Ganz unkapriziös schwingt sich der Kollege vom sich selbst gekrönt habenden Kleinformat in den Fond des Rolls-Royce Cullinan. Dass die hinteren Türen, wie es sich für einen Rolls-Royce dieser Größe gehört, nach vorne aufschwingen, erleichtert ihm das Einsteigen. Auch dass sich der Cullinan schon beim Aufsperren um vier Zentimeter abgesenkt hat. Denn SUVs sind zwar in der Regel deshalb so begehrt, weil man höher einsteigt. Beim ersten SUV von Rolls-Royce müsste man dann aber doch schon die Füß g'scheit heben. Da kommt einem der galante Engländer natürlich gerne entgegen.

Mit viel Fingerspitzengefühl hat Rolls-Royce versucht, das Thema SUV in die eigene DNA zu integrieren. Das erklärt die nach vorne öffnenden hinteren Türen, in denen ein Schirm steckt, das edle Interieur und auch den mächtigen Zwölfzylinder, der ganz dezent klingt.
Foto: Rolls-Royce

Wie gut Luxus und SUV oder sagen wir gar Luxus und Gelände zusammengehen – gerade in England –, hat ja bereits Range Rover vor Jahren bewiesen. Da bräuchte es eigentlich gar keine Rechtfertigung dafür, warum Rolls-Royce nun auch ein solches Gefährt baut. Doch Regionaldirektor Peter-Paul Schoppmann erwartet die entsprechende Frage dennoch bei jeder Begegnung. Und so spricht er, während sich der Kollege vom Kleinformat hinten regelrecht häuslich einrichtet, das Klapptischerl öffnet und am Bildschirm spielt, als wäre er im Flieger und würde bald seine Jause bekommen: "Die Kunden verlangten nach einem Luxus-SUV."

Peter-Paul Schoppmann ist auf die Warum-SUV-Frage schon lange vorbereitet.
Foto: Rolls-Royce

Und das dürfte die knackigere und schonungslosere Antwort sein als die von Rolls-Royce-CEO Torsten Müller-Ötvös, der in seiner Begründung für den Cullinan vom Kundenwunsch nach einem "Rolls-Royce für unwegsames und anspruchsvolles Terrain" spricht. Auf das Foto warten wir noch, wo ein Cullinan neben einem G und einem Jimny im Offroadzentrum Stotzing bei der Anmeldung zum Offroadtraining steht. Ach ja, wenn wir selbst darin sitzen, gilt das natürlich nicht.

Das Heck ist mehr als ein schlichtes SUV-Heck. Dahinter versteckt sich ein luxuriöser Picknickplatz.
Foto: Rolls-Royce

Die meiste Zeit wird sich ein Cullinan ganz bestimmt auf mehr oder weniger befestigten Straßen bewegen. Letzter Seitenhieb ist der Testroute geschuldet, auf der ich den Kleindings-Kollegen durch Ungarn führe. Denn die Bundesstraßen sind nur wenige Kilometer außerhalb von Budapest nicht im besten Zustand. Dafür entschädigt der Blick in die viele Gegend. Und für das Luftfahrwerk des Cullinan sind ein paar schlecht ausgebesserte Asphaltflicken auch bei hohem Tempo keine Herausforderung.

Nächtens schaut der Cullinan in Budapest so aus.
Foto: Rolls-Royce

Aber es sind wohl nicht die wilden Straßen, deretwegen Rolls-Royce uns seinen ersten SUV ausgerechnet hier präsentiert. Vielmehr dürfte es den Briten ganz gelegen kommen, etwas Präsenz rund um Budapest zu zeigen. Denn wie verriet Peter-Paul Schoppmann: "Der Cullinan ist ein Toröffner für unsere Autos in den Osten." Darum wird man auch wieder ganz selbstbewusst auf der Vienna Autoshow im Jänner vertreten sein, während man gern, ganz unkapriziös, die eine oder andere internationale Messe schwänzt.

