Wolfgang Greif: IV und WKÖ sind nicht nur die Standards im Land, sondern auch jene der EU ein Dorn im Auge.

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Dass die IV und die WKÖ das schrille Lied der Überbürokratisierung singen, ist nicht neu. Wohl aber, dass die Bundesregierung die Begehrlichkeit nach maßloser Deregulierung zur Staatsdoktrin erhebt – und das auch noch billig und unseriös argumentiert: Unternehmen in Österreich leiden unter einer ambitionierteren Umsetzung von EU-Vorgaben. Dafür wird der polemische Kampfbegriff "Gold-Plating" strapaziert, die Rücknahme höherer Regelungen gefordert und als Vergoldung europäischer Regelungen denunziert.

Wirtschaft bestellt, Regierung liefert

Der Justiz-, zugleich Deregulierungsminister, ist rasch in die Vorlage getreten: Noch vor dem Sommer wurden Sozialpartner und Wirtschaftsverbände aufgerufen, Vorschläge zu liefern, wo bestehendes Recht gestrichen werden soll. WKÖ und IV haben den Ball bereitwillig aufgenommen und eine Wunschliste mit knapp 500 Bestimmungen präsentiert, die als luxuriöse "Vergoldung" gesehen werden und schleunigst beseitigt gehören.

Bei Gewerkschaften, Verbraucherschützern und Umweltverbänden formierte sich schnell Protest. Rasch war von einer "Liste des Grauens" die Rede, waren doch auch über Jahrzehnte entwickelte Schutzstandards gelistet: allein im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts Wünsche zur Einschränkung bestehender Ansprüche beim Jahresurlaub, beim Mutterschutz und der Elternkarenz. Betroffen auch: Schutzrechte bei der Leiharbeit sowie Kontrollen und Sanktionen beim Lohn- und Sozialdumping. Ein empfindlicher Kahlschlag würde auch im Umwelt- und Verbraucherschutz drohen, ebenso wie im Insolvenz-, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht sowie bei der Finanzmarktaufsicht.

Die Proteste zeigten Wirkung – insofern, als das Ministerium mehrfach beteuern musste, dass es keine Absenkung von Schutzstandards im Schilde führe, lediglich "unnötige bürokratische Belastungen" beseitigen wolle. Auch der Begutachtungsentwurf zum "Sammelgesetz Gold-Plating" ist – trotz der fragwürdigen Vorgehensweise einer Sammelnovelle – noch nicht der große Generalangriff auf die österreichischen Standards. Dass der aber nach wie vor auf der Agenda steht, deutet schon der Ministerratsvortrag an. Darin werden weitere tiefgreifende Maßnahmen angekündigt, unter anderem die Hinterfragung des Kumulationsprinzips bei Verwaltungsstrafen – eines der zentralen Elemente für eine wirksame Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping.

Kopfschütteln auch auf EU-Ebene

Auch auf EU-Ebene herrscht bis auf einige radikal-liberale Kreise Verwunderung über diesen Vorstoß der österreichischen Präsidentschaft, läuft es doch dem Wortlaut und Geist des EU-Vertrages geradezu zuwider, wenn die EU-rechtlich legitimierte Übererfüllung als "Vergoldung" denunziert und apodiktisch eine Rückführung nationaler Gesetze auf EU-Mindestniveau angestrengt wird.

Der Kern der Kritik: Wie beim Verbraucher- und Umweltschutz hat der EU-Gesetzgeber auch in der Sozialpolitik bewusst Spielraum für nationale Umsetzungen auf höherem Niveau gelassen. Diese Autonomie der EU-Länder, ambitioniertere Schutzniveaus vorzusehen, ist somit legitim, normal und üblich. Würden Mindeststandards in EU-Richtlinien generell als Maximalniveaus gelten, die in den nationalen Rechtsordnungen nicht überschritten werden dürfen, würde das generell Schutzniveaus drücken.

Genau darauf scheinen es viele aber weiterhin abgesehen zu haben. IV und WKÖ sind offensichtlich nicht nur Standards im Land, sondern auch jene der EU ein Dorn im Auge. Weg damit! Genau zu diesem Zweck wurde eine große Subsidiaritätskonferenz im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft in Bregenz veranstaltet. Offensichtlich soll sich die EU-Politik aus wichtigen Bereichen zurückziehen, die nicht zuletzt auch für die Gewerkschaften einst wichtige Gründe bildeten, den EU-Beitritt zu unterstützen. Dazu zählten auch vergleichsweise bessere europäische Standards im Arbeits-, Gleichbehandlungs- und Verbraucherschutzrecht. Kaum Zufall, dass bei genannter Konferenz der Ratspräsidentschaft vornehmlich Spitzen aus Politik, Wirtschaft und wohlgemerkt der Kirche Grundsatzstatements abgaben, jedoch kein Vertreter, keine Vertreterin aus den genannten bürgernahen Bereichen ein Grundsatzstatement erhielt.

Innenpolitisch motiviert

Die Deregulierungswünsche der Wirtschaft als EU-Auftrag einzuführen ist unseriös und ein Bärendienst für die EU-Stimmung. Hier wird rein innenpolitisch motiviert einer breiten Nivellierung von Standards nach unten der Weg bereitet. Das ist ein Bruch des Versprechens, dass die europäische Integration zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen beitragen soll. Damit nährt die ÖVP/FPÖ-Koalition die wachsende EU-Skepsis im Land. (Wolfgang Greif, 26.11.2018)