Entrüstet setzt sie hinzu: "So eine Einstellung finde ich asozial." Ein mittelalter Mann sagt: "Es ist durchaus gut, dass die Regierung weniger Schulden machen will, doch die Art, wie das passiert, ist einfach inakzeptabel. Und stets hat man das Gefühl, dass nur ein Thema vorgeschoben wird, ein Sündenbock: die armen Leute, die alle selbst schuld seien."

Nächster Treffpunkt Heldenplatz

Vertreten sind alle Altersklassen, sogar das eine oder andere Kind geht mit seinen Eltern über die Demonstrationsstrecke. Vor dem Sozialministerium endet die Demo, ein DJ spielt noch Musik, langsam gehen die Teilnehmer auseinander. Viele wollen beim nächsten Mal wieder dabei sein.

Die Organisatoren haben für den 29. November schon bekanntgegeben: "Wir treffen uns um 18 Uhr am Heldenplatz und ziehen von hier aus in einer Demonstration über den Ring vor die Industriellenvereinigung am Schwarzenbergplatz. Dort sagen wir dem Bossenverein laut und deutlich, was wir davon halten, dass er mit seinen läppischen 4.400 Mitgliedern politisch überall bestimmen und dafür sorgen will, dass die meisten von uns mehr hackeln, damit sie selber noch reicher werden: gar nichts!" Zum Unmut von Wirtschaftskammer, Handel und Anrainern findet die Demonstration also wieder im Zentrum statt. (Aaron Brüstle, 23.11.2018)