Gewöhnlich sind es Ordner und Sicherheitsleute, die gelbe Westen tragen. Ganz anders am Samstag in Paris, wo auch Gewalttäter Neon trugen.

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Die "schönste Avenue der Welt", wie sie die Franzosen nennen, bot Sonntag kein schönes Bild. Eingeschlagene Vitrinen, umgestürzte Ampeln, zerstörte Bushäuschen säumten die Champs-Élysées. Sie zeugten von Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der "Gelbwesten"-Protestbewegung und der Polizei.

Auch in die Fenster des Nobelrestaurants Fouquet's flogen die Pflastersteine, von vermummten Männern aus der Chaussee geklaubt. Gegen den Concorde-Platz hin hatten sie eine brennende Barrikade errichtet. Sie unterhielten sie mit Baumaterial, wobei eine ganze Baubaracke in Flammen aufging. Bilanz: 24 Verletzte, darunter fünf Polizisten; 101 Personen wurden festgenommen.

Die "gilets jaunes" (gelbe Westen) hatten den zweiten Samstag in Folge zu Protesten gegen die geplante Erhöhung der Diesel- und Benzinsteuer um bis zu sieben Prozent aufgerufen. Landesweit gingen laut Regierungsangaben 106.000 von ihnen auf die Straße, die meisten bei gewaltlosen Blockadeaktionen in der Provinz. Das waren weniger als vergangene Woche; doch alle Augen waren auf Paris gerichtet, wo mehrere Tausend Träger der Neonwesten den Sturm nicht auf die Bastille, sondern auf den Élysée-Palast proben wollten, wo Präsident Emmanuel Macron residiert. 2500 Bereitschaftspolizisten hatten deshalb das ganze Viertel um den Präsidentensitz hermetisch abgeriegelt. An den Sperren skandierten sie: "Macron, démission" – Rücktritt.

"Schande über Gewalttäter"

Der Angesprochene dankte den Ordnungshütern per Twitter und meinte unüblich scharf: "Schande über die, die Polizei, andere Bürger und Journalisten angegriffen haben. Kein Platz für diese Gewalt in der Republik." Innenminister Christophe Castaner erklärte, Rechts- und – in geringerem Ausmaß – Linksextremisten hätten die Bürgerbewegung unterwandert und auf den Champs-Élysées die Gewaltakte inszeniert. Geheimdienstberichte nennen als Drahtzieher vor allem die rechte Gruppe der Barjols, die vor Wochen auch einen – ziemlich amateurhaften – Mordanschlag auf Macron geplant hatten.

Vor allem machte Castaner deutlich Rechtsextremistin Marine Le Pen für die Ausschreitungen verantwortlich. Sie habe zu der unbewilligten Aktion aufgerufen. Le Pen hatte sich aber nur beklagt, dass die Regierung die "Champs" am Samstag für Demonstrationen gesperrt hatte. Nach dem Krawall warf sie der Staatsführung vor, sie habe die Gelbwesten bewusst in eine Falle gelockt, um sie der Gewaltanwendung zu bezichtigen.

Castaner bezeichnete die Revoltierenden auf den Champs-Élysées zudem als "séditieux" (Aufständische), eine Wortwahl, die in Frankreich an die rechtsextremen Ligen erinnert, die 1934 die Nationalversammlung in Paris angegriffen hatten. Alles deutet darauf hin, dass Macron die Proteste nicht länger tatenlos hinnehmen will.

Seine neue Taktik besteht darin, die Bewegung zu politisieren und einen Keil in sie zu treiben: Während er gegen die Gewalttäter mit Härte vorzugehen gelobt, zeigt er Verständnis für die große Masse der gelben Westen, die weder parteipolitisch noch gewerkschaftlich organisiert ist.

Ökologische Maßnahme

Der Präsident weiß auch, dass Proteste gegen die Erhöhung der Benzinpreise und -steuern nur Ausdruck einer allgemeineren sozialen Not sind. Für Dienstag kündigt er "konkrete Vorschläge" an. An der Steuererhöhung will er festhalten. Schaffen will er aber "dezentrale Diskussionsforen".

Delegierte der Gelbwesten sollen dabei mit Behördenvertretern und Lokalpolitikern Verbesserungen ihres Alltags beschließen. Ein wichtiges Thema dabei ist die Kombination sozialer und umweltverträglicher Maßnahmen. Denn die Erhöhung der Benzinsteuer wird von der Macron-Regierung ökologisch begründet. (Stefan Brändle aus Paris, 25.11.2018)