An der Rezeption der Filme Lars von Triers war schon immer seltsam, dass sich manche dabei so verhalten, als sähen sie das alles das erste Mal. Dem dänischen Regisseur, der sich durch Widerspruch gern bestätigt fühlt, kann das nur recht sein. Und wenn man das Argument ein wenig verdreht, dann stimmt es sogar: Wir sehen das erste Mal richtig hin. Ohne moralisches Framing, das die Dinge leicht konsumierbar macht. In seinem vielleicht besten Film, Idioten, wird das besonders deutlich. Eine Gruppe, die Behinderte nur verkörpert, bringt mit ihren Aktionen die enge Moral der angeblich Gesunden zum Vorschein.

The House That Jack Built behandelt den Fall des Serienmörders Jack (Matt Dillon) in fünf "zufällig gewählten" Fällen aus dessen zwölfjährigem Wirken. Nun könnte man all das anführen, was darin zerquetscht, zertrümmert, abgeschnitten, gewürgt oder durchdolcht wird. Gleich zu Beginn muss Uma Thurman daran glauben. Doch erstens hat das Subgenre "Serienmörderthriller" das alles schon ähnlich anschaulich bebildert (nur halt nicht in einem einzigen Film), und zweitens ist der Terror bei Lars von Trier nicht Teil einer Spannungsdramaturgie, die das Publikum in den Schwitzkasten nimmt.

Jack springt aus der Box

Stattdessen hat der dänische Regisseur wie bereits in Nymphomaniac ein in Kapitel getrenntes Kompendium gebaut, das eine Mischung aus Therapiesitzung und Bekenntnisbericht ist. Jack springt aus der Box. Der Triebtäter prahlt damit, dass seine Gewalttaten einem höheren Zweck dienen. Er sucht Rechtfertigung, wo nur Wahnsinn ist. Und Kunst, wo nur Zerstörung ist. Verge (Bruno Ganz, den man erst am Ende sieht), eine Art Charon-Figur mit Psychologie-Know-how, hat den Widerpart. Er bindet Jacks "Kunst" immer wieder zurück an seine Taten, die für nichts stehen würden außer für sich selbst. "Es gibt keine Kunst ohne Liebe", lautet sein Axiom.

Das Blut sieht man auch – doch davor zeigt uns Lars von Trier den Tatvorgang selbst: Matt Dillon als Serienmörder Jack in "The House That Jack Built".
Foto: Filmladen

Mit seinem Kunst- und Wahnsinndiskurs, der mit Zitaten von William Blake gewürzt, Glenn-Gould-Passagen und Kathedralenbau-Einschüben illustriert wird, betreibt von Trier freilich auch eine Form von Autopoiesis. Einmal weist er sogar direkt auf sein Werk als Filmemacher hin, das gegenüber seinen Figuren nie frei von Sadismus war – und dafür auch perfide Mittel anwenden musste. In einer der besten Szenen muss Jack, der wie sein Regisseur unter einem Ordnungszwang leidet, wiederholt zu einem Tatort zurück, weil er sich einbildet, beim Saubermachen auf ein verräterisches Detail vergessen zu haben.

Das alles wäre am Ende nur tautologisch, ginge es von Trier nur darum, ein Spiegelkabinett zu erschaffen, in dem sich der Regisseur in alle Ewigkeiten mit seiner Figur abwechselt. Doch The House That Jack Built behält in all seinem Nachdruck auf Grausamkeiten auch eine Verankerung in der Welt. Wenn jemand nach Hilfe schreit, hört niemand mehr hin. Währenddessen arbeitet der Architekt des Bösen an einem ebenso abscheulichen wie lächerlichen Objekt. (Ab Freitag, 30.11., im Kino)

Trailer zu "The House That Jack Built".
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Pressekonferenz gab es nach dem Eklat um Lars von Triers Provokationen im Jahr 2001 dieses Jahr keine in Cannes. Dafür bat der Regisseur zum Gespräch in eine Villa, auf der eine große rote Fahne mit dem Filmtitel The House That Jack Built befestigt war. Ein Hinweis auf die Selbstbezüglichkeiten des Films? Darüber sowie über persönliche Ängste sprachen wir mit dem Dänen.

STANDARD: "The House That Jack Built" mutet seinem Publikum einiges zu. Welche Rolle nahm diese Strategie der Abschreckung bei der Entwicklung des Films ein?

Von Trier: Ich denke nie an das Publikum, sondern nur: Ich bin mein Publikum. Ich weiß, es gibt Leute, die versuchen, das größtmögliche Publikum zu bekommen, und Experten dafür heranziehen. Das könnte ich nicht. Und ich finde es auch wichtig, dass es noch Versprengte gibt, die es als wichtig erachten, nur für sich zu arbeiten.

STANDARD: Man wird ja auch nicht den Eindruck los, dass es um Ihre eigenen Obsessionen geht.

Von Trier: Ja, ich versuche, mit dem Film an meine Grenzen zu gehen. Die Figur Jack spricht in Bildern des Dritten Reichs und anderer Gräuel. Es sind extreme Bilder, gewiss. Doch das Filmen hat für mich auch private Kosten gehabt. Etwa, was meine Familie anbelangt. Ich habe vier Kinder, die erwachsen sind und mich meist nur anschreien, warum ich nie da war. Man sagt das so leicht. Dabei dachte ich immer, dass ich da bin. Ich habe mich immer als großartigen Vater betrachtet.

STANDARD: Sie könnten ja aufhören. Ist die Kunst denn größer als Sie selbst?

Von Trier: Ja, auf angstbesetzte Weise. Sie wissen, es gibt Regisseure, die haben einen Höhepunkt, und dann geht es bergab. Wenn dieser Höhepunkt kommt, wollen ihn die meisten wiederholen. Und dann suchen sie nur noch das Publikum. Ich wollte dieser Falle entgehen. Doch eigentlich ist mir der neue Film um zwanzig Prozent zu populär.

STANDARD: Tatsächlich? Warum?

Von Trier: Es wird immer schwieriger, Dinge einfließen zu lassen, die nicht schon benutzt sind. Ich gebe Disney dafür die Schuld. Ich habe als Kind Donald-Duck-Hefte gelesen, und alle Geschichten sind darin auf die gleiche Weise gemacht.

STANDARD: Hat die Entscheidung, einen Film über das Böse zu machen, auch etwas mit dem Zustand der Gesellschaft zu tun?

Von Trier: Ich habe darüber viel nachgedacht. Momentan scheint alles in die falsche Richtung zu gehen. Wahrscheinlich haben wir die goldenen Jahre der Demokratie hinter uns. Und wir haben es nicht bemerkt, weil es sich so gut angefühlt hat. Das klingt sehr negativ. Alles ist so negativ.

STANDARD: Im Film gibt es eine emblematische Szene: Eines der Opfer von Jack ruft um Hilfe, er sagt: "Niemand wird dir helfen, niemand hat Empathie."

Von Trier: Das beschreibt ziemlich genau meinen gegenwärtigen Zustand. Die Demokratie hat ein Riesenproblem, wenn Leute wie Trump gewählt werden. Er lügt pausenlos. Er hat so viel gelogen, dass es niemand mehr merkt. Die Lügen müssen immer größer werden, damit die Aufmerksamkeit erhalten bleibt.

STANDARD: Im Film gibt es allerdings auch ein Zitat von William Blake, das besagt, dass Kunst durch Moral getötet wird.

Von Trier: Mir liegt sehr viel daran, die Meinungsfreiheit zu bewahren. Ich fand es ja lustig, dass in dem Jahr, als in Cannes meine Pressekonferenz so schieflief, das Motto des Festivals Meinungsfreiheit lautete. Es war ungeschickt von mir, von Hitler zu sprechen. Hätte ich dasselbe in Deutschland gesagt, wäre der Wirbel nicht so groß gewesen.

STANDARD: Woher nehmen Sie die Stärke weiterzumachen? Suchen Sie die Provokation?

Von Trier: Ich versuche, das zu machen, wovon ich glaube, dass ich es kann. Umgekehrt tendierte ich immer dazu, nicht genug zu riskieren. Eigentlich wollte ich immer, wenn ich in etwas gut bin, das sofort wieder bleibenlassen und etwas Neues probieren. Doch das ist wirklich schwierig. Wir sind einfach nicht so gebaut.

STANDARD: Worin sind Sie denn schon fast zu gut?

Von Trier: In meinen Drehbüchern. Und meiner Schnitttechnik. Ob wir uns beim Schneiden Freiheiten nehmen, oft in derselben Einstellung schneiden: Wenn man das zur Gewohnheit macht, dann akzeptiert es auch das Publikum.

STANDARD: In Film findet sich auch eine Passage, in der Sie auf Ihr Werk eingehen – eine unüblich deutliche Selbstreferenz.

Von Trier: Ich weiß, es sieht so aus, als wäre das ein Testament. Aber in Wirklichkeit war es so, dass wir Archivbilder für die Aussage brauchten, dass Künstler alle Freiheiten haben. Die richtig guten Ausschnitte haben wir nicht bekommen. Also sagte ich: "Nehmen wir meine." Ich fand das amüsant. Es ist ja einiges von mir in Jack.

Lars von Trier (63) ist einer der bedeutendsten europäischen Filmregisseure. Seine Arbeiten "Breaking the Waves", "Dancer in the Dark" oder "Dogville" wurden vielfach ausgezeichnet. (Dominik Kamalzadeh, 29.11.2018)