Eine Kategorisierung des deutschen EU-Politikers Martin Sonneborn ist schwierig. Für die einen gilt er als veritabler Kasperl, für die anderen als einer der wenigen Politiker, die es schaffen, den Finger in so manch offene Wunde der EU-Politik zu legen – immer wieder einmal mit einer Prise Salz, damit es ordentlich wehtut.

Mit seinem Politprojekt "Die Partei" (ein Apronym für Die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) feiert der Bundesvorsitzende seit deren Gründung 2004 immer wieder Achtungserfolge. 2017 erreichte Die Partei bei den deutschen Bundestagswahlen etwa 245.000 Erst- und rund 450.000 Zweitstimmen. Ein Überschreiten der Einprozenthürde klappte dennoch selten, für den bisher einzigen Einzug in ein Parlament sorgte man bei den Europawahlen 2014, weil keine offizielle, sondern nur eine faktische Prozenthürde galt. Sonneborn – parteiintern auch "GröVaZ: Größter Vorsitzender aller Zeiten" genannt – sitzt seither in Brüssel und Straßburg und hat allmählich Gefallen gefunden an der EU-Politik, wie er im STANDARD-Gespräch erzählt. Die Partei sei mittlerweile "systemrelevant".

Ein "Lieblingsgegner" des gelernten Versicherungskaufmanns im EU-Parlament ist der wegen Volksverhetzung rechtskräftig verurteilte NPD-Abgeordnete Udo Voigt. Die Bundeskanzlerin bat er, Deutschland "besenrein" zu hinterlassen.
Martin Sonneborn

Kleinparteienhürde

Der Sitz im EU-Parlament sei nicht nur deshalb wichtig, weil man auf EU-Ebene viel mehr Unruhe stiften könne, sondern habe auch eine innenpolitische Bedeutung. Viele in Deutschland, vor allem die große Koalition aus CDU/CSU sowie SPD, würden keine Kleinparteien mögen, sagt Sonneborn. Die Bundestagsverwaltung etwa leitete eine juristische Auseinandersetzung mit der Partei ein, weil diese 100-Euro-Scheine um 80 Euro verkaufte. Trotz Siegen in den ersten beiden Instanzen sei der Prozess für die Partei dennoch potenziell "existenzbedrohend". Im Falle des Falles hofft man aber auf die Systemrelevanz der Partei und damit auf einen Rettungsschirm, so Sonneborn. Bei der Aktion ging es ihm darum, aufzuzeigen "wie sich die AfD ihre Gelder verschafft". Die AfD fiel in der Vergangenheit tatsächlich immer wieder mit zweifelhaften Finanzierungsmethoden auf, etwa mit in Deutschland illegalen Parteizuwendungen von anonymen Spendern.

Die deutsche Koalition versuchte kürzlich Kleinparteien durch eine Wahlrechtsreform einen weiteren Prügel vor die Beine zu werfen, um die "eigenen Stimmverluste zu kompensieren", sagt Sonneborn. Aktuell würden mit einer Prozenthürde sieben deutsche EU-Sitze von Kleinparteien auf die größeren Parteien aufgeteilt werden.

Emojis finden bei Sonneborn in Wort und Schrift immer wieder Verwendung.
Martin Sonneborn

Sonneborn sagte dazu, er war wieder einmal "hochbeeindruckt zu sehen, wie Deutschland den Takt in Europa vorgibt" und "unsinnige Vorhaben, die lediglich den deutschen Großparteien zugutekommen", forciert werden. Zum Glück hätten jedoch einige Staaten wie die Belgier, die traditionell auch viele Kleinparteien besitzen und "offensichtlich ein anderes Verständnis von Demokratie" pflegen, Unverständnis gezeigt und das Gesetz so zumindest bis zur nächsten Europawahl blockiert, erklärt Sonneborn. Sein Kampf um einen Sitz im EU-Parlament sei mittlerweile einfach auch zu einer persönlichen Fehde zwischen ihm, der Bundestagsverwaltung und der "Groko Haram" – wie Sonneborn die Große Koalition aus SPD und CDU gerne nennt –, geworden. Großparteien gegen Kleinparteien also.

Auf Wählerfang bei der AfD

Jedenfalls hat sich Sonneborn eine Mandatsverdoppelung für die EU-Wahlen im Mai 2019 zum Ziel gesetzt. Mit Satirikerkollege Nico Semsrott will er dadurch "doppelt so viel Öffentlichkeit" herstellen. Sonneborn bedauert, dass "das EU-Parlament nicht begreift, dass das natürlich auch für den Parlamentarismus gut ist, weil das Interesse bei den jungen Leuten weckt".

Martin Sonneborn weiß zu polarisieren. Bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse tauchte er als Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg verkleidet auf, um bei einer Lesung des AfD-Politikers Björn Höcke eine Aktentasche abzustellen. Stauffenberg stellte bei seinem fehlgeschlagenen Hitler-Attentat eine Aktentasche unter einem Tisch ab. Die Polizei hinderte Sonneborn am Vorhaben, eine – leere – Aktentasche abzustellen.
Foto: APA/AFP/dpa/ARNE DEDERT

Neben jungen Menschen – der mit Abstand stärksten Wählergruppe der Partei – hat man sich diesmal jedoch auch einen besonderen Kniff einfallen lassen, um im Wahlkampf durch "vertraute Namen" auch den ein oder anderen AfD-Wähler, "verwirrte CSU-Wähler oder auch demente CDU-Wähler" abzugreifen und vielleicht sogar bei Österreichern und Ungarn auf Unterstützung zu treffen, wie Sonneborn sagt. Ab Listenplatz drei "kandidieren deshalb Bombe, Krieg, Göbbels mit ö, Göring, Speer, Bormann, Eichmann, Kettel und Heß". Diese Leute ausfindig zu machen und sie tatsächlich von einer Kandidatur auf einem aussichtslosen Listenplatz zu überzeugen ist wohl auch ein Verdienst der einnehmenden Art, mit der Sonneborn in privaten Gesprächen Sympathiepunkte sammelt. Der trockene Satirikerschmäh wird nie abgelegt, er gehört einfach zu Sonneborn.

Im Herzen ein Linker

Allen bissig-satirischen PR-Aktionen und Wortmeldungen zum Trotz, lässt Sonneborn im STANDARD-Gespräch immer wieder auch durchklingen, dass ihm das Projekt Europa grundsätzlich sehr am Herzen liegt. Zwar machte Die Partei regelmäßig Wahlkampf mit dem Spruch "Inhalte überwinden", dennoch wünscht sich Sonneborn eine deutlich linkere und sozialere Politik. "Nach vier Jahren EU bin ich so weit zu sagen: Das Konstrukt ist gut, es ist nur mit den falschen Leuten besetzt." Auch wenn es das Parteiprogramm nicht immer sofort nahelegt, so kritisiert Sonneborn immer wieder die "neoliberale, wirtschafts- und finanzwirtschaftsorientierte Ausrichtung der EU" und sieht einen Mangel an "sozialer Unterfütterung und Umverteilung". Finanz- und Internetdienstleister müssten besteuert, ein einheitliches Steuerkonzept eingefordert, Sozialstandards angeglichen werden, fordert Sonneborn. Ob dies eines Tages in einem föderalem Europa geschieht, ist ihm egal, "solange es ein sozialeres Europa sein wird". Denn wenn "zu große Bevölkerungsteile zu wenig am Reichtum partizipieren, dann wählen sie halt blöd". Das würde auch das Beispiel Österreich zeigen.

Sonneborn meldet sich nur selten zu Wort. Wenn doch, wird es für den Adressaten meist ungemütlich.
Nico Wehnemann

Sobald das mit der "Machtübernahme der Partei in Deutschland" geklappt habe, werde sich das aber ohnehin ändern, ist sich Sonneborn sicher. Für diesen Fall verspricht er "Universalgerechtigkeit – aber mindestens doppelt so viel Gerechtigkeit, wie die SPD versprochen hat".

Nächster Parlamentspräsident?

Für einen etwaigen Wahlerfolg hat man sich bei der Partei vorsichtshalber bereits die Spitzenposten ausgeschnapst. Da sich Nico Semsrott bei Schere, Stein, Papier durchgesetzt hat, würde er Kommissionspräsident, Sonneborn Parlamentspräsident werden. Und dabei würde er sich "eher an Chulz (sic!) als an Tajani orientieren", weil es ihm ebenfalls Spaß machen würde, aus der Position des Parlamentspräsidenten heraus Leute zu demütigen, "ein paar FPÖler zum Beispiel".

Sonneborn nennt Schulz immer Chulz, mokiert sich damit über die besondere "Sch"-Aussprache des gescheiterten deutschen SPD-Kanzlerkandidaten, der selbst auch für seine lockeren Lippen bekannt war. Ein "nicht unsympathisches Großmaul", findet Sonneborn, der es "erstmals vermochte, das EU-Parlament ins Bewusstsein der Menschen zu rücken". Auch wie er sich immer wieder gemeinsam mit Kommissionspräsident Juncker positionierte, um dem Europäischen Rat etwas entgegenzustellen, imponierte Sonneborn. "Nico Semsrott und ich würden das auch so machen."

Dennoch sei er froh, Tajani im EU-Parlament zu haben, weil "der halbseidene Weggefährte des Bunga-Bunga-Italieners Berlusconi" bei der Aufklärung der MeToo-Debatte durch seine Bekanntschaften mit gewissen Personen auch "fachmännischen Rat beim Thema Belästigung geben" könne, so Sonneborn.

