Die Zeit wird mittels rotierender Scheiben angezeigt. Der Minutenanzeige gebührt dabei der meiste Platz.

Foto: Ressence

Verbaut ist die e-Crown-Technologie in einem Modell der Type-2-Reihe.

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Die Krone ist bei Ressence-Modellen auf der Rückseite der Uhr zu finden.

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Die Ressence Type 5G – mit Öltemperaturanzeige – ist tatsächlich eine Taucheruhr: Die Ölfüllung hält dem Außendruck immer den exakten Druck entgegen. Damit ist die Uhr unbegrenzt wasserdicht.

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Ablesbar aus jedem Winkel. Die Ressence Type 3N zeigt Minuten, Stunden, Datum, Wochentag, Öltemperatur und einen 120-Sekunden-"Runner" an.

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Die Type 3 in Bild und Ton erklärt.

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Hier eine der allerersten Uhren von Ressence, als die Krone noch dort war, wo man sie gewohnt ist. Die Scheiben übten schon damals ihre Faszination aus.

The Prodigal Guide

In der derzeit grassierenden Retrowelle sind die Uhren von Ressence äußerst erfrischende "Wellenbrecher": Die Belgier suchen ihr Heil nämlich nicht in der Vergangenheit wie so viele der alteingesessenen Traditionshäuser. Schon gar nicht in der eigenen – das ist auch schwer möglich, die Marke ist ja erst zarte acht Jahre alt –, sondern abseits der ausgetretenen Pfade. Futuristisch, avantgardistisch, organisch sind denn auch die Attribute, die man zu hören bekommt, wenn die Sprache auf die Zeitmesser von Ressence kommt.

"Industriedesign mit klassischer Uhrmacherei verbinden", das sei sein Anliegen gewesen, erklärt Benoît Mintiens, der die Marke 2010 gründete. Als Industriedesigner entwarf er Staubsauger für LG, Kinderwagen für Maxi Cosi und hat auch bei der Innenausstattung der First Class der Air France mitgemischt.

In einem Punkt gescheitert

Mit Uhren habe er sich zu beschäftigen begonnen, als er einen Freund auf die Baselworld begleitete und, wie er erzählt, von der Gleichförmigkeit der dort gezeigten Zeitmesser enttäuscht war. "Das kann ich besser", dachte sich Mintiens und widmete sich in seiner Freizeit dem Entwurf einer Uhr, die seinen Ansprüchen genügt und das Potenzial hat, die Szene aufzumischen: Ergonomisch sollte sie sein, spannend, leistbar. Dabei sei er, wie er in einem Gespräch mit "Bilanz" betonte, kein Uhren-Freak.

Um es kurz zu machen, die erste Kleinserie verkaufte er vom Stand weg. Es folgte die erste "echte" Serie, das Modell Type 1 – mit jenen Merkmalen, die der Marke die Aufmerksamkeit der Fachwelt garantiert(e). Nur bei der Leistbarkeit ist er gescheitert: Die Uhren kosten ab 18.000 Euro.

Gewöhnungsbedürftig

Tatsächlich ist man leicht irritiert, wenn man zum ersten Mal eine Ressence in Händen hält. Ihre Optik ist gefällig, ihre Haptik wie ein flacher Kieselstein. Da ist zunächst einmal das Zifferblatt, das wie gezeichnet wirkt, so klar, als würde man auf ein hochauflösendes OLED-Display blicken. Dann die Zeitanzeige: Es gibt keine Zeiger im klassischen Sinn. Eine Krone sucht man ebenfalls vergebens. Sehr gewöhnungsbedürftig ist das, aber auch interessant.

Es ist eine Uhr, mit der man sich befassen muss: Scheiben mit aufgezeichneten Zeigern sind es, die die Zeit angeben. Eine Scheibe für die Stunden, eine für die Minuten, eine für die Sekunden, eine für die Tage und – im Falle der Type 3 – sogar eine für die Temperatur.

