STANDARD: Was sagen Sie zum Ende der "Lindenstraße"?

Nemec: Alles hat ein Ende. Die "Lindenstraße" hat die Menschen natürlich über mehrere Jahrzehnte begleitet. Ich hatte damals am Residenztheater ein Programm als Seitenhieb auf Serien mit dem Titel "Bis es euch gefällt", frei nach Shakespeare. Das heißt, man muss etwas nur lange genug machen, bis es gefällt – und dann läuft's auch.

STANDARD: Sie hatten sogar Gastauftritte.

Nemec: Einen. Wachtveitl und ich haben bei Mutter Beimer an die Türe geklopft. Das war eine Art Crosspromotion für einen guten Zweck, ganz am Beginn des Münchner "Tatorts". Damals gab es das Wort wahrscheinlich noch gar nicht.

STANDARD: Batic und Leitmayr haben den 80. Fall. Es wurde nie probiert, Sie "abzuschießen"?

Nemec: Nein, es gab und gibt keine Tendenzen. Der "Tatort" hat noch einmal einen anderen Stellenwert, wobei wir ja seit fast 30 Jahren keine Verträge haben.

Miroslav Nemec spielt Ivo Batic im Münchner "Tatort", kommenden Sonntag wieder um 20.15 Uhr mit Udo Wachtveitl in der Folge "Wir kriegen euch alle".
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STANDARD: Wie denn das?

Nemec: Wir wollten nie welche. Es begann damit, dass wir am Anfang ein schlechtes Drehbuch hatten und danach ein fast noch schlechteres. Für uns war damit klar, wir müssen von Buch zu Buch entscheiden. Es hat sich bewährt.

STANDARD: Inwieweit spielt die Symbiose eine Rolle: Der Eine sagt, ich würde ja gern aufhören, aber das kann ich dir nicht antun.

Nemec: Im Moment sind wir in der Balance. Es ist eine Mischung aus Anerkennung, Qualität und finanzieller Absicherung. Das darf man nicht unterschätzen. Auch ein Schauspieler muss ja von irgendetwas leben. Wenn ich es in dieser Qualitätsform erreichen kann, dann ist es sehr gut. Weil ich nicht weiß, ob es eine Alternative dazu gäbe – oder ob ich nicht doch irgendeine Rolle in der "Lindenstraße" hätte übernehmen müssen.

STANDARD: Künstler in Österreich müssen laut einer Studie mit 5.000 Euro auskommen – im Jahr.

Nemec: Aha, und wie geht das? Bei uns in Deutschland hat der Schauspielverband BFFS versucht, eine Mindestgage zu fordern, ich glaube, die liegt bei circa 800 Euro pro Tag. Das hört sich natürlich nach viel Geld an, ist aber nicht so, denn die meisten Kollegen haben nur fünf bis acht Drehtage im Jahr. An der Spitze verdienen einige wenige sehr gut, und darunter gibt es viele Künstler, die nicht dieses Glück haben. Andererseits ist der Beruf ungeschützt. Wenn einer einen Satz gesprochen hat, kann er von sich behaupten, er sei Schauspieler. Eine Statistenrolle mit Satzverpflichtung ist etwas anderes, macht aber niemanden zum Schauspieler. Aber es gibt natürlich auch gute Schauspielkollegen, aus denen nichts wird, die sehr gut sind und trotzdem keine Arbeit bekommen. Das ist brutal in diesem Wettbewerb.

STANDARD: Wie wird gekämpft um die Rollen? Mit fairen Mitteln?

Nemec: Das ist ein menschlicher Aspekt, wie in der Wirtschaft auch. Es gibt Menschen, die setzen sich mehr durch, und andere, die sind zurückhaltender. Es ist aber auch viel Zufall und Glück dabei.

STANDARD: Zum Beispiel den richtigen Kommissar an seiner Seite zu haben. Wie würden Sie die Beziehung zu Udo Wachtveitl beschreiben?

Nemec: Wir zwei sind kämpferisch befreundet. Individualisten, und jeder möchte der Bessere sein. Das macht uns stark, hält uns frisch. Es gibt keine falsche Trägheit. Wir schenken uns nichts.

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STANDARD: Manchmal fliegen die Fetzen?

Nemec: Ja freilich, aber wir streiten inhaltlich, wie wir das im "Tatort" auch manchmal zeigen. Es muss etwas Produktives daraus entstehen. Beleidigtsein ist langweilig.

