Wolfgang Thillmanns Leidenschaft für Thonet-Mobiliar begann Anfang der 1990er Jahre. Als Experte und Leihgeber genießt er internationale Anerkennung.

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Gestatten, Nr. 14: Der Thonet-Klassiker schlechthin und der am häufigsten hergestellte Sessel weltweit. Hier eine frühe Ausführung (Schätzwert 700 bis 900 Euro).

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Download des informativen Auktionskataloges "Sammlung Thillmann: Thonet – Perfektes Design".

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Lebensabschnittsmobiliar, dieser Begriff mag nicht von der geläufigen Sorte sein, im Falle von Wolfgang Thillmann und seinem Thonet-Fundus jedenfalls ein zutreffender. Die später ins Sammeln, Forschen und Publizieren ausufernden Liaison begann Anfang der 1990er-Jahre, als er gemeinsam mit seiner Ehefrau zur Ausstattung ihres Hauses explizit Möbel dieser Marke zu suchen und erwerben begann.

Nebenher begann der Lehrer für Deutsch und Philosophie die teils auf Flohmärkten ergatterten Schützlinge auch zu restaurieren und sich intensiver mit der Herstellungstechnik zu beschäftigen. Das Eigenheim war längst voll, die Beutezüge wurden fortgesetzt und die Ferienzeit für die Forschung in Archiven genutzt. Aus dem Sammler wurde bald ein Autor und ein in Museumskreisen anerkannter Experte, dessen Know-how man als Kurator ebenso schätzte wie seine Leihgaben für Ausstellungen.

Die Schar der von Thonet und teilweise auch von frühen Konkurrenten produzierten Modelle wuchs unaufhörlich, an die 250 sind es mittlerweile, wobei mit 95 Prozent die Mehrheit in einem Depot lagert. Nun geht insofern ein Lebensabschnitt zu Ende, als Wolfgang Thillmann diese Schützlinge versteigern lässt, wie das Kölner Auktionshaus Van Ham in einer Pressemitteilung verlautbarte. Konkret am 22. Jänner 2019, wenn sich parallel in Köln die Fachwelt zur Passagen Interior Design Week (14.-20. 1.) einfindet und die Ausstellung der Sammlung eine letzte Gesamtschau bietet. Ein Schlussakkord für Thillmann, der sein Interessengebiet inzwischen auf Möbel aus Schicht- und Sperrholz verlagert hat.

Von 1850 bis 1960er-Jahre

Die Summe der Schätzwerte der 230 Lose beläuft sich laut den Angaben des Auktionshauses auf 260.000 bis 320.000 Euro. Historisch umfasst das Angebot exemplarische Möbelmodelle von 1850 bis in die 1960er-Jahre sowie das typischerweise bei der Erforschung der Bugholzgeschichte anfallende Quellenmaterial: originale Dokumente und Verkaufskataloge der Firma Thonet oder auch anderer Bugholzmöbelhersteller. Der eine oder andere Museumskurator dürfte hier wohl schon in den Startlöchern stehen und ein Ankaufsbudget kalkulieren.

Die für einen Auktionskatalog vergleichsweise ausführlich aufbereitete Geschichte der Thonet-Produktion beginnt im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz, genauer in der ehemaligen Reichsstadt Boppard, wo Michael Thonet 1830 anfing, Bauteile seiner spätbiedermeierlichen Stühle aus Schichtholz zu fertigen. Dabei bediente er sich eines Verfahrens, welches zwar grundsätzlich bekannt war, das er aber für den Möbelbau entscheidend verbesserte, schildert der Autor Thillmann: Nicht mehr einzelne Furniere, sondern in Leimwasser erhitzte Furnierpakete wurden in einem Arbeitsgang in vorbereitete Formen eingelegt und gepresst.

Mit Kniff zum Patent

Eine Herstellungstechnik, die die Form des Produkts beeinflusste: Schlaufenbeine, als charakteristisches Merkmal des Bopparder Stuhltyps, die zeitgleich ein technisches Problem lösten. Denn die Verbindung der Vorder- und Hinterbeine mit einem Sitzrahmen war nicht sonderlich stabil. Thonets Kniff war revolutionär, denn er beseitigte diese Verbindung, indem er Sitz und Stuhlbeine aus jeweils einem Bauteil fertigte.

Ausgestattet mit einer Empfehlung des österreichischen Staatskanzlers Fürst Clemens von Metternich bei Hof, übersiedelte Michael Thonet 1842 nach Wien und erhielt das Privileg zur Produktion. Den ersten Großauftrag vermittelte ihm der englische Architekt Peter Hubert Desvignes, der damals das Stadtpalais des Fürsten Liechtenstein umgestaltete. Dafür fertigte Thonet Parkettböden und eine Reihe leichter, eleganter "Laufsessel", die bei Bedarf die repräsentative Möblierung ergänzten.

Das vermutlich von August Thonet entworfene Schaukelsofa sorgte bei der Präsentation auf der Weltausstellung in Philadelphia 1876 für Furore: Schätzwert 6800 bis 7500 Euro.
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Nr. 14 meist verkaufter Sessel weltweit

Zu den daraus entwickelten Serienmodellen gehört etwa der Sessel Nr. 9 (Schