Ein zu groß geratenes Nashorn mit Schildkrötenschnabel: So in etwa dürfte Lisowicia bojani ausgesehen haben.
Illustration: Karolina Suchan-Okulska

Das Urzeitvieh, das vor rund 210 Millionen Jahren die Gegend des heutigen Polen unsicher machte, sah für heutige Begriffe einigermaßen seltsam aus. Am ehesten könnte man es noch als Kreuzung aus Nashorn und Riesenschildkröte beschreiben, die dann noch auf Elefantengröße aufgeblasen wurde, wie das Wissenschaftsmagazin Science schreibt. Das trifft es gar nicht schlecht, denn die Gestalt ähnelte tatsächlich der eines überdimensionierten Nashorns, während das Maul am ehesten mit dem Schnabel einer Schildkröte zu vergleichen ist.

Doch fast noch verblüffender als die Masse (rund neun Tonnen) von Lisowicia bojani sind für Forscher das Alter und der Fundort der fossilen Überreste dieses Pflanzenfressers. Bisher gingen Paläontologen nämlich davon aus, dass es zu jener Zeit, als Lisowicia bojani lebte, eigentlich nur frühe Dinosaurier von dieser Größe gab. Es schien mithin eher undenkbar, dass es vor gut 200 Millionen Jahren auch elefantengroße Säugetiercousins gegeben haben könnte, wie Stephen Brusatte (Universität Edinburgh) eingesteht.

Ein heutiger Elefant im Vergleich mit Lisowicia bojani.
Illustration: Tomasz Sulej and Grzegorz Niedzwiedzki

Stoßzähne am Oberkiefer

Doch genau so etwas ist Lisowicia bojani, eine neue Art aus der Gruppe der Dicynodontia, was wörtlich übersetzt "zwei Hundezähne" bedeutet und sich auf die charakteristischen Stoßzähne am Oberkiefer bezieht, die an übergroße Eckzähne erinnern. Die Vertreter von Dicynodontia gehörten wiederum zu den sogenannten Therapsiden. Das sind frühe Reptilien, die den Säugetieren schon recht ähnlich sahen. Und von den Therapsiden stammen letztlich auch die Säugetiere ab.

Zwar waren bislang schon viele andere Dicynodontia-Arten bekannt, aber diese waren wesentlich kleiner, lebten viel früher und außerdem eher in der südlichen Hemisphäre. Fundstätten lagen so gut wie ausschließlich in Afrika, Amerika und Australien. Entsprechend überrascht über ihre Entdeckung waren auch Grzegorz Niedzwiedzki (Universität Uppsala) und Tomasz Sulej (Polnische Akademie der Wissenschaften), denen der Fund in einer Lehmgrube im südpolnischen Dorf Lisowice gelang, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Krakau.

Der Fundort ist eine ehemalige Lehmgrube im südpolnischen Ort Lisowice.
Foto: Grzegorz Niedzwiedzki

Die beiden Paläobiologen hatten im Jahr 2006 den Hinweis erhalten, dass jemand in der Lehmgrube Knochenfragmente gefunden habe. Als die drei Wissenschafter die Grube dann erstmals aufsuchten, fanden sie binnen einer Viertelstunde gleich mehrere vielversprechende Fossilien. In den folgenden elf Jahren Feldarbeit gruben sie mehr als 1000 Knochen aus, deren Analysen sie nun im Fachblatt Science vorstellen.

Ein Team von Studentinnen und Studenten bei den Grabungen.
Foto: Tomasz Sulej

Zunächst hatte das Forscherduo angenommen, dass es sich bei dem Fund um einen Sauropoden handelt. Diese Dinosaurier waren in dieser Zeit die größten bekannten Pflanzenfresser, die bis zu elf Meter lang wurden. Doch die gefundenen Schädelfragmente und Extremitätenknochen machten nach und nach klar, dass es sich bei dem Fossil um das größte und jüngste Dicynodont handelte, das je gefunden wurde.

Größe als Schutz vor Feinden

Paläontologen gehen davon aus, dass Sauropoden so groß wurden, um nicht gefressen zu werden. Das dürfte auch für Lisowicia bojani gegolten haben, vermuten die beiden Forscher. Womöglich brachte die Körpergröße aber auch Vorteile bei der Verwertung der Nahrung. Aufgrund der Anatomie der Knochen stellen die beiden noch eine andere Behauptung auf: Sie spekulieren, dass die Vorderbeine des Urzeitgiganten vertikal ausgerichtet waren, was ihm eine aufrechtere Haltung verlieh als die von modernen Reptilien und anderen Dicynodontia-Arten, die man sich bisher auch als eher echsenartig vorstellte.

Um ihre Hypothesen zu prüfen, wollen die beiden Forscher weitere Exemplare weiter östlich in Russland und der Ukraine suchen. Niedzwiedzki ist sich jedenfalls sicher: "Es gibt definitiv noch mehr zu entdecken." (Klaus Taschwer, 23.11.2018)