Bald ist auch in Prosper-Haniel Schluss: Die Bergleute fördern keine Steinkohle mehr zutage, sondern räumen unter der Erde nur noch den Betrieb auf.

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Jemand, der höchstens das Auto in der Tiefgarage parkt oder Marmelade aus dem Keller holt, sollte jetzt einfach das Hirn ausschalten und alle Gedanken beiseitewischen. Nicht überlegen, wie viele Millionen Tonnen Gestein über den ameisenkleinen Menschen liegen, die 1200 Meter unter nordrhein-westfälischer Erde ins Schwarze marschieren.

Es ist heiß, dunkel, links und rechts des Trampelpfades ragen schwarzgraue Gesteinsbrocken hervor. Irgendwann geht es nicht mehr weiter, ein Monster aus Stahl versperrt den Weg. Auf Höllenbildern von Hieronymus Bosch sieht es nicht anders aus.

"Nehmt jetzt eure Ohrstöpsel", ruft einer der Bergleute. Das Monster ist eine gigantische Walze, die zweitgrößte der Welt. Zischend und fauchend rammt sie ihre Klauen in den Berg und holt die Rohkohle heraus. Tag und Nacht, 24 Stunden lang.

Seit Jahrhunderten wurde das schwarze Gold aus der Erde geholt. Aber jetzt ist Schluss, mit der Schicht im Schacht. Mit Jahresende wird auch die Steinkohleförderung in der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop eingestellt. Sie ist die letzte Zeche, die im Ruhrgebiet noch in Betrieb ist.

"Schon der Opa war im Berg"

"Ich mag noch gar nicht dran denken", sagt Bergmann Andreas, der die Maschine im sogenannten Streb, also dem Abbauraum, bedient. Seit 18 Jahren arbeitet der 46-Jährige in der Enge unter Tage. Oft schmerzen Knie, Rücken und Halswirbel.

Doch er kann sich keine andere Arbeit vorstellen: "Du liebst es, und du hasst es", sagt er und verzieht das vom Staub graue Gesicht. Und außerdem: "Ich kenne nichts anderes. Bei uns war schon der Opa im Berg." Der trieb noch per Hand den Pickel ins Gestein.

Die Anfänge des Bergbaus im Ruhrgebiet reichen noch viel weiter zurück. Eine Sage erzählt, dass vor vielen Hundert Jahren ein Hirtenbub nachts ein Feuer machte. Das Holz verbrannte schnell, aber die schwarzen Brocken, die der Hirte gefunden und auch dazugetan hatte, glühten und wärmten noch am nächsten Morgen. Die Menschen erkannten: Diese Klumpen würden sie reich machen.

148 Zechen im Jahr 1953

1925 arbeiten mehr als eine halbe Million Menschen in den 225 Bergwerken des Ruhrgebiets. Nach dem Zweiten Weltkrieg verzeichnet die Statistik den Höchststand im Jahr 1953. Da gibt es noch 148 Zechen in Deutschlands größter Ballungsregion mit den Städten Bochum, Dortmund, Essen, Bottrop und Gelsenkirchen.

"Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt", singt Herbert Grönemeyer in seiner Hymne auf die Pott-Stadt Bochum. Der Historiker Heinrich Theodor Grütter, Chef des Ruhr-Museums in Essen, beschreibt den Wert der Kohle so: "Sie war der Treib- und Schmierstoff der Moderne und des Fortschritts."

Mit der Kohle wurde Stahl gekocht, sie war die Grundlage für die moderne Industriegesellschaft. Aber, fügt der Historiker hinzu: "Die Kohle hat auch die Schattenseiten der Industrialisierung zutage gebracht." Dreck, Umweltverschmutzung und Kriege um den begehrten Rohstoff.

Doch ab den Sechzigerjahren setzte der Niedergang ein. Erdöl, Gas und neue Energieträger verdrängten die Kohle. Zechen überlebten nur noch mit hohen staatlichen Subventionen.

