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Unter dem Motto "Frauen gegen Bolsonaro" zeigten viele, dass sie keinen frauen- und homofeindlichen Präsidenten wollen, sagt Linkerhand. Gewählt wurde er dennoch.

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Die Diskussion um Identität seit nicht neu, sagt Koschka Linkerhand.

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Feminismus wurde in den letzten Jahren deutlich weniger akademisch und konnte breiter mobilisieren, als das etwa noch in den 1990er-Jahren möglich war. Trotzdem geht das Nachdenken über spezifischere feministische Ansätze weiter. Etwa ab 30. November, wo an der Universität die Tagung "Materialistischer Feminismus" stattfindet. Diese will die Verknüpfung von Patriarchat und kapitalistischer Ausbeutung vor allem entlang der ökonomischen Ebenen analysieren. Wie das genau aussehen kann, erklärt Koschka Linkerhand, die die Tagung mit ihrem Vortrag eröffnet.

STANDARD: Sie sprechen in Ihrem Vortrag über das politische Subjekt Frau. Wie steht es denn damit in den aktuellen feministischen Debatten?

Linkerhand: Das politische Subjekt Frau wird gerade sehr stark verhandelt. Einerseits hat es im Feminismus der letzten Jahrzehnte durch den Fokus auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt eine starke Abwendung vom Subjekt Frau gegeben. Und damit auch vom Feminismus der Zweiten Frauenbewegung, der sich ganz stark auf Frauen, Lesben oder auch Schwesternschaften bezogen hat. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Schlechterstellung von Frauen ja tatsächlich noch immer Realität ist – und man sich deshalb in feministischen Kämpfen auch darauf beziehen muss.

STANDARD: Das ist derzeit zu wenig der Fall?

Linkerhand: Interessant ist, dass durch den aktuellen Angriff auf Frauenrechte durch die völkische Rechte oder den politischen Islam dieser positive Bezug auf das Frausein wieder stärker wird. Das sieht man zum Beispiel an den Kämpfen von Frauen in Saudi-Arabien oder im Iran, die gegen die staatlichen und familiären Entrechtungen kämpfen müssen. Und wir sehen es auch im Kampf um das Recht auf Abtreibung, etwa in Argentinien oder Polen. Auch gibt es derzeit wieder Frauenstreikbündnisse, in denen man aufgrund des zunehmenden Angriffs auf Frauenrechte zur politischen Tat schreiten will.

STANDARD: Aber diese politischen Anliegen werden doch nicht geschwächt, nur weil man fordert, auch Transfrauen und people of color zu adressieren?

Linkerhand: Ich würde nicht von einer Schwächung sprechen, es ist eine Herausforderung. Bei den Angriffen auf das politische Subjekt Frau durch den Queerfeminismus oder den intersektionalen Feminismus wird oft übersehen, dass diese Auseinandersetzungen schon in der Zweiten Frauenbewegung stattgefunden haben. Es gab schon immer Interessengegensätze zwischen Proletarierinnen und bürgerlichen Frauen, oder schwarze Frauen haben gefordert, dass sich die Frauenbewegung doch mal um den Rassismus kümmern soll. Ich glaube, letztlich kommt es darauf an, den intersektionalen Anspruch inhaltlich zu füllen, genau zu schauen, wo ist Unterdrückung, die uns verbindet, und wo ist Unterdrückung verschieden. Wie werden etwa geflüchtete Frauen diskriminiert, und welche Probleme haben Lesben heute in Deutschland oder Österreich? Es muss aufgrund des wachsenden Drucks durch den Backlash gelingen, dass sich feministische Bewegungen nicht in identitären Selbstzuschreibungen erschöpfen – ich als woman of color, ich als Transperson, und was fangen wir nun miteinander an?

STANDARD: Das erinnert an die derzeit verbreitete Kritik an linker Identitätspolitik und dass diese …

Linkerhand: … die Arbeiterinnenbewegung kaputtgemacht hat? Ja, das hört man derzeit häufig. Ich teile die Aussage, dass eine Besinnung auf die ökonomischen Kategorien wieder wichtiger werde sollte. Ich teile aber nicht die Auffassung, die Identitätspolitik wäre schuld an allem Übel. Denn es gibt diese Identitäten. Die Diskriminierungen, die ihnen zugrunde liegen, sind gesellschaftliche Realität. Die Anerkennungskämpfe von Frauen, von schwarzen Menschen, von Homosexuellen, von Transpersonen – die finden ja unter identitären Vorzeichen statt. Von welcher Warte aus sollte man fordern, die Leute müssten ihre gesellschaftliche Identität sein lassen? Stattdessen kommt es darauf an, Identitätspolitiken miteinander zu vermitteln, statt Identitäte nicht ernst zu nehmen oder verhärtet gegeneinander zu stellen.

STANDARD: Und wie kann das aussehen?

Linkerhand: Es ist wichtig anzuerkennen, dass die Menschen davon geprägt sind, dass sie als Frauen, Homosexuelle oder nicht weiße Menschen durch die Straßen gehen. Aber man darf nicht dabei stehenbleiben und die eigene Betroffenheit gegen die der anderen ins Feld führen. Man muss sich stattdessen fragen, wie man die eigene Diskriminierungserfahrung mit der der anderen in Beziehung setzen kann, um dagegen gemeinsam auf die Straße zu gehen. Dieses Zusammenrotten war in der Zweiten Frauenbewegung einfacher.

STANDARD: Wie würden Sie materialistischen Feminismus beschreiben?

Linkerhand: Er ist erst einmal eine theoretische Bewegung, die sich aber auf reale politische Kämpfe und darauf bezieht, wie sich gute politische Forderungen ableiten lassen – unter den gesellschaftlichen Umständen, die wir heute haben.

STANDARD: Klingt pragmatisch.

Linkerhand: Ja, das ist auch nötig. Wir brauchen eine Diskussion darüber, auf welchen Ebenen feministische Politik heute stattfinden kann. Welcher Protest auf der Straße möglich ist, in der autonomen Linken, was parteipolitisch, gewerkschaftlich möglich ist. Wir müssen versuchen, eine möglichst breite Bündnispolitik zu machen. Ich plädiere dafür, bei einem inhaltlichen Punkt anzusetzen, die Paragrafen um Abtreibung sind da ein gutes Beispiel, weil sie gerade Menschen in vielen Ländern beschäftigen. Das ist eine Sache, auf die sich Feministinnen durch die Bank einigen können: Die Beschränkung oder sogar ein Verbot von Abtreibung ist abzulehnen. Dafür bräuchte es ein internationales feministisches Aktionsbündnis. Es gibt in mehreren Ländern inzwischen auch Frauenstreikbündnisse, wenn diese aber dann bei der Frage hängen bleiben, ob sie einen Frauenstreik oder Frauen*streik oder einen feministischen Streik machen wollen, um ganz inklusiv zu sein, dann ist es sehr schwer, inhaltlich zu diskutieren. Das ist furchtbar deprimierend, und ich hoffe, dass wir diese Phase bald durch haben. Letztlich braucht es, um gute linke Realpolitik machen zu können, eine feministische Utopie, wie eine Gesellschaft jenseits des kapitalistischen Patriarchats, jenseits der hierarchischen Zuordnungen Mann und Frau aussehen könnte. Diese Utopie wachzuhalten und vor ihrem Hintergrund politische Entscheidungen zu treffen, auch das sehe ich als große Aufgabe eines materialistischen Feminismus.

STANDARD: Sie sprechen oft vom Backlash. Viele würden das anders sehen und vielmehr einen sehr starken feministischen Fortschritt betonen.

Linkerhand: Ja, wir haben es aktuell mit einer irren Gleichzeitigkeit zu tun. Viele feministische Bewegungen gehen laut und fordernd auf die Straßen. Aber das Patriarchat ist leider viel stärker. Nehmen wir Brasilien, wo unter dem Motto "Frauen gegen Bolsonaro" viel passiert ist. Dabei hat sich zwar gezeigt, wie viele keinen faschistischen, frauen- und homofeindlichen Präsidenten wollen. Letztendlich ist er aber gewählt worden – extrem patriarchale Parteien und Präsidenten haben in vielen Ländern einfach die Staatsmacht. In Sachsen, wo ich lebe, ist es mit den Landtagswahlen im nächsten Jahr sehr wahrscheinlich, dass die AfD in die Regierung kommt. Es gibt zwar den breiten feministischen Widerstand, aber der Backlash ist in vielerlei Hinsicht mächtiger. Das Bewusstsein dafür, wie viel es zu verlieren gibt, ist viel zu schwach! Viele halten die Errungenschaften der Zweiten Frauenbewegung für gesichert. Die können sich nicht vorstellen, wie schlimm alles wieder werden kann. (Beate Hausbichler, 27.11.2018)