Martin Sonneborn hat den Anspruch, "nur eine Minute im Jahr zu arbeiten". Seine Reden im Parlament eignen sich perfekt dazu, dies nachzuweisen und zu dokumentieren. Die große Beliebtheit seiner Reden auf Youtube stachelt ihn dennoch nicht an, öfter zum Mikrofon zu treten. Man müsse über ein gewisses Gespür verfügen und das dosieren.
Martin Sonneborn

Kritik an Österreich

An Österreichs Bundesregierung lässt Sonneborn kein gutes Haar. Eine Coverstory des Satiremagazins "Titanic", deren Chefredakteur Sonneborn von 2000 bis 2005 war, sorgte bereits im Oktober 2017 für einen Eklat, als sie ein Foto von Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einem Fadenkreuz versah und damit betitelte, dass es durch Zeitreisen nun endlich möglich sei, "Baby-Hitler" zu töten. Der Aufschrei war groß. Auch Sonneborn teilte das Bild fleißig in den sozialen Netzwerken und wurde von Facebook dafür 30 Tage gesperrt. Zu Ermittlungen gegen das Magazin oder Sonneborn kam es dennoch nicht, da die Staatsanwaltschaft keine öffentliche Aufforderung zu Straftaten sah. Ein Prozess wegen Beleidigung blieb aus, weil der Kanzler selbst nie Anzeige erstattete.

Sonneborn, der sein Publizistik- und Germanistikstudium mit einer Magisterarbeit zum Thema "Titanic und die Wirkungsmöglichkeiten von Satire" abgeschlossen hat, bleibt wohl auch deshalb diesem Wording bei seiner Regierungskritik treu: "Dafür, dass der Baby-Hitler die 60-Stunden-Woche propagiert, macht er selbst im Rat relativ wenig." Seit Kurz etwa von Springer-Chef Mathias Döpfner besucht wurde, verhindere er, dass ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren zum Datenschutz und E-Privacy im Rat auf die Tagesordnung kommt, beschwert sich der EU-Politiker. "Ansonsten schätze ich den kleinen, großohrigen Mann, ich bin ja selbst unseriöser Populist. Zwinkersmiley!" Ihn schockiere, dass "ein solches Abziehbild von so vielen gewählt wird". Erklären kann er sich das nur damit, dass "Österreichs Sozialdemokratie noch kaputter sein muss als die hier in Deutschland".

Der 53-Jährige lebte ein Jahr in Wien. Er schätzt die Stadt, die Österreicher und das Fiakergulasch, aber bei der Politik müsse sich dringend etwas ändern. Ausschließen aus der EU will er Österreich dennoch nicht, viel eher Malta, Irland oder Ungarn.
Foto: STANDARD / Sommavilla

Sonneborn pflegt auch mit so manchem FPÖ-Politiker in Brüssel ein besonderes Verhältnis. Wenn es nicht gerade um enge Abstimmungen geht, stimmt Sonneborn – getreu seinem Wahlkampfmotto: Europa Ja, Europa Nein – abwechselnd mit Ja und Nein ab. An Schönwettertagen beginne er dann mit Ja, bei Schlechtwetter mit Nein. Ausnahmen macht er nur in zwei Fällen. Wenn sich ein knappes Ergebnis abzeichnet und er sich moralisch verpflichtet fühlt, hinter einer Sache zu stehen – etwa gegen Waffenlieferung oder für ein freies Internet. Oder wenn ihm sein Sitznachbar im Parlament, der österreichische FPÖ-Abgeordnete Georg Mayer, wieder einmal mit dem Ellbogen in die Seite stoße und ihn dazu anstiften möchte, "gegen das Establishment abzustimmen". Dann schaue Sonneborn zu Mayer rüber und stimme einfach anders als dieser ab. Auch wenn er genervt oder verkatert ist, könne es vorkommen, dass er sich "verstimme".

Das Straßburger Parlamentsgebäude würde er übrigens an Studenten oder Flüchtlinge untervermieten, nachdem man nur rund 36 Tage im Jahr dort ist. Die mit Dusche, WC und Bett ausgestatteten Abgeordnetenbüros seien dafür perfekt. Nur die Bewegungsmelder für das Licht könnten dabei nerven. Ob Österreichs Ableger von Die Partei auch bei den EU-Wahlen antritt, ist noch unklar. Das Sammeln der Unterstützungserklärungen sei mühsam, und es koste auch 3.500 Euro. Geld, um das der Österreich-Ableger derzeit bei der Mutterpartei ansucht. (Fabian Sommavilla aus Straßburg, 19.1.2019)