Knapp ein Drittel der Einwohner Seouls war für über 24 Stunden im Kommunikationsloch.

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Wenn ein Feuer ausbricht, dann ist dies zunächst einmal eine Lokalmeldung – vor allem wenn es weder Tote, ja noch nicht einmal Verletzte gibt. Nur stand an diesem Samstagmorgen in Seouls Mapo-Bezirk nicht irgendein Keller in Flammen, sondern das unterirdische Tunnelgelände einer Korea-Telecom-Filiale (KT).

KT ist der zweitgrößte Telekommunikationsanbieter Südkoreas. Einst in öffentlicher Hand, hat das Unternehmen Südkorea flächendeckend mit Festnetzverbindungen versorgt. Derzeit arbeitet es auf Hochtouren daran, als erster Anbieter weltweit 5G – die nächste Generation des mobilen Internets – einzuführen. KT versorgt seine Kunden meist mit einem Allround-Paket: Internet, Fernsehen, Smartphone.

Nichts ging mehr

Faktisch betrachtet sind bei dem KT-Feuer 150 Meter an Glasfaserkabeln niedergebrannt und 168.000 Telefonleitungen zerstört worden. Der Materialschaden betrug dabei umgerechnet sechs Millionen Euro. Für die wohl bestvernetzte Stadt der Welt bedeutete dies jedoch: Knapp ein Drittel ihrer Einwohner waren für über 24 Stunden im Kommunikationsloch. Internet, Telefonieren, SMS: Nichts ging mehr.

Ein Großteil der Geschäfte in den betroffenen Bezirken akzeptierte nur mehr Bargeld, da Kartenlesegeräte über das KT-Internet operieren. Im ansonsten bargeldlosen Südkorea kam es folglich zu einem Ansturm auf Bankomaten, die nur wenig später komplett leergeräumt waren.

Warteschlangen vor Telefonzellen

Die Tageszeitungen sind voll von Nachrichten über panische Studenten, die ans andere Ende der Stadt gefahren sind, um dort ihre Seminararbeiten rechtzeitig zur Onlinefrist hochzuladen. Oder Autofahrer, die ohne ihr Navi schlicht verloren waren, weil sie keine herkömmlichen Straßenkarten mehr lesen können. Auf Twitter posteten User Fotos von Warteschlangen vor Telefonzellen – jenen anachronistischen Geräten, auf deren Existenz die meisten Bewohner Seouls wohl längst vergessen hatten. Ein ironischer Anblick: In der Stadt der "Smombies" stehen die Leute am Münztelefon.

Gedränge um Münztelefone.

Manche Folgen des Blackouts waren jedoch weniger lapidar: Auch das Kommunikationsnetzwerk mehrerer Polizeistationen brach zusammen. Dutzende Polizisten wurden zur zentralen Polizeibehörde geschickt, um dort via Radiofunk Berichte durchgereicht zu bekommen. Eines der größten Krankenhäuser der Stadt kann keine Telefonanrufe entgegennehmen, sodass Arzttermine seither nicht vergeben oder verschoben werden können. Auch einige Apotheken konnten keine rezeptpflichtigen Medikamente austeilen, da auch dies ausschließlich über ein Onlinesystem rennt.

"Landesweiter Weckruf"

Die zweitgrößte Tageszeitung des Landes, "Joongang Ilbo", nannte das Desaster einen "landesweiten Weckruf", der der Volkswirtschaft "einen kritischen Schlag" verpasst habe. Wie viel davon vom Unternehmen Korea Telecom übernommen wird, bleibt bislang noch offen: Das Unternehmen hatte bereits am Sonntagabend zugesichert, seinen Kunden einen Monatsbeitrag zu erlassen. Bei den kleinen und mittelständischen Betrieben werde man erst später einen Kompensationsplan anbieten, heißt es vom Firmensprecher.

Am Montag rief Informationsminister Yoo Young-min eine Notfallsitzung mit den Vorstandsvorsitzenden der drei großen Telekommunikationsanbieter des Landes ein. Herausgekommen sind Präventionsmaßnahmen, für die es wohl nicht mehr als eine gesunde Portion Menschenverstand gebraucht hätte: Künftig sollen Backupsysteme installiert und zusätzliche Sprinkleranlagen aufgestellt werden. In dem Tunnelgelände war vor dem Feuer nur ein einziger Feuerlöscher vorhanden.

Debatte über Abhängigkeit

Und doch könnte der Internetzusammenbruch endlich einen Diskurs anstoßen, der im technikbegeisterten Südkorea längst überfällig ist: Wie abhängig vom Internet wollen wir leben? Welche Gefahren birgt eine bargeldlose Gesellschaft? Und: Wie leicht lässt sich unser hochvernetzter Staat in Anarchie und Chaos versetzen? Anscheinend müssen Terroristen nicht mehr machen, als ein wenig mit dem Feuer zu spielen.

Vielleicht würde dem Hightech-Land Südkorea ein Blick ins technisch etwas langsamere Österreich helfen: Käme es nämlich in Wien zu einem vergleichbaren Brand bei einem Telekomanbieter, hätte das für die Stadtbewohner wohl überhaupt keine Folgen. Die Handys würden schließlich automatisch zum nächsten Anbieter wechseln – genau wie dies während der zahlreichen Funklöcher auf dem Land passiert. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 26.11.2018)