Fast auf den Tag genau zweieinhalb Jahre nach dem Referendum über einen EU-Austritt Großbritanniens werden die Dokumente zu den Brexit-Vereinbarungen am Wochenende von den 28 Staats- und Regierungschefs vermutlich gebilligt. Vorläufig zumindest. Aus Sicht der Chefverhandler sprach kurz vor dem EU-Gipfel alles dafür.

Die Drohungen Spaniens mit einem Veto wegen des Spezialfalles Gibraltar haben für das Land zwar hohe symbolische Bedeutung. Aber niemand kann sich vorstellen, dass ausgerechnet Madrid, das von der EU-Kommission gerade erst aus einem Defizitverfahren entlassen wird, eine Eskalation in letzter Minute riskiert.

Denn darüber müssen sich alle Beteiligten im Klaren sein – die Regierungschefs genauso wie die 507 Millionen EU-Bürger und vor allem die Briten: Ein erfolgreicher Abschluss des Brexit-Deals ist kein Erfolg. Der EU-Austritt bringt eine Lose-lose-Situation für alle. Großbritannien wie die EU-27 werden einen wirtschaftlichen Schaden erleiden. Die offene Frage ist im Moment nur, wie groß er wo ausfällt.

Bei einem "weichen Brexit" – mit langsamer Loslösung und dem Ziel künftig sehr enger Wirtschaftsbeziehungen – hielte sich das Risiko für Bürger und Wirtschaft in Grenzen. Ein abrupter ungeregelter EU-Austritt in nur vier Monaten wäre aber eine Katastrophe, die insbesondere Wirtschaft und ärmere Schichten in Großbritannien träfe, ebenso EU-Länder wie die Niederlande oder die Republik Irland, die mit dem Königreich besonders stark Handel treiben. Daher auch die Nervosität im Fall Nordirland.

Marktturbulenzen

Ein Chaos-Brexit mit nachfolgenden Marktturbulenzen wäre eine Herausforderung vor allem für wirtschaftlich nicht so gut dastehende Länder wie Spanien oder Italien. Theresa May hat genau deshalb auf die vorliegende Lösung gesetzt: Sie hofft auf pragmatische Vernunft ihrer Landsleute in einer Schicksalsfrage.

Die EU-27 müssen warten. Wenn das vorliegende Brexit-Abkommen im Unterhaus scheitert, ist das No-Deal-Szenario schwer abzuwenden, weil Labour mit Parteichef Jeremy Corbyn nicht auf ein zweites Referendum drängt.

Zwei Schlüsse lassen sich mitten im Austrittskrimi jetzt schon ziehen: Im Brexit-Finale ist nicht die EU bis zum Zerreißen gespalten, sondern das Vereinigte Königreich. Das haben 2016 die wenigsten geglaubt.

Der zweite: Der schräge Streit um Gibraltar, eine Regelung aus der habsburgischen Zeit der Spanischen Erbfolgekriege vor 300 (!) Jahren, zeigt, wie sehr uns Europäern die Geschichte im Nacken sitzt – eine von Krieg und Frieden. Im Fall Nordirland könnte das wieder tragisch enden.

Dort brachte man erst 1998 den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zu Ende, der rund 3500 Tote gefordert hatte. Das gelang auch deshalb, weil Katholiken und Protestanten einander im Zuge der EU-Integration in Wohlstand näher rückten – auch dank der Einführung des Binnenmarkts und des Endes der Grenzkontrollen zur Republik Irland. Verantwortungslose Nationalisten stellen das EU-weit infrage. (Thomas Mayer, 23.11.2018)