Selbstbeherrscht ist, wer da länger als drei Minuten nicht hingreift.
Foto: Rolls-Royce

Im ausfallenden Ton hingegen bittet nach wenigen Kilometern der Kollege um einen kurzen Halt. Er möchte vorne einsteigen. Das liegt aber nicht daran, dass unser Test-Cullinan hinten die Dreierbank und damit nicht wie der Zweisitzer eine Konsole mit Getränkeschrank, Whiskeygläsern, Karaffe, Sektgläsern und Kühler hat. Das selbstnivellierende Luftfahrwerk rechnet zwar ein paar Millionen Mal pro Sekunde, was es zu tun hat, aber nach zehn flotten Kurven ist einem Hinterbänkler anscheinend trotzdem schlecht.

Da hatte er noch Farbe im Gesicht, der Kollege vom Kleinformat.
Foto: Rolls-Royce

Jetzt schaut der Kollege – ganz unter uns – eh schon nicht so besonders gut aus, aber so weiß um die Nase, da kann er einem schon fast leidtun. Dabei ist er aber auch selber schuld. Nicht nur der 571 PS starke Zwölfzylinder hätte ihm Anzeichen dafür sein müssen, dass man in dem Auto am besten hinter dem Steuer sitzt. Auch das Steuer selbst ist ein Hinweis darauf: So ein dickes und kleines Lenkrad gibt man nicht aus der Hand. Damit die mehr als 2,6 Tonnen der Agilität keinen Strich durch die Rechnung machen, verfügt der Cullinan über eine Vierradlenkung. Und weil es für einen SUV, von dem Rolls-Royce übrigens behauptet, höchste Offroadqualitäten zu haben, obligatorisch ist, ist der Cullinan der erste Rolls-Royce mit Allradantrieb.

Zum ersten Mal

Ihre Premiere in einem Rolls-Royce feiert auch die Heckklappe. Keine normale Heckklappe. Wo denken Sie hin! Sie hat sogar einen eigenen Namen. The Clasp. Sie öffnet automatisch. Wie ja auch die Türen innen keinen Griff haben, sondern durch Drücken eines Knopfes geschlossen werden. Auf eine Hybrid-Premiere wartet man beim Cullinan jedoch vergeblich. Aber ein Elektro-Rolls wird kommen. Versprochen. Und auch wenn der Cullinan alle digitalen Stückerln spielt, die im Regal von Konzermutter BMW verfügbar sind, autonom fahren kann der neueste Rolls-Royce nicht. Erst wandelte sich die Chauffeursmarke zum Luxushersteller für Selbstfahrer, jetzt will man den Kunden das Lenken nicht gleich wieder nehmen. Oder?

Schlichter Luxus.
Foto: Rolls-Royce

"Wenn die Kunden autonom fahren wollen, werden wir ihnen das erfüllen", sagt dazu Peter-Paul Schoppmann, der aber lieber über Bespoke spricht. Das Maßschneidern. Diesen Bereich will Rolls-Royce nämlich noch weiter ausbauen. Als ob der maßgeschneiderte Schlüssel, der mit dem gleichen Leder wie der Innenraum umhüllt ist, nicht reichen würde. Oder die Glaswand, die den Fahrgast vom Kofferraum trennt, damit im Sommer nicht die Hitzn, im Winter nicht die Kälte und im Herbst nicht das Laub ins Auto mag, wenn "The Clasp" offen ist.

Die Emily steht auf ein paar Streicheleinheiten mit weichem Tuch. Zur Not tut's aber auch ein Fetzen.
Foto: Rolls-Royce

Und im Frühjahr? Da zieht man die Campingstühle aus dem unteren Teil der Heckklappe, genießt, wenn man nicht gerade die Emily poliert, die wärmende Sonne und blättert im Kleinformat-Motorteil. Ganz unkapriziös. (Guido Gluschitsch, 17.12.2018)

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