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"Vielleicht schauen wir zu oft auf antisemitische Entwicklungen und übersehen die Gefahren für die Demokratie", sagt WJC-Chef Ronald Lauder, der den wachsenden Antisemitismus in Europa nur zu einem kleinen Teil durch die Zuwanderung aus islamischen Ländern bedingt sieht.

Foto: AP/Michel Euler

Wien – Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (World Jewish Congress, WJC) und ehemalige US-Botschafter in Österreich, Ronald S. Lauder, sieht die Regierungsbeteiligung der FPÖ sehr kritisch. "Diese Partei übernimmt nach und nach in vielen Bereichen die Kontrolle", sagte er in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "profil" (Montagsausgabe).

Dabei verwies er auf "die Aktion des Innenministers zur Kontrolle des Verfassungsschutzes BVT oder Ansagen von FPÖ-Politikern, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk strenger zu kontrollieren". Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist sich seiner Ansicht nach dessen nicht gewahr. "Ich glaube nicht, dass Herr Kurz schon bemerkt hat, wieweit er seine Regierung, die er gebildet hat, überhaupt noch kontrolliert", zweifelt Lauder. "Er ist ein Politiker mit guten Absichten, aber kann er diese FPÖ wirklich noch kontrollieren?"

Jüdische Gemeinde schützen

Die Absicht des Innenministers Herbert Kickl (FPÖ), mehr für den Schutz der jüdischen Gemeinde in Österreich zu tun, lässt den WJC-Präsidenten unbeeindruckt. "Natürlich muss dieser FPÖ-Politiker die jüdische Gemeinde in Österreich schützen", sagte er. "Aber die jüdische Gemeinde in Österreich und in allen anderen Ländern will nicht nur Antisemitismus bekämpft sehen, sondern sie tritt auch für den Erhalt der Demokratie ein", erklärte Lauder. In diesem Zusammenhang frage er sich, ob die Partei vielleicht schon die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Medien einschränke. Zwischen Antisemitismus und Anti-Demokratie gebe es nur einen "sehr schmalen Grat".

"Vielleicht schauen wir zu oft auf antisemitische Entwicklungen und übersehen die Gefahren für die Demokratie", sagte Lauder, der den wachsenden Antisemitismus in Europa nur zu einem kleinen Teil durch die Zuwanderung aus islamischen Ländern bedingt sieht. Kritisch sieht er hingegen in diesem Zusammenhang die Zunahme von Populismus und Nationalismus in vielen Ländern Europas und die ausländerfeindliche Politik der "Rechts-vom-Zentrum-Parteien".

Zorn gegen Juden

"Plötzlich waren es die Ausländer, die Jobs wegnahmen und für alle möglichen Probleme verantwortlich gemacht wurden. Und wenn es gegen Ausländer geht, dann richtet sich der Zorn schnell immer auch gegen das jüdische Volk", so der WJC-Präsident. Er glaube nicht an die Möglichkeit eines neuen Holocausts, aber dass "wir derzeit eine Revolution der Rechtsparteien in Europa erleben, mit allen möglichen Auswirkungen", sagte er im Interview.

David Harris, Präsident des American Jewish Committee (AJC), sieht hingegen Kurz' Arbeit durch die FPÖ nicht behindert. Er lobte den Bundeskanzler am Freitag in einem E-Mail an Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal dafür, dass die "sehr schwierige Regierungskoalition" den Kanzler nicht davon abgehalten habe, die EU-Konferenz gegen Antisemitismus und Antizionismus zu organisieren, welche diese Woche in Wien stattfand.

Ferner drückte er in dem von Launsky-Tieffenthal der APA übermittelten Schreiben seine Anerkennung für Kurz' "Leadership", dessen Bekenntnis zur historischen Verantwortung und seinen "Mut, schwierige Themen anzugehen, bei denen andere Entscheidungsträger erstaunlich zögerlich agierten" aus. Die Konferenz diese Woche sei dafür ein ausgezeichnetes Beispiel, hieß es.

Neue Form von Antisemitismus

Lauder, der anlässlich zu der Veranstaltung zum Thema "Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung des jüdischen Lebens in Europa" nach Wien gereist war, erklärte im Gespräch mit dem "profil", dass er erstmals einen Antisemitismus von rechts und von links erlebe. Der WJC-Präsident unterstrich im Interview, dass "die neue Form des Antisemitismus" der Antizionismus sei. Dieser erlaube vielen Menschen zu sagen: "Ich bin kein Antisemit, sondern nur gegen Israel."

Gegen diese Gleichsetzung hatten sich im Vorfeld der Konferenz 35 israelische Intellektuelle ausgesprochen. In einem Offenen Brief, den die Tageszeitung "Die Presse" in ihrer Online-Ausgabe veröffentlichte, wiesen unter anderem Jose Brunner von der Universität Tel Aviv, die Soziologin Eva Illouz und der Historiker Moshe Zimmermann darauf hin, dass die Bekämpfung des Antisemitismus nicht dafür instrumentalisiert werden sollte, "legitime Kritik an der israelischen Besatzung und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken".

"Als israelische Gelehrte, deren Mehrheit jüdische Geschichte erforscht und lehrt, sagen wir zu Europa: Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglicht, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht", lautete ihr Appell. (APA, 25.11.2018)