Es muss nicht immer Multiplayer sein.

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Fallout 76 hat viele Probleme, aber für manche Spielerinnen und Spieler fällt eigentlich eines davon am schwersten ins Gewicht: Es ist ein Multiplayer-Spiel. Die Rollenspielreihe hat sich ja schon öfter gewandelt, und jedes Mal war der Aufschrei der alten Fans groß: Ein "Skyrim with guns" würde bei der Umstellung von isometrischer Grafik auf 3D herauskommen, jammerte das Internet damals vor Fallout 3, und das war nicht positiv gemeint. Heute weint man just diesen inzwischen liebgewonnenen späteren Teilen der Reihe nach, denn wenigstens waren das noch richtige Singleplayer-Spiele.

Nun kann man Spieleentwicklern nicht vorwerfen, dass sie ihre Spiele an Markttrends ausrichten und sie so gestalten, dass sie damit möglichst viel Geld verdienen. Multiplayer-Spiele sind immens populär, sorgen bei Abo- oder Mikrotransaktionsmodellen für laufende Einnahmen und binden das Publikum möglichst lange an ein Spiel, in dem sie dann hoffentlich noch mehr Geld ausgeben. Die Erfolge von Destiny und The Division, aber auch von großen Indie-Survival-Sandboxen wie ARK oder Rust zeigen, wie es geht. Beispiele irgendwo zwischen Triple-A und Indie wie Conan Exiles beweisen, dass sich auch Spiele mit wackeligem Start noch zu lohnenden Titeln entwickeln können.

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Einsam statt gemeinsam?

Blöd nur, wenn man kein Interesse daran hat, mit echten Menschen online zu spielen. Nicht nur, dass man Sorge haben muss, dass vor lauter Konzentration auf den Megatrend Riesenspiele der Nachschub an großen, teuer produzierten Einzelspielertiteln langsam versickert – man darf sich als Singleplayer-Verfechter auch zunehmend vorhalten lassen, ein asozialer Sonderling zu sein, der die kalte Einsamkeit des Singleplayers der bunten Gemeinschaft echter Mitspielerinnen und Mitspieler vorzieht.

Ich oute mich: Ich bin so einer. Wohl habe ich – beruflich bedingt und auch privat – viele Spielstunden in Multiplayer-Spielen verbracht, mich von MMOs über Shooter und Survival-Sandkisten bis hin zu Koop-Titeln gemeinsam mit mal vielen, mal wenigen Menschen in virtuellen Welten herumgetrieben. Ich verstehe den Reiz durchaus, den das Spielen mit echten Menschen hat.

Nur: Hin und wieder bin ich einfach froh, die Ports hinter mir zuzumachen und mich ganz allein einer Spielwelt widmen zu können. Denn Menschen sind natürlich kreativere Mitspieler und herausforderndere Gegner als der Computer. Hin und wieder nerven sie aber auch gewaltig.

Die Hölle, das sind die anderen

Man muss kein Sensibelchen sein, um seine laut ins Headset pubertierenden Shooter-Kontrahenten zum Teufel zu wünschen. Man ist nicht asozial, wenn man "lustig" das eigene Team sabotierende Verhaltensauffällige nicht endlos zenmäßig tolerieren kann. Man darf bedauern, dass auch atmosphärischste Fantasy-MMOs durch hyperaktiv herumhopsende oder lauthals den Chat mit Goldfarming-Spam zubrüllende Mitmenschen zum virtuellen Äquivalent von Shoppingmalls verkommen.

Kurzum: Menschen in Multiplayer-Spielen können mindestens genauso nerven wie im echten Leben – vielleicht sogar ein wenig mehr, weil dort dank des Internets der persönliche Kontakt substanzloser und deshalb die Sitten noch bedeutend rauer sind. Und manchmal möchte man auch einfach spielen, um diese Mitmenschen zumindest eine Zeitlang nicht sehen zu müssen.

Lob des Singleplayers

Keinem Leser wird vorgeworfen, sich allein hinter einem Buch zu verstecken – das Klischee vom einsamen Nerd sorgt allerdings vor allem im Zeitalter grassierender Multiplayer-Manie auch heute noch hin und wieder für schiefe Blicke, wenn man sein Faible fürs Alleinspielen bekennt. Dabei sind Singleplayer-Spiele nicht nur frei von potenziell nervenden Mitmenschen, sondern haben vor allem spielmechanisch etwas anderes zu bieten als Multiplayer-Spiele.

Schon simple Spielmechaniken wie rundenweise Strategie, verlangsamte Zeit, um folgenreiche Entscheidungen treffen zu können, oder sogar nur die simple Pause per Tastendruck gibt’s nur in Singleplayer-Spielen. Auch wirklich gute Geschichten erzählen Spiele zum Beispiel hauptsächlich dann, wenn sie sich auf einen einzelnen Spieler als Publikum konzentrieren können. Wer Wert auf Atmosphäre legt, verzichtet gern auf Mitspieler und konzentriert sich ganz auf die Vision der Entwickler, ohne sich ablenken zu lassen. Und ganze Genres von Spielen existieren (bislang) schlicht ausschließlich als Singleplayer-Spiele – weil sich etwa die komplexen Mechaniken von Globalstrategiespielen kaum sinnvoll in Mehrspielererlebnisse umsetzen lassen.

Multiplayer-Spiele müssen ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorchen; manchmal bedeutet das, dass sich eine Rollenspielerfahrung wie jene der früheren Fallout-Teile im Multiplayer-Ableger einfach nicht sinnvoll abbilden lässt. Man darf in diesem Fall hoffen, dass sich Bethesda angesichts der Kritik auch wieder seiner Einzelspielerfans entsinnt.

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Zukunft: Alles multi?

Noch zeigt der Erfolg großer und lukrativer Blockbuster wie Red Dead Redemption 2 oder Assassin’s Creed auch der Industrie, dass der Einzelspielermarkt relevant ist – der Trend, den früher als Zugabe angepappten Multiplayer-Modus aber zur Hauptattraktion zu machen und schlussendlich, wie im Fall von Call of Duty: Black Ops IV und Fallout 76, ganz auf ihn zu verzichten, lässt aber nichts Gutes erahnen. Wie bei den auch in Vollpreisspielen Einzug haltenden Mikrotransaktionen gilt, dass sich auf Dauer wohl das durchsetzen wird, was mehr Umsatz verspricht.

Ja, eh: Gemeinsam mit Freunden macht vieles mehr Spaß, das allein öde ist (sogar, wie ich in meiner Rezension zu Fallout 76 frech angemerkt habe, das Schlangestehen). Das heißt aber nicht, dass dadurch alles automatisch besser wird. Spielen ist Eskapismus, und das heißt: auch einmal seine Ruhe vor anderen Menschen haben und seine Hauptrolle ungestört genießen zu dürfen. (Rainer Sigl, 1.12.2018)