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Russische Kampfjets flogen am Sonntag über die Brücke, die das russische Festland mit der annektierten Halbinsel Krim verbindet. Unten blockierte ein Schiff die Durchfahrt.

Foto: Reuters / Pavel Rebrov

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Der Streit um die Krim hat deutlich an Brisanz zugenommen: Sechs ukrainische Seeleute (laut russischen Angaben sind es drei) wurden verletzt, als die russische Küstenwache am Sonntag die Durchfahrt zweier ukrainischer Artillerieboote und eines Bugsierschiffs durch die Meerenge von Kertsch mit Gewalt stoppte.

Die russischen Grenzschützer rammten zunächst den Schlepper und drängten die ukrainischen Marineschiffe kurz vor der neugebauten Krimbrücke aus der Wasserstraße. Die Situation spitzte sich weiter zu, als beide Seiten Verstärkung anforderten. Auf russischer Seite patrouillierten dann neben acht Schiffen auch Militärhubschrauber und Kampfflugzeuge, auf ukrainischer Seite näherten sich zwei weitere Flottenboote von Norden her der Meerenge. Später am Abend eröffnete die Küstenwache dann das Feuer auf die Ukrainer und nahm die Besatzungen der drei Schiffe – mehr als 20 Mann – fest.

Weder bei der Abspaltung der Krim, noch dem Krieg in der Ostukraine ist das Kriegsrecht ausgerufen worden. ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz berichtet, ob mit einem neuen Krieg zu rechnen ist.
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Das Gefecht ist ein gefährlicher Präzedenzfall, denn erstmals sind russische und ukrainische Streitkräfte offiziell miteinander kollidiert. Bei den seit Jahren anhaltenden Kämpfen zwischen ukrainischen Truppen und Separatisten im Donbass-Gebiet hat Russland eine Beteiligung seines Militärs stets abgestritten und die von der Ukraine im Kriegsgebiet gefangenen Russen als Freiwillige bezeichnet, die keine regulären Soldaten seien.

Gewollte Eskalation

Auf die Eskalation haben beide Seiten seit geraumer Zeit hingearbeitet: Kiew hat die Lage im Asowschen Meer durch die Festsetzung russischer Handelsschiffe wegen Verletzung der eigenen Hoheitsgewässer angeheizt – und durch Pläne, eine Flottenbasis in Berdjansk zu errichten. Berdjansk liegt am Nordufer des Asowschen Meers und ist von See aus einzig durch die Meerenge von Kertsch zu erreichen.

Russland seinerseits hat damit begonnen, im Asowschen Meer systematisch ukrainische Schiffe zu stoppen und zu durchsuchen. Nach der Fertigstellung der Krim-Brücke hat Russland zudem auch die Meerenge von Kertsch, das Nadelöhr zwischen Schwarzem und Asowschem Meer, verstärkt unter militärische Kontrolle und sich damit das Recht genommen, die Einfahrt zu sperren.

Beide Seiten widersprechen sich in dem Punkt, ob die Ukraine Russland vor der geplanten Durchfahrt informiert hat oder nicht. Dementsprechend werfen sich Kiew und Moskau nun Provokation vor.

Poroschenko ordnet Mobilisierung an

Die politischen Folgen des Konflikts könnten dabei, selbst wenn es nicht zu einer weiteren militärischen Eskalation kommt, speziell in der Ukraine gravierend sein. Präsident Petro Poroschenko hat bereits die Mobilisierung der Streitkräfte angeordnet. Zudem ließ er nach der Sitzung des nationalen Sicherheitsrats das Kriegsrecht ausrufen. Das ukrainische Parlament, die Rada, stimmte dem Dekret am Montag zu. Für die Vorlage stimmten 276 Abgeordnete, dagegen nur 30.

Das Kriegsrecht wird für 30 Tage verhängt und sieht potenziell zahlreiche Einschränkungen der Bürgerrechte vor. So können Demonstrationen, Streiks und Proteste verboten werden. Angesichts der angespannten sozialen Lage in der Ukraine sind Proteste keine Seltenheit im Land.

Theoretisch sind auch die Einführung einer Sperrstunde, Personenkontrollen durch das Militär und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit möglich. Selbst das Verbot von Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen ist durch Kriegsrecht gedeckt, "wenn sie eine Gefahr für die Souveränität und nationale Sicherheit der Ukraine darstellen".

Spekulationen um Wahl

Poroschenko hat zwar versprochen, dass die Verhängung des Kriegsrechts für die Ukrainer keine Einschränkung der Verfassungsrechte bedeuten werde. Die anstehenden Präsidentenwahlen sind damit jedoch massiv gefährdet.

Termin ist der 31. März. Der Ausnahmezustand fiele somit mitten in den Wahlkampf. Russische Politiker wie der Chef des Außenausschusses im Föderationsrat, Wladimir Dschabarow, äußerten bereits die Vermutung, die Eskalation diene dazu, die Wahl abzusagen. Poroschenko selbst hat sich noch nicht dazu geäußert, ob er bei der Abstimmung überhaupt antreten will. Umfragen zufolge stehen seine Chancen auf eine Wiederwahl allerdings schlecht. Den Soziologen zufolge hätte er sogar Schwierigkeiten, in die Stichwahl zu kommen. Poroschenko werden massive Versäumnisse in Wirtschafts- und Innenpolitik vorgeworfen. Viele Wähler nehmen ihm zudem übel, dass er sich entgegen seinen Wahlversprechen nicht von seinen eigenen Besitztümern getrennt hat.

Politische Beobachter in Kiew sagen Poroschenko trotzdem Ambitionen auf eine neue Amtszeit nach. Tatsächlich hat Poroschenko zuletzt verstärkt politische Aktivität gezeigt. So gilt er als treibende Kraft hinter der geplanten Wiedervereinigung der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die dann allerdings von Moskau losgelöst sein soll.

Nach dem Segen des Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus, der inoffiziell als Oberhaupt der orthodoxen Kirchen gilt, wurde Poroschenko nicht müde, seiner potenziellen Wählerklientel die eigenständige ukrainische Kirche auch als persönlichen Erfolg zu präsentieren. Genauso ist die Ausrufung des Kriegsrechts durchaus als politisches Manöver zu verstehen, um seine Anhänger zu mobilisieren und von sozialen Problemen im Land abzulenken. (André Ballin aus Moskau, 26.11.2018)