Enge Verbundenheit

Auch Bergmann Andreas weiß das. Aber er trauert jetzt schon um etwas, was zu Ende geht: die legendäre Gemeinschaft unter Tage. "Wir sind eben keine Kollegen wie im Büro, sondern Kumpel im Wortsinn", sagt er, "wir müssen und können uns tausendprozentig aufeinander verlassen." Von einer "proletarischen Direktheit, die früher existenziell war und sich habitualisiert hat", spricht Grütter: "Kurze Kommandos, klare Ansagen, aber auch eine enge Verbundenheit."

Es ist eine eigene, abgeschlossene Welt, in der sich der Kohleabbau jahrhundertelang abspielte. Schon der Weg zum Arbeitsplatz ist sehr speziell. Wer runter will in diesen Männerkosmos – egal ob männlicher Malocher oder weibliche Besucherin –, muss sich komplett aus- und die Bergwerkskleidung anziehen.

"Wir haben nur hellblauen Herren-Feinripp, Eingriff rechts", informiert Grubenführer Dirk trocken, als er die Unterwäsche präsentiert. Hose, Jacke Socken, Stiefel, Halstuch, alles wird gestellt, nichts darf Plastik enthalten wegen der Gefahr eines Funkenfluges.

Natürlich bleiben auch die Handys über Tage. Mit dabei sind Helm, Grubenlampe, Schutzbrille und Sauerstoff für den Notfall. Dann steigen 40 Mann in den Fahrstuhl, der aussieht wie ein großer Käfig. Man schweigt, hängt seinen Gedanken nach, der Käfig knattert in die Tiefe, auf 1200 Meter unter der Erde.

Respekt vor dem Gestein

"Auf!", wünschen sich die Bergleute kurz und knapp, bevor sie auseinandergehen. "Glück auf", lautet er der Gruß eigentlich, verbunden ist damit der Wunsch, es mögen sich neue Fundstätten auftun und alle wieder gut nach oben kommen.

Besucher haben ein bisschen Komfort und dürfen sich in die "Dieselkatze" zwängen: einen kleinen, offenen Zug, der von der Decke hängt. Aus diesem ergeben sich während der 25-minütigen Fahrt in den drei Kilometer entfernten Streb Ausblicke wie im Fantasy-Film: Auf schwarzen Förderbändern neben der Dieselkatze liegen die weiß gekleideten Bergleute und rasen durch die Dunkelheit zu ihrem Einsatzort.

"Mit der Katze wären wir zu langsam, so geht es schneller", sagt Klaus. Elektriker ist er, und auch er tut sich mit dem Ende der Kohle-Ära schwer. "Bergmann zu sein, das ist kein Job wie viele andere", meint der 39-Jährige.

"Über dir liegt Gestein, das 350 Millionen Jahre alt ist. Das flößt schon Respekt ein und schweißt uns hier unten enorm zusammen." Dass er bei der Arbeit kein Tageslicht sieht, ist für ihn normal. "Haste auch nicht, wenn du im Kaufhaus Kunden bedienst."

Der "Pott" hinkt hinterher

Klaus und die anderen Bergleute werden nach dem Aus weiter für den Bergbaukonzern RAG arbeiten. Es bleibt noch jahrelang zu tun: Wasserhaushalt über und unter Tage regulieren, Schächte sanieren, Betriebsanlagen rückbauen. Danach können sie in anderen RAG-Geschäftsfeldern (Chemie, Kraftwerksbau) unterkommen oder müssen sich neue Jobs suchen.

Der Strukturwandel im Ruhrgebiet wurde vor Jahrzehnten eingeleitet: weg von Kohle und Stahl, hin zu Forschung, Dienstleistung, Logistik und IT. Doch "der Pott" hinkt immer noch nach. Die Wirtschaftsleistung dort ist geringer als im Schnitt, die Arbeitslosigkeit höher. "Das Ruhrgebiet hat am Boom der deutschen Städte seit der Jahrtausendwende nicht teilgenommen", sagt Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft .

Am 21. Dezember verabschieden sich die Kumpel in Prosper-Haniel von ihrer Zeche. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird dabei sein, er bekommt das letzte Stück Kohle. "Es wird ein trauriger Tag", sagt Klaus, "aber die Kohle wirst du aus unseren Herzen niemals herausbekommen." (GRUBENFAHRT: Birgit Baumann, 24.11.2018)