Ottessa Moshfegh, "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung", € 22,70/320 Seiten, Liebeskind: München 2018.

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Wien – Angstlösend, beruhigend, muskelentspannend, schlaffördernd. In unserer großteils noch kleinen heilen Welt, in der es uns allen so schlecht geht, obwohl es uns allen so gut gehen könnte, darf man die besänftigende Wirkung von Benzodiazepinen nicht unterschätzen. Abgesehen von Liebe, Verständnis und gutem Sex sorgen sie dafür, dass es nicht noch mehr Kriege und bewaffnete Konflikte gibt.

Apotheker zu sein, das bedeutet Sozial- und Friedensdienst. Die Leute würden sich sonst aus purer Verzweiflung reihenweise von Häusern oder vor den Schienenverkehr stürzen oder sich in den Shoppingcentern gegenseitig mit Macheten, Baseballschlägern oder Brotmessern aus dem Ein-Euro-Shop abschlachten.

Draußen ist sinnlos

Unter anderem auch aus diesem Gründen beschließt in Ottessa Moshfeghs Roman Mein Jahr der Ruhe und Entspannung eine junge namenlose New Yorkerin aus gutem Hause und ausgestattet mit einer noch besseren Erbschaft im Juni 2000, "die Wachzeiten so weit wie möglich zu reduzieren". Draußen ist sinnlos. Man versäumt rein gar nichts. Hauptsache Polster dank Finanzpolster. Lieber zwischendurch einmal ein ganzes Jahr durchschlafen, unterbrochen nur durch kurze Wachphasen. Hunger, Durst, Sofa-Banking, Badezimmer:

"Ich weiß nicht genau, ob ein konkretes Ereignis zu meiner Entscheidung führte, Winterschlaf zu halten. Anfangs wollte ich nur ein paar Downer, um meine ewig kritischen Gedanken zu ersticken; der stetige Ansturm in meinem Hirn machte es mir schwer, nicht alles und jeden zu hassen."

Traum der Selbstoptimierung

Irgendwo im Hintergrund lauert natürlich auch der gute alte amerikanische Traum der Selbstoptimierung. Nach einem Jahr Dauerschlaf dank eines Cocktails aus kräftigen Psychopharmaka und Schlaftabletten für Blauwale ist man hoffentlich nicht nur im philosophischen Sinn ausgeruht. Man ist angeblich auch körperlich ein vollkommen neuer Mensch. Rein rechnerisch geschieht das durch den ständigen Sterbeprozess, den man optimistisch Zellaustausch nennt, zwar ohnehin alle sieben Jahre. Egal, ob man rastet, man rostet sowieso. Aber erklären sie das einmal Menschen, die sich tödlich langweilen.

Ottessa Moshfegh hat nach ihrer Gewaltorgie McGlue, in der ein Walfängerschiff zur Hölle geschickt wurde, und ihrem von der Kritik gefeierten Nachfolgeroman Eileen, einer Emanzipationsgeschichte mit den Mitteln eines Hard-boiled-Romans, nun das sardonische Gelächter entdeckt.

Der Schlaf der Vernunft

Wir lernen in Mein Jahr der Ruhe und Entspannung eine schöne junge Erbin mit einem geradezu kitschig-klischeehaften Abschluss in Kunstgeschichte kennen. Sie arbeitet zum Zeitvertreib im schicken New Yorker Stadtteil Chelsea in einer schicken Galerie und will dort unter anderem schicke, aus menschlichen Schamhaaren gefertigte Äffchen mit in deren Penis eingearbeiteten Überwachungskameras verkaufen. Oder eben nicht. Auch dank eines zum weiteren Zeitvertreib angeschafften schicken Banker-Trottels mag sie irgendwann einfach nicht mehr. Übrigens, so wie zuvor schon ihre Mutter. Die wollte auch nicht mehr, blieb zu Hause und brachte sich schließlich um.

Unsere Protagonistin besorgt sich also bei einer für ihren Beruf gänzlich unbegabten empathielosen Psychiaterin die schweren somatischen Hämmer, liegt zu Hause herum und dampfplaudert während ihrer Wachzustände mit ihrer zu Besuch kommenden besten Feindin Reva Bullshit-Bingo über Bulimie und andere Diäten, Lieblingsfilme oder Dosierungsdetails aus dem Bereich pharmazeutischer Produkte.

Wirklich interessant wird es in diesem Roman ab dem Zeitpunkt, als unsere Heldin entdeckt, dass sie schlafend offenbar ein Parallelleben führt, in dem sie shoppen oder zum Friseur geht oder auf Datingseiten mit Männern chattet. Alles endet schließlich mit der Katastrophe von 9/11 und einem durchaus zynischen Erweckungserlebnis. Dazwischen wird man durch diesen schwarzhumorigen, galligen literarischen Leerlauf fast in den Wahnsinn getrieben. Das ist gut. Daumen nach unten. Das Buch zur Zeit. Aber wie. (Christian Schachinger, 27.11.2018)