STANDARD: Sie brauchen dann auch keine Versöhnung?

Nemec: Im 78. "Tatort" lasse ich meinen Kollegen nach einem Streit stehen und fahre weg. In der Szene darauf fragt er nur: Und, hattest du einen schönen Nachmittag? Und ich sage: Ja, schon. Und es geht weiter. Das ist unser Naturell, unsere Chemie und unsere Möglichkeit der Freundschaftsbezeugung. Man muss nicht sülzen. Es gibt oft den Wunsch, dass wir unser Buddytum zeigen. Und wir haben eine spezielle Art dafür entwickelt.

STANDARD: Greifen Sie auch ins Drehbuch ein? Und ist das mehr geworden?

Nemec: Die Bücher sind besser geworden. Ich würde von unseren bisher 82 gedrehten Fällen auf jeden Fall zwei Dritteln hohe Qualität attestieren.

STANDARD: Ein schlechtes Drehbuch erkennen Sie schon beim Lesen?

Nemec: Sofort. Ich weiß auch beim Gegenlesen eines Interviews nach den ersten Zeilen, ob das was wird.

STANDARD: Das setzt mich unter Druck.

Nemec: Gut so, aber klar merkt man das. Es geht um Sprache, Abläufe. Man spürt sofort, ob jemand eine neue Idee hat oder ob es konventionell ist. Lese ich das Buch durch oder lege ich es zwischendurch mal weg? Jedenfalls, beim zweiten Durchgang nehme ich den Bleistift zur Hand, und dann werden Anmerkungen an den Rand geschrieben. Oft haben der Wachtveitl und ich die gleichen.

STANDARD: Wenn Sie die Fälle Revue passieren – der "Tatort" hatte ja Phasen, es gab die sozialkritischen, wo die Morde nur im reichen Milieu spielten, dann die erdigen, die, die den Schauplatz besonders attraktiv verkaufen mussten, Experimente ... Welche mochten Sie am liebsten?

Nemec: Es sollte nicht nur das Private vorkommen oder der Ort verkauft werden oder der Plot besonders kompliziert sein, damit man denkt, es ist jetzt besonders spannend. Zu respektieren ist, dass es zumindest einen Toten gibt. Ein Toter ist kein Spaß, sondern eine bittere Realität. Der muss man eine Ehrfurcht, einen Respekt entgegenbringen.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass Franz Xaver Kroetz ein Exposé für einen "Tatort" geschrieben haben soll, das der BR nicht weiterentwickelte. Waren Sie da involviert?

Nemec: Nein, das habe ich auch nur gelesen. Ich kenne das Exposé nicht, könnte mir aber vorstellen, worum es ging. Man kann den "Tatort" als Vehikel für alles Mögliche benutzen, aber nicht, um ein Autorenprojekt zu verwirklichen. Wenn die Geschichte zu wenig mit uns beiden zu tun hat, dann ist es kein Münchner "Tatort" mehr.

STANDARD: Aus dem Weg gehen Sie sich eher nicht: Sie spielen mit Udo Wachtveitl "Die Weihnachtsgeschichte" von Charles Dickens.

Nemec: Ja, noch ein gemeinsamer Weg. Und warum die "Weihnachtsgeschichte"? Kann ich Ihnen erklären: In Jugoslawien war Weihnachten etwas Besonderes, weil man es nicht feiern durfte. Aber schon als Kind war das für mich nur eine Geschichte, ein gut gemeintes Märchen. Ich habe nicht wirklich geglaubt, dass das alles so passiert ist. Heute wünschen sich meine Tochter Mila und die Kinder der Schwester meiner Frau ein Weihnachtsfest, also gibt es einen Baum und Geschenke für die Kinder. Das Schöne an Weihnachten ist, dass es einen Anlass gibt, um zusammenzukommen.

STANDARD: Leitet das schon die Post-Batic-Leitmayr-Phase ein?

Nemec: Nein, es geht um die Vielfalt. Ich habe meine Rockband, ich schreibe Bücher, mache Lesungen, Hörbücher, ich habe am Theater gespielt, andere Filme gedreht, zuletzt für Dmax eine Reihe. Mir macht es Spaß, wenn all das, was ich irgendwann gelernt habe, zum Einsatz kommen kann. (Doris Priesching, 1.12.2018)