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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lässt das AKW Fessenheim am Rhein endlich schließen – ein Signal an den ewigen Gegner Deutschland.

Foto: Reuters / Vincent Kessler

Die Weichenstellung ist so bedeutsam wie in den 60er-Jahren, als Frankreich Kurs auf die Atomenergie nahm und im ganzen Land 58 Reaktoren baute. Doch als Emmanuel Macron am Dienstag vor Parlamentarier und Presseleute trat, interessierten sich diese nur für seine neue Ökosteuer, gegen die die "Gelbwesten" seit zwei Wochen protestieren. Dabei machte der Präsident erstmals konkrete Zeitangaben zur französischen Energiewende. Die Atomstromproduktion soll dabei von heute über 75 auf 50 Prozent gesenkt werden; 40 Prozent sollen die erneuerbaren Energien abdecken.

Um dieses Ziel zu erreichen, will Macron bis 2035 insgesamt 14 der 58 Meiler stilllegen. Den Auftakt macht im Sommer 2020 das umstrittene elsässische Doppel-AKW Fessenheim, das am Rhein nur wenige Schritt von der deutschen Grenze entfernt ist. Bis 2028 sollen vier weitere Reaktoren folgen. Macron nannte keine Namen, doch wären zweifellos andere dienstalte Meiler wie Bugey oder Tricastin betroffen. Bis 2030 sollen zwei weitere 900-Megawatt-Reaktoren folgen, fünf Jahre später die sechs letzten.

Nicht gewählt für den Ausstieg

Ein vollständiger Atomausstieg steht in Frankreich aber nicht zur Debatte, wie Macron klarmachte: "Ich bin nicht mit einem solchen Programm gewählt worden." Er präzisierte sogar, dass "keine vollständige AKW-Schließung vorgesehen" sei. Vermutlich meinte er damit die Möglichkeit einer Umwandlung der Produktionsstätten zwecks Wahrung der Arbeitsplätze.

Allerdings relativieren auch andere Aussagen die AKW-Stilllegungen: Möglich sind laut Macron auch Laufzeitverlängerungen, "bis die Erneuerbaren so weit sind". Der Staatskonzern Électricité de France (EDF) hat diesbezüglich großen Rückstand auf seine eigenen Wind- und Solarprojekte. Macron will die Erträge der Windkraft bis 2030 verdreifachen und die der Sonnenenergie verfünffachen; zu den bereits bereitgestellten fünf Milliarden Euro mobilisiert er zwei oder drei zusätzliche Milliarden an Subventionen.

Sieg der Atomlobby

Die grüne Partei zeigt sich enttäuscht von Macrons Ankündigungen. Dass ein vollständiger Atomaustritt für Frankreich nie infrage kam, weiß jedermann. Doch selbst die Reduktion des Atomstromanteils von 75 auf 50 Prozent wird nicht sehr entschlossen vorangetrieben: Der Zeithorizont 2035 ist aus heutiger Sicht weiter entfernt als bei seiner ersten Ankündigung vor sieben Jahren – damals hatte Macrons Vorgänger François Hollande die Stilllegung überflüssiger Reaktoren für 2025 versprochen. Seine damalige Umweltministerin Ségolène Royal meinte lapidar: "Die Atomlobby hat gewonnen."

Alibiaktion Fessenheim

Die Stilllegung des in einer Erdbebenzone liegenden und durch ein Rhein-Hochwasser gefährdeten AKWs in Fessenheim wirkt in diesem Zusammenhang eher wie ein politisches Alibi – oder gar ein Feigenblatt für die Fortsetzung des Atomkurses. Die EDF hat bis Mitte 2021 Zeit, den Bau neuer EPR-Reaktoren zu planen und vorzuschlagen. Die danach folgende Präsidentenwahl wird zweifellos eine weitreichende Debatte über die Energiezukunft des Landes bewirken. Abgesehen von den Grünen wollen die meisten Parteien den 50-prozentigen Atomstromanteil bewahren – mindestens.

Nur mit dem "nucléaire" sei die Einhaltung der Klimaziele realistisch, meint auch Macron, der schon verschiedentlich darauf hingewiesen hat, dass Frankreich pro Kopf einen geringeren CO2-Ausstoß als Deutschland habe. Die fünf französischen Kohlekraftwerke, die heute auf eine Gesamtkapazität von 3.000 Megawatt kommen, gelobt er bis 2020 ganz einzustellen, wie er am Dienstag sagte. Auch das sei nur möglich, weil Frankreich weiterhin auf die Kernenergie setze.

"Billiger Atomstrom" zieht nicht mehr

Der Energieexperte Erwan Benezet rechnet allerdings damit, dass Frankreich seinen Kurs aus wirtschaftlichen Gründen bald infrage stellen muss: Der EDF-Diskurs vom "billigen Atomstrom" ziehe kaum mehr, da die erneuerbaren Energien schon heute doppelt so günstig seien. In einem neuen Buch namens "Die französische Nuklearkatastrophe" schreibt Benezet, der Zusammenbruch des Atomkonzerns Areva – der seit Jänner 2018 "Orano" heißt – habe zudem gezeigt, dass die französische Kernindustrie mit der Billigkonkurrenz aus Russland, China und Korea kaum mehr mithalte. Zugleich vernachlässige Frankreich die Investitionen in die Wind- oder Sonnenenergie und gerate diesbezüglich europaweit in Rückstand.

Aus für "tout nucléaire"

Alles in allem beendet Macron mit seinem Zeitplan die in Frankreich seit einem halben Jahrhundert gültige Politik des "tout nucléaire" (voll auf Kernenergie setzen): Sie gilt ab sofort nur noch zur Hälfte. Und wenn man die Zahl potenziell und real verbleibender Reaktoren berücksichtigt, dann sicher um einiges mehr als die Hälfte. (Stefan Brändle, 28.11.2018)