Russische Kampfjets flogen am Sonntag über die Brücke, die das russische Festland mit der annektierten Halbinsel Krim verbindet.

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Bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats warf die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, Russland eine "skandalöse Verletzung" der ukrainischen Souveränität vor.

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Moskau/Kiew – Das Vorgehen Russlands gegen ukrainische Schiffe vor der Krim hat scharfe Reaktionen der EU, der USA und der Nato ausgelöst. Die EU werde nach Worten der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl auch über weitere Sanktionen gegen Russland sprechen müssen. Kneissl verwies am Dienstag in Berlin darauf, dass am 10. Dezember eine Sitzung der Außenminister der EU-Staaten anstehe. "Alles hängt von der Sachverhaltsdarstellung ab und vom weiteren Verhalten der beiden Kontrahenten", sagte Kneissl auf die Frage nach weiteren Sanktionen. "Aber das wird zu prüfen sein."

Estland hatte zuvor bereits neue Sanktionen gegen Russland gefordert. "Wir haben gesagt, dass wir bereit sind, die Sanktionen auszuweiten", sagte der estnische Verteidigungsminister Jüri Luik. "Sanktionen sind der kraftvollste Weg, um Russland zu zeigen, dass wir es ernst meinen."

Die US-Botschafterin bei den UN, Nikki Haley, sprach am Montag von einer "skandalösen Verletzung" der ukrainischen Souveränität und einem "arroganten Akt, den die internationale Gemeinschaft verurteilen muss". US-Präsident Donald Trump erklärte, ihm gefielen die Vorfälle zwischen Russland und der Ukraine nicht. Er arbeite mit den Europäern zusammen und hoffe, dass sich die Angelegenheit kläre.

Weder bei der Abspaltung der Krim noch bei dem Krieg in der Ostukraine ist das Kriegsrecht ausgerufen worden. ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz berichtet, ob mit einem neuen Krieg zu rechnen ist.
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Nach einer Krisensitzung der Nato betonte Generalsekretär Jens Stoltenberg, alle Mitglieder des Militärbündnisses hätten sich hinter die Ukraine und ihre territoriale Integrität gestellt. Die Ukraine ist nicht in der Nato, strebt aber eine Mitgliedschaft an. "Was wir gestern gesehen haben, war sehr ernst", resümierte Stoltenberg. Er forderte Russland auf, umgehend die beschlagnahmten ukrainischen Schiffe freizugeben und deren Besatzungen freizulassen.

Seeleute vor Gericht

Über das weitere Schicksal der mehr als 20 festgehaltenen ukrainischen Marineangehörigen wird ein Gericht entscheiden, der Kreml habe darüber keine Handhabe, sagte Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Die Seeleute sollten im Laufe des Dienstags auf der Krim einem Haftrichter vorgeführt werden.

Moskau warf der Ukraine seinerseits vor, mit ihren westlichen Verbündeten einen Konflikt provozieren zu wollen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erließ ein Dekret zur Verhängung des Kriegsrechts ab Mittwoch, um das Land für die Abwehr einer möglichen russischen "Invasion" zu rüsten. Das Parlament stimmte am Abend zu, das Militär ist bereits in voller Alarmbereitschaft.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) rief zum Dialog auf. "Wir sind sehr besorgt über die Entwicklungen im Asowschen Meer und der Meerenge von Kertsch", teilte der OSZE-Vorsitzende und italienische Außenminister Enzo Moavero Milanesi am Dienstag mit. Er rief alle Konfliktparteien auf, politisch und diplomatisch an einer Deeskalation der Lage mitzuwirken und die Spannungen zu senken, um eine weitere Destabilisierung der Region zu vermeiden. Die Entwicklungen zeigten, dass eine Zusammenarbeit in der OSZE auch weiterhin wichtig sei.

Eskalation am Sonntag

Am Sonntag brachten russische Truppen drei Schiffe der ukrainischen Marine unter ihre Kontrolle.
DER STANDARD

Der seit Jahren schwelende Krim-Konflikt eskalierte am Sonntag in der Straße von Kertsch – einer Meerenge zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und Südrussland, die das Schwarze und das Asowsche Meer verbindet. Russland verwehrte mithilfe eines Frachtschiffs drei ukrainischen Marinebooten die Einfahrt in dieses Gewässer. Beide Seiten widersprechen sich in dem Punkt, ob die Ukraine Russland vor der geplanten Durchfahrt über diese informiert hat oder nicht. Dementsprechend werfen sich Kiew und Moskau nun Provokation vor.

Mindestens zwei russische Kampfflugzeuge tauchten Augenzeugen zufolge über dem Schauplatz auf. Russische Grenzschutzboote beschossen die ukrainischen Schiffe und verletzten dabei mehrere Matrosen. Anschließend beschlagnahmten sie die Boote und brachten sie mit ihren Besatzungen in die Hafenstadt Kertsch. Russischen Angaben zufolge befinden sich die verletzten Matrosen nicht in Lebensgefahr und werden behandelt.

Merkel telefoniert mit Putin und Poroschenko

Großbritannien, Frankreich, Polen, Dänemark und Kanada brandmarkten allesamt die Ereignisse vor der Krim als russische Aggression. Die EU-Kommission nannte das Verhalten Russlands inakzeptabel. Russland solle die ukrainischen Schiffe wieder zurückgeben. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dabei habe Merkel die Notwendigkeit von Deeskalation und Dialog betont, wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Merkel und Putin hätten "die Option einer Analyse des Vorfalls unter Beteiligung russischer und ukrainischer Grenzschutzexperten" besprochen und vereinbart, hierzu in Kontakt zu bleiben.

Putin habe wiederum, wie die russische Agentur Tass berichtete, die Kanzlerin gebeten, auf die ukrainische Führung einzuwirken, "keine weiteren unüberlegten Schritte" zu ergreifen. Putin habe die Situation als "provokative Aktionen" der ukrainischen Seite geschildert sowie als "grobe Verletzung internationalen Rechts durch deren Kriegsschiffe" und als "beabsichtigtes Ignorieren der Regeln der friedlichen Passage durch territoriale Gewässer der Russischen Föderation".

In einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko äußerte Merkel ihre Besorgnis über die Lage und die Notwendigkeit von Deeskalation und Dialog. Dafür wolle sie sich einsetzen und mit Poroschenko in Kontakt bleiben. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) will zusammen mit Frankreich versuchen, in dem Konflikt zu vermitteln. Man habe angeboten, in den als Normandie-Format bezeichneten Verhandlungsrunden mit Vertretern aus Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich "an einer Lösung zu arbeiten", sagte Maas am Dienstag in Berlin.

Umstrittenes Kriegsrecht ab Mittwoch in Kraft

Die ukrainische Regierung hat ihrerseits das russische Vorgehen als aggressiven militärischen Akt verurteilt und die internationale Gemeinschaft zur Bestrafung Russlands aufgefordert. Poroschenko erklärte, mit dem Kriegsrechtsdekret habe er seine verfassungsmäßige Pflicht getan. Nach dem Votum des ukrainischen Parlaments soll das Kriegsrecht ab Mittwoch für 30 Tage in jenen Gebieten gelten, in denen die Gefahr eines russischen Angriffs als besonders hoch eingeschätzt wird.

Das Kriegsrecht sieht potenziell zahlreiche Einschränkungen der Bürgerrechte vor. So können Demonstrationen, Streiks und Proteste verboten werden. Angesichts der angespannten sozialen Lage in der Ukraine sind Proteste keine Seltenheit im Land.

Vereinbarung über Asowsches Meer

Russland hatte die Krim 2014 annektiert – damals hatte die Ukraine das Kriegsrecht allerdings nicht verhängt. Durch den Bau einer Brücke schuf Moskau eine Landverbindung zu Südrussland. Aufgrund der Annexion hatten die USA und die EU Sanktionen gegen Russland verhängt. Das Asowsche Meer darf nach einer Vereinbarung zwischen den Nachbarstaaten befahren werden.

Die Regierung in Moskau warf der Ukraine vor, die Aktionen in der Straße von Kertsch als Vorwand zu benutzen, um den Westen zu weiteren Sanktionen gegen Russland zu bewegen. Das eigene Vorgehen sei dagegen gerechtfertigt, weil die ukrainischen Marineboote illegal in russische Gewässer eingedrungen seien. Der auch für den Grenzschutz zuständige russische Geheimdienst FSB erklärte, die beschlagnahmten ukrainischen Kriegsschiffe hätten zuerst ihre Kanonen auf die russischen Schiffe gerichtet. Die folgenden Warnschüsse als Aufforderung zum Stoppen hätten diese missachtet. (Reuters, APA, ab, 27.11.2018)