Das Gedenkheft wurde beim Match der Vienna gegen Maccabi Wien erstmals vorgestellt.

Wien – So nah waren der First Vienna Football Club und Maccabi Wien einander wohl noch nie. Sportlich trennt Österreichs ältesten Fußballklub nach seiner auf Misswirtschaft gegründeten Degradierung in die zweite Wiener Landesliga nur noch eine Spielklasse vom Oberligisten Maccabi.

Am Mittwochabend nun traf man in der vierten Runde des Toto-Cups aufeinander, des Pokalbewerbs des Wiener Verbandes. Anlässlich der Partie gegen die Döblinger gab Maccabi, der einzige jüdische Fußballverein der Stadt, seine eigentliche Heimstatt auf dem Dampfschiffhaufen an der Alten Donau temporär auf. Gespielt wurde zu Brigittenau, in der sogenannten WAF-Gruabn. Ja, auch das gibt es in Wien.

Umtriebige Anhänger der Vienna nahmen dieses Treffen, das ihr Team knapp mit 2:1 gewinnen sollte, zum Anlass, um mit der Präsentation eines Gedenkhefts an die allzu oft in Vergessenheit geratenen jüdischen Protagonisten ihres Klubs zu erinnern. "Vertrieben und ermordet. Jüdische Mitglieder des First Vienna Football Club 1894" will ein Anstoß zur Auseinandersetzung mit der jüdischen Vergangenheit der Blau-Gelben sein – und ist selbst bereits ein Produkt derselben. Maßgeblich an der Publikation beteiligt war der Historiker Alexander Juraske, Autor der 2017 erschienenen Vienna-Historie "'Blau-Gelb ist mein Herz'. Die Geschichte des First Vienna Football Club 1894".

Tod in Maly Trostinec

Bis zu ein Drittel der Vienna-Funktionäre waren Juden, 1938 wurden sie nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland umgehend aus dem Vereinsleben ausgeschlossen, die Spieler und sonstige Mitglieder jüdischen Glaubens ereilte das nämliche Schicksal. Sie wurden diskriminiert, verfolgt und ermordet.

So auch Rudolf Grünwald, der stellvertretend für viele steht. Der ehemalige Leiter der Vienna-Fußballsektion (1916 bis 1926), unter dessen Ägide 1919 der Wiederaufstieg in die höchste Spielklasse gelang, wurde von den Nationalsozialisten im Jahr 1944 im Vernichtungslager Maly Trostinec zu Tode gebracht. Bis zu 13.000 jüdische Wiener wurden in den dortigen Wäldern nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk massakriert, nirgendwo anders kamen während der Shoah mehr Österreicher ums Leben.

Bereits beim letzten Heimspiel der Vorsaison gedachten die Vienna-Anhänger Grünwalds, der sich um die Neuorganisation des Klubs nach dem Ende des Ersten Weltkriegs große Verdienste erworben hatte, mit einer Choreografie. Anlass war dessen Deportation am 9. Juni 1942.

Erinnerung an Rudolf Grünwald auf der Hohen Warte.
Foto: First Vienna Football Club 1894 Supporters/A. E.

Rothschild und die Gärtner

Der jüdische Konnex ist bereits in den Gründungstagen der Vienna evident. Hatten großbürgerliche Enthusiasten ihre Leidenschaft in geordnete Bahnen überführt, nahm sich rasch Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild (1836–1905) des jungen Vereins an. Der an der Bankierstraditon seiner Familie wenig interessierte Schöngeist stellte zur Unterstützung des sportlichen Freizeitvergnügens finanzielle Mittel zur Verfügung. Schließlich stellten britische Gärtner aus seinen Ländereien auf der Hohen Warte einen Großteil der Mannschaft, die in den blau-gelben Farben des Hauses Rothschild auflief.

Die "Rothschild-Gärten" wurden während der nationalsozialistischen Zeit "arisiert" und später zerstört. Auch das übrige Vermögen der Familie, der die Stadt Wien zahlreiche philanthropische Initiativen verdankte, wurde enteignet. Rothschilds Kunstsammlung, die Weltrang genoss, riss sich Adolf Hitler persönlich unter den Nagel, er gedachte, sie in das geplante Linzer "Führermuseum" zu überführen.

Erfolgreich in dunklen Zeiten

Es kann durchaus als paradox gelten, dass der Vienna gerade während der nationalsozialistischen Herrschaft ihre größten Erfolge gelingen sollten. Zwischen 1942 und 1944 gewannen die Döblinger unter anderem dreimal in Folge die Gauliga der "Ostmark", als die die höchste Spielklasse des Landes damals firmierte. Ohne viel Federlesens wurden diese Titel später zu österreichischen Meisterschaften weißgewaschen und der Erfolgsbilanz des Vereins einverleibt. Rapid und die Admira verfuhren ebenso. Auch diese "kontextlose Würdigung" stellen die Vienna-Fans nunmehr zu kritischer Diskussion.

Ihr Verein hatte sich mit den Besonderheiten des Fußballbetriebs unter Kriegsbedingungen besser arrangieren können als andere und konnte dadurch die lokale Konkurrenz bis zu einem gewissen Grad überflügeln. Durch geschicktes Taktieren eines Vienna-Mitglieds, das als Sachbearbeiter für Personalangelegenheiten in Wiener Lazaretten zuständig war, konnten Schlüsselkräfte wie Goalgetter Karl Decker über weite Strecken für die Mannschaft verfügbar gehalten oder zumindest fähige Gastspieler als Ersatz rekrutiert werden.

Während ihre ehemaligen jüdischen Vereinsmitglieder unter dem Terror eines Verbrecherregimes litten, war die Vienna zu einem Spitzenteam Nazideutschlands aufgestiegen. (Michael Robausch, 29.11.2018))