Diese Scheiben rotieren miteinander und ineinander, womit das "Gesicht" der Uhr ständig in Bewegung ist. Im Mittelpunkt steht die Minutenanzeige, der vergleichsweise viel Platz eingeräumt wird. "ROCS" nennen dies die Belgier, die ihre Uhren in der Schweiz fertigen lassen: R steht für Ressence, O für Orbital, weil sich die Scheiben eben auf diese Weise bewegen, C für Convex, weil die Scheiben – passend zum Design des Gehäuses – nach außen gewölbt sind, und S steht für System, weil es sich um ein mechanisches Modul handelt.

Spezieller Kniff

Die Anzeige scheint sich dabei auf einer Ebene mit dem Saphirglas zu befinden. Sie kann aus jedem Blickwinkel klar abgelesen werden. Dieser Effekt wird zum einen durch die bereits erwähnte Wölbung der Scheiben und des Glases erzielt und zum anderen mittels eines sehr speziellen Kniffs: Denn der Raum zwischen Zifferblattoberfläche und Glasinnenfläche ist (ab den Uhren der Modellreihe 3) mit einem hochviskosen Öl ausgefüllt.

Das hat den Vorteil, dass sich das Licht an der Glasoberfläche nicht bricht. "Wir machen Dinge, die ein traditioneller Uhrmacher niemals machen würde", sagt Benoît Mintiens, der wohl schon mit dem einen oder anderen skeptischen Puristen zu tun hatte.

Aber Moment: Wie funktioniert das dann mit dem Uhrwerk? Schwimmt das auch im Öl? Nein. Das Automatikwerk von ETA, im unteren Gehäuseteil, ist von dem mit Öl gefüllten Part komplett isoliert. Es gibt keine mechanische Verbindung, die Kraftübertragung erfolgt berührungslos über Magneten.

Nächstes Level

Die Krone, zum Einstellen der Uhrzeit, wiederum befindet sich auf der Rückseite. So wird der Gehäuseboden selbst zur Krone. Das klingt schon einmal avantgardistisch, reicht Mintiens aber nicht. "e-Crown" nennt sich das Konzept, das die Krone und die mechanische Uhr auf ein neues Level heben soll.

Vorbild ist Adrien Philippe – der hat 1842 jenen Mechanismus erfunden, ohne den die (Armband-)Uhr heute anders aussehen würde, genau: den Aufzug über die Krone. Bis dahin hat man das Uhrwerk nämlich mit einem Schlüssel aufgezogen. Damals war das, wie man heute sagen würde, disruptiv.

Für das "e-Crown"-Projekt konnte Mintiens Tony Fadell gewinnen, den Erfinder des iPods, Gründer von Nest und begeisterter Uhrensammler. Gemeinsam entwickelten sie ein elektronisches Bauteil, das sich zwischen ROCS-Modul und Uhrwerk befindet, die Zeitinformation des Werks speichert und bei Bedarf an die Anzeige weitergibt.

Innerer Zeitzähler

Sollte die Uhr also stehen bleiben, weil man sie mehrere Tage nicht trägt, kann man die e-Crown mit Tippen aufs Uhrenglas aktivieren. Die elektronische Krone überprüft dann die Position von Stunden und Minuten und stellt fest, ob diese mit der vergangenen Zeit übereinstimmt, seit der die Uhr per Hand (oder auch per App) gestellt wurde.

Dies ermöglicht ihr ein innerer Zeitzähler, der signalisiert, wie viel Zeit vergangen ist. Weicht die angezeigte Uhrzeit davon ab, stellt sich die Uhr wie von Geisterhand selbst. Das ist ebenso faszinierend zu beobachten wie der Vorgang, wenn sich die e-Crown Energie holt, um ihren Akku aufzuladen: Es öffnen sich kleine Lamellen auf einer der Scheiben auf dem Zifferblatt, hinter denen sich Fotovoltaikzellen befinden. Raumfahrttechnologie am Handgelenk.

Die Uhr selbst, das stellt Mintiens gleich klar, wird rein mechanisch angetrieben und funktioniert auch ohne Elektronik. Sonst könnte man ja gleich Smartwatch zu ihr sagen. (Markus Böhm, RONDO, 8.1.2019)