"In diesen heil'gen Hallen", intoniert einmal Sarastro. Fast fühlt man sich versetzt in Mozarts Zauberflöte, dabei stehen wir nur in der Dorotheum-Lagerhalle in Vösendorf, allerdings vor geradezu auratisch wirkenden Automobilen der Marke Mercedes-Benz. Hausherr Wolfgang Humer, im Dorotheum seit 2011 Leiter der Abteilung klassische Fahrzeuge, schaut glänzenden Auges und "mit vergnügten Sinnen" auf das beherrschte Szenario hin. Und in der Tat, wer hier nicht in andächtiges Staunen verfiele, hat kein Herz für das Kulturgut Automobil.

Wolfgang Humer, Dorotheum-Experte für klassische Automobile, gewährte dem STANDARD Audienz – in den heiligen Hallen, vor dem 600 Pullman stehend.
Foto: Andreas Stockinger

Nicht lange mehr, dann werden diese Preziosen, 13 an der Zahl, das Camineum in der Nationalbibliothek schmücken. Und verlaufen die Verhandlungen mit der Burghauptmannschaft positiv, steht bald vor dem Haupteingang, nahe dem Reiterstandbild des großen Reformkaisers Joseph II., die ehemalige Staatslimousine dreier geschmackssicherer Bundespräsidenten. Dazu gleich mehr.

Sammlung Wiesenthal

Erst einmal aber: Wovon ist hier die Rede? Von einer ganz und gar erlesenen, exquisiten Automobilsammlung, die dem Dorotheum zum Hammerschlag anvertraut ward. Sammlung Wiesenthal. Nie gehört? Falls nicht, kommt es immerhin nicht unvermutet. Weil eben: Mercedes Wiesenthal. 1955 gründete die Familie in Salzburg das Mercedes-Benz-Zentralbüro, auch die späteren US-Verbindungen sollten sich als hilfreich beim Aufbau der Sammlung erweisen.

Heute ist das Handelshaus vor allem im Osten Österreichs tätig. Und weil die inzwischen weitverzweigte(n) Familie(n) die Sammlung aufzulösen beschlossen hat (haben), wurde eben das Dorotheum mit der ehrenvollen Aufgabe betreut – direkter Kontakt für Humer ist dabei Felix Clary und Aldringen, Alleinvorstand der Wiesenthal Autohandels AG und vor Zeiten BMW-Österreich-Chef.

Der 300 S Roadster, exquisitestes Stück der Sammlung.
Foto: Dorotheum

Ein halbes Jahrhundert, berichtet Humer, sei die Sammlung gewachsen, voll ausgebrochen war die Leidenschaft in den 1970ern. Es fänden sich Autos, die stets in der Familie waren, und solche, die von Vorbesitzern zugekauft wurden. "An Mercedes-Nachkriegsmodellen ist alles da, nämlich alles, was gut und teuer ist und immer nur die Topmodelle. Meistens offen, Cabriolet. Ich muss sagen, das ist schon eindrucksvoll."

Angetreten sind, lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: 300 S Roadster (Baujahr 1952), 300 b Cabriolet D (1954), 220 Cabriolet A (1954), 300 SL Coupé (1955), 300 SL Roadster (1957), 220 S Cabriolet (1957), 220 SE Coupé (1958), 600 Pullman (1964), 230 SL (1965), 280 SE 3.5 Cabriolet (1970), 450 SLC (1977), 450 SEL 6.9 (1979) und 560 SEL (1986). Exquisitestes Stück, so Humer, sei dabei der 300 S Roadster – "seinerzeit das teuerste Auto der Welt". Zwischen ihm (34.500 DM) und dem Flügeltürer (29.500 DM)seien zwei, drei neue VW Käfer gelegen.

Großer Rummel

Insgesamt umfasst die Sammlung Wiesenthal 17 Fahrzeuge, vier bleiben aber im Privatbesitz, zu viele Emotionen, zu viele Erinnerungen. Der Rummel um diese Schätze klassischen Automobilbaus ist jedenfalls jetzt schon riesengroß, man darf auf Rekorde gespannt sein – und auch darauf, wie viele der Autos im Lande bleiben. Denn so über den Daumen gepeilt, meint Humer, stammten bei solchen Auktionen rund die Hälfte der Bieter aus dem Ausland.

Der 300 SL Flügeltürer.
Foto: Dorotheum

Sehen Sie, und das ist auch ein Pferdefuß. Es macht bestimmt keinen schlanken Fuß, wenn beispielsweise der 600er-Pullman irgendwo im arabischen Wüstensand, Kalifornien, Japan oder China herumfährt. Günstigerweise gehört so was in ein heimisches Museum, idealerweise käme es in Staatsbesitz, noch idealerweiser dort in den aktiven Dienst. So wie die Italiener Staatsgäste und Honoratioren unter anderem gern mit der Lancia Flaminia Presidenziale kutschieren, einem Prunkstück von '61, oder einem Alfa Sei.

Dientwagen dreier Bundespräsidenten

Weil nämlich. Der Pullman, hat Humer recherchiert, war Dienstwagen von Adolf Schärf, Franz Jonas und Rudolf Kirchschläger. "Bestellt wurde das Auto 1964, ausgeliefert Ende 1964. Das heißt, es hat noch ganz kurz den Schärf miterlebt." Und der hat vermutlich Reza Pahlavi, den Schah von Persien, damit Anfang '65 vom Flughafen abholen lassen und es ihm für die Fahrt zur Kur nach Bad Gastein zur Verfügung gestellt.

Humer weiter: "Schärf ist im Februar gestorben, im Sommer ist der Jonas gekommen, den hat er die ganze Zeit begleitet. Da gibt's Fotos – einmal bei den Salzburger Festspielen, einmal, wie Queen Elizabeth grad ins Auto einsteigt."

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Der 600 Pullman in Aktion: Bundespräsident Franz Jonas 1967 bei der Ankunft vor dem Hotel Österreichischer Hof anlässlich der Salzburger Festspiele. In der Staatslimousine saßen ein andermal auch Queen und Schah.
Foto: Picturedesk / Imago

Die Rede ist vom neunten gebauten 600 Pullman, und wer wissen will, wo die staatstragende Limousine sonst verbreitet war, das hat der Experte auch herausgefunden: Arabische Emirate 100 Stück. Mobutu (Präsident von Zaire/Kongo) 23, Schah 21, Mao elf. "Das Auto jedenfalls ist komplett unrestauriert, hat hinten noch die Originalstoffbezüge drin. Wenn man sich überlegt, wer da alles draufgesessen ist, das ist schon nicht ganz ohne." Deshalb: "Meiner Meinung nach ein Auto, das im Lande bleiben sollte. Es ist ein Stück österreichische Zeitgeschichte."

Spuren der Zeit bewahren

Und so, das fasziniert Humer am meisten, erzählt jedes Auto eine eigene Geschichte. "Nicht nur seine, sondern auch die der Menschen, die es gehabt haben." Weshalb man auch die Spuren jener Zeit bewahren solle. "Für die Herstellung eines perfekten Zustandes brauche ich nur Geld. Aber original, das geht nur einmal."

Eine dieser Geschichten: Beim 300 SL Roadster machte Humer den Vorbesitzer ausfindig, von dem Wiesenthal ihn erworben hat. Beim dazu arrangierten Familientreffen, der alte Herr lebt noch, gab es berührende Szenen. Und Tränen. Das Leben ist schön. Und manchmal ein Hammer. (Andreas Stockinger, 26.11.2018)