Der Brexit ist längst spürbar, sagt Stefan Schneider. Er ist seit November 2013 Chefökonom für Deutschland bei der Deutschen Bank.

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Vielen Brexit-Unterstützern kann es nicht schnell genug gehen. Ökonomen warnen vor einer zu hastigen Trennung.

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STANDARD: Der Brexit ist zwischen der britischen Regierung und der Europäischen Union ausverhandelt. Jetzt muss der Austritt aus der Union allerdings noch durch das Parlament in London. Wie groß sind die wirtschaftlichen Folgen dieses Kompromisses?

Schneider: Darin wird eigentlich nur der Ausstieg geregelt, für die Wirtschaft ist die entscheidende Frage: Was kommt danach? Alleine die Verunsicherung darüber hinterlässt Spuren. Schon in den zwei vergangenen Jahren hat es deutliche Wachstumsverluste gegeben. Das sieht man bei Investitionen oder an den deutschen Exporten nach Großbritannien, die zuletzt um mehr als zehn Prozent unter dem Vorjahresniveau lagen. Unternehmen überdenken ihre globalen Wertschöpfungsketten, in denen das Vereinigte Königreich eine Rolle spielt. Je größer der Abstand zwischen Großbritannien und der Europäischen Union ist, desto größer wird die Abwanderung von Betrieben aus dem Land sein.

STANDARD: Die Regierung in London kontert, dass sie mit einer Entfesselung der Wirtschaft – also beispielsweise weniger Bürokratie, Steuersenkung und liberalen Freihandelsabkommen – das Wachstum ankurbeln könne.

Schneider: Ich würde das eher im Bereich des Wunschdenkens der Brexiteers ansiedeln. Internationale Vergleiche zeigen, dass England jetzt schon zu den am stärksten deregulierten Ländern der Welt zählt. Von daher gibt es hier wenig Luft nach oben.

STANDARD: Aber bei Konsumenten-, Umwelt- oder Arbeitnehmerschutz gibt es schon ein paar Sachen, die – ohne eine inhaltliche Bewertung vorzunehmen – nicht gerade wachstumsfördernd sind. Gibt es hier nicht doch Potenzial durch geringere Auflagen?

Schneider: Ich denke nicht, dass man in Großbritannien die Arbeitszeit auf mehr als zehn Stunden ausdehnen möchte. Auch beim Absenken des Umweltschutzes gibt es Grenzen. Die Europäische Union würde bei Importen aus dem Königreich bestimmt die Einhaltung von UmweltsStandards in der Produktion einfordern. Großbritannien würde nichts gewinnen, wenn es versuchen würde, andere Staaten auf diesem Gebiet zu unterbieten.

STANDARD:Wer wird der große Gewinner auf dem Kontinent sein, wenn Banken und andere Finanzinstitute Großbritannien verlassen?

Schneider: Ich glaube nicht, dass es den großen Gewinner gibt. Die Häuser haben unterschiedliche Ausweichquartiere gewählt. Auch Frankfurt hat deutlichen Zuzug. Globale Player werden auch mehr Geschäfte von Singapur, Hongkong oder New York aus machen. In Frankfurt sieht man schon, dass die Mieten einen Schub gemacht haben. Auch die Warteschlangen bei Anmeldungen an internationalen Schulen sind ein Zeichen für den Zuzug aus London. (INTERVIEW: Andreas Schnauder, 27.11.2018)