Das Nationaltheater in Tirana soll abgerissen werden.

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Sie schwingen albanische und EU-Flaggen, machen Lärm mit Trillerpfeifen. Falls das Theater bald abgerissen werden sollte, wollen sie sich gegen die Baumaschinen stellen und sich festnehmen lassen. Seit Februar protestieren Künstler, Bürger und Aktivisten gegen den Abriss des albanischen Nationaltheaters im Zentrum der Hauptstadt Tirana. Jeden Tag treffen sie sich abends um halb sieben, um sich gegen die Regierungspläne zu stellen.

Auch Albaniens Präsident hat das Gesetz zum Abriss des Gebäudes nicht unterschrieben, und die Opposition ist Teil der Protestbewegung. Doch Premier Edi Rama, der sich schon seit vielen Jahren für den Abriss des Theaters starkmacht, scheint sich durchzusetzen. Die Regierung argumentiert, dass das Theater schwer zu renovieren und baufällig sei. Das Gebäude wurde 1939 von dem italienischen Architekten Giuglio Bertè entworfen und dient seit 1947 als Nationaltheater. Es gehört zu einem italienischen Architekturensemble in der Innenstadt von Tirana.

Streit um Grundstück

Bürger und Aktivisten kritisieren, dass die Stadt mithilfe eines neuen Gesetzes, das Ende Oktober in Kraft trat, einen großen Teil des Grundes, auf dem das neue Gebäude stehen soll, an eine private Firma verkaufen wird. Das dänische Architekturbüro BIG von Bjarke Ingels führt als Klienten für das Projekt auch nicht die albanische Regierung an, sondern die private Firma Fusha. Die Demonstranten kritisieren zudem dass, die 8.500 Quadratmeter öffentlichen Grunds viel zu billig an Fusha verkauft werden – das Gesetz sei genau auf dieses Projekt zugeschnitten worden.

Die Demonstranten – darunter namhafte Künstler, der Verband der Architekten und einige Regisseure – kritisieren Ramas Projekt nicht nur wegen des Denkmalschutzes, sondern auch wegen der merkwürdigen Ausschreibung, der Umgehung von Wettbewerbsrecht und des kaum bekannten Plans für das neue Theater. Der Verdacht steht im Raum, dass vor allem die private Baufirma profitieren wird und die Bürger öffentlichen Raum verlieren. Denn den Plänen zufolge soll das neue Gebäude in erster Linie nicht für ein Theater oder andere öffentliche Zwecke genutzt werden, sondern als kommerzieller Raum oder als Bürofläche. Trotz mehrfacher Anfrage an die Regierung hat diese keine Stellungnahme zu den Bedenken der Demonstranten abgegeben.

Gesetz ist nicht anfechtbar

Besonders problematisch finden die Aktivisten, dass das Gesetz, das sie für verfassungswidrig erachten, nicht angefochten werden kann. Denn seit Beginn des Jahres findet in Albanien eine großangelegte Justizreform statt. Eines der Hauptelemente ist die Überprüfung von Staatsanwälten und Richtern – korrupte und unprofessionelle Personen werden herausgefiltert. Die Überprüfungskommission arbeitet offensichtlich so effizient, dass mittlerweile ein Vakuum entstanden ist. Weil so viele Richter am Verfassungsgericht der Überprüfung nicht entsprochen haben und entlassen wurden, sind nur mehr zwei von neun im Dienst. Das bedeutet, dass das Verfassungsgericht nicht mehr arbeiten kann und keine Prozesse aufgenommen werden können.

Es könnte sogar sein, dass auch der Präsident des Verfassungsgerichts nicht mehr weiterarbeiten darf. Eine ähnliche Situation hat sich am Obersten Gerichtshof eingestellt. Dort sind nur vier Richter übriggeblieben, etwa die Hälfte ist aus eigenen Stücken zurückgetreten. Aber auch hier kann es sein, dass weitere Entlassungen wegen Korruption folgen. An sich gilt die Justizreform, die es in dieser Form noch in keinem südosteuropäischen Land gegeben hat, als hocheffizient, doch niemand hat bedacht, dass dadurch die Rechtsstaatlichkeit gefährdet werden könnte – weil ein Vakuum entsteht.

Verfassungskonformität

Und genau hierin liegt das Problem im Fall des Nationaltheaters. Die Aktivisten, die gegen den Abriss protestieren, sind sich sicher, dass das Gesetz, das dies ermöglicht, nicht verfassungskonform ist – und einiges spricht tatsächlich dafür.

Experten kritisieren, dass man nicht im ersten Schritt damit begonnen hat, die neuen Kandidaten des Richter- und Staatsanwälterats zu überprüfen, damit diese die neuen Kandidaten für die Höchstgerichte aussuchen können und somit kein Vakuum entsteht – das war eigentlich so vorgesehen. Nun gibt es noch nicht einmal die Richter- und Staatsanwälteräte – die Situation könnten also noch einige Zeit so bleiben. Außerdem war es nicht möglich, ein Gesetz zu beschließen, um heuer einen neuen Kurs an der Richterschule zu beginnen. Das alles bedeutet, dass in der Zwischenzeit kein Recht auf höchster Ebene durchgesetzt werden kann.

Experten gehen davon aus, dass der Richterrat noch 2018 errichtet werden kann und im ersten Halbjahr 209 die Nachbesetzungen am Obersten Gerichtshof beginnen. Aber im Fall des Verfassungsgerichts könnte es sein, dass auch im kommenden Jahr keine neuen Richter ernannt werden und das Verfassungsgericht demnach nicht arbeiten wird. Das Theater könnte in der Zwischenzeit längst abgerissen sein. (Adelheid Wölfl, 26.11.2018)