Zwei Stunden lang hatten die Tauben den Wiener Hauptbahnhof für sich allein. Die ÖBB hatte den Bahnbetrieb heruntergefahren.

Matthias Cremer

Die ÖBB hat die Gewerkschaft am Montag quasi aus ihrem Warnstreik gestreikt. Rund 100.000 Fahrgäste waren betroffen, heißt es am Dienstag auf STANDARD-Anfrage. Um 11.00 Uhr verkündete die Staatsbahn, das österreichische Bahnnetz von 12 bis 14 Uhr österreichweit aus Sicherheitsgründen einzustellen. In der Folge kam auch der grenzüberschreitende Bahnverkehr zum Erliegen.

DER STANDARD

Auslöser für die auch im internationalen Schienenverkehr schwerwiegende Entscheidung der ÖBB-Führung war die Ankündigung der Gewerkschaftverhandler vor der ultimativen Gehaltsrunde am Montagmorgen, die Betriebsführungszentrale Linz lahmzulegen. Damit wäre de facto die gesamte Weststrecke lahmgelegt und das Sicherheitsrisiko zu groß gewesen, so die zunächst nicht in der Öffentlichkeit kommunizierte Begründung der ÖBB-Führung.

Als die Gewerkschaft die Kollektivvertragsrunde nach 45 Minuten verlassen hatte – das abends zuvor verbesserte Angebot wurde nicht angenommen –, sah die Bahn offenbar Feuer am Dach und nahm als Infrastrukturbetreiber nicht nur ihre eigenen Züge vom Netz, sondern auch jene zahlreicher Privat-, Landes- und Lokalbahnen, allen voran die der Westbahn.

Angebot über Beamten-KV

Zum Letztangebot der Arbeitgeber, an dem auch die ÖBB-Spitze maßgeblich mitgewirkt hatte, nahm die Gewerkschaft nicht ausführlich Stellung. Dafür aber der ÖBB-Eigentümervertreter, Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), der die Verhandlungspartner mehrfach zu weiteren Verhandlungen und einer Einigung drängte. Das Angebot besteht laut Hofer aus einem mehrstufigen Paket.

Ein Warnstreik der Eisenbahner-Gewerkschaft hat am Montag zu Zugausfällen und massiven Verspätungen geführt. Nach Schätzungen der ÖBB waren rund 100.000 Fahrgäste betroffen.
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Mitarbeitern im ÖBB-Beamtendienstrecht wurden im Schnitt 2,96 Prozent und allen anderen Mitarbeitern eine Anhebung um durchschnittlich 3,37 Prozent angeboten. "Damit liegen wir im Bereich der ÖBB-Beamten über dem Abschluss der Beamten-KV und in den anderen Bereichen in der Nähe des Abschlusses der Metaller", rechnete Hofer vor, der den Aufwand allein für die ÖBB mit rund 80 Millionen Euro bezifferte.

Im Detail wurden 375 Euro Einmalzahlung für die Monate Juli, August und September geboten, von Oktober bis Dezember ein Plus von drei Prozent und ab Jänner 2019 (bis Juni) eine Erhöhung um 3,15 Prozent, heißt es in einer ÖBB-Managementinfo, in der die ÖBB-Mitarbeiter über die bis dato noch nicht realisierten Erhöhungen informiert wurden. Diese Info liegt dem STANDARD vor.

Das Angebot der Arbeitgeber liege hart an der Grenze des Leistbaren, heißt es weiter. Das "substanziell verbesserte Angebot" von 3,37 Prozent der Arbeitgeberseite sei ein "umfangreicher Forderungskatalog", konterte die Gewerkschaft.

Gelbe Banner und mehrsprachige Durchsagen auf den Bahnhöfen informierten die Reisenden über die Einstellung des Zugverkehrs. Die schuldigen Streikwilligen wurden auch genannt.
Foto: Matthias Cremer

Hofer sieht unnötigen Streit

"Der Einzige, der einen Grund zum Streiken hätte, ist der Finanzminister", ließ der Verkehrsminister die Öffentlichkeit wissen. Und weiter: "Ich habe den Eindruck, dass hier eine Seite in den Verhandlungen auf dem Fußballfeld steht, aber Rugby spielt. Der Schiedsrichter sind die Bahnkunden, auf deren Rücken dieser nicht notwendige Streit ausgetragen wird."

Eine Einigung auf einen Eisenbahner-Kollektivvertrag war am Montagabend nicht absehbar. Die Gewerkschaft hatte sich zu Beratungen in ihren Gremien zurückgezogen, weitere Streiks seien nicht ausgeschlossen. "Die nächste Stufe nach dem Warnstreik ist der Streik, aber so weit sind wir noch nicht", sagte Vida-Chef Roman Hebenstreit, im Brotberuf Vorsitzender der Konzernvertretung der ÖBB-Bediensteten. Arbeitgeber-Chefverhandler Thomas Scheiber von den Innsbrucker Verkehrsbetrieben war bis zum Schluss in der Hoffnung, die Situation beruhigen zu können.

Nach den Warnstreik der ÖBB, ist weiterhin keine Einigung auf einen Kollektivvertrag in Sicht. Die Gewerkschaft schließt weitere Streiks nicht aus. Eine genaue Zahl zur Lohnerhöhung wollte Eisenbahner-Vertreter Roman Hebenstreit nicht nennen.
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Alle Räder standen still

Bis 14 Uhr war der Zugverkehr österreichweit eingestellt. Regionalzüge, S-Bahnen genauso wie ÖBB-Railjets und Westbahn-Garnituren wurden an den Bahnsteigen abgestellt – insgesamt 670 Züge, 600 davon im Nahverkehr und 70 im Fernverkehr. Auch der Güterverkehr stand still.

Die ÖBB drängt weiter auf einen Abschluss und forderte die Gewerkschaft auf, die Verhandlungen nicht auf dem Rücken der Fahrgäste auszutragen. Mehrere Teilgewerkschaften erklärten sich solidarisch mit der Dienstleistungsgewerkschaft Vida.

Nun sucht man vor allem auf Gewerkschaftsseite eine Exitstrategie. Man werde nicht weiter eskalieren, beteuert die ÖBB.

Bei der streikerprobten deutschen Lokführergewerkschaft GDL beobachtet man die Aktionen in Österreich mit Interesse. GDL-Tarifreferent Nico Rebenack sieht insbesondere die knappe Frist zwischen Bekanntgabe der Streikpositionen und dem Ende der Verhandlungen kritisch: "Aus unserer Erfahrung sagt man spätestens 24 Stunden vorher, wo gestreikt wird. Das sieht unser Kodex vor, an den wir uns halten."

Ein Notfallkonzept seitens des bestreikten Bahnunternehmens stehe zwar binnen sechs Stunden, "aber die Wirkung eines Streiks wird erfahrungsgemäß nicht dadurch ausgehebelt, dass das Unternehmen früher über Maßnahmen informiert wird. Wir haben einen Streik auch schon fünf Tage vorher mitgeteilt, und trotzdem waren die Fahrgäste betroffen."

Von Täuschungsmanövern dürfe man sich nicht irritieren lassen, etwa indem eine Baustelle vorgetäuscht oder den Fahrgästen ein bestreikter Zug als Zugausfall gemeldet wird. Dadurch werde die faktische Wirkung nach unten geschraubt. Beim Streik im Tarifkonflikt 2016/17 sei die Deutsche Bahn überhaupt Notfallfahrpläne gefahren, ohne dass tatsächlich gestreikt wurde. Die haben gar nicht mehr zurückgestellt auf Normalfahrplan", sagt der GDL-Mann. (Luise Ungerboeck, 26.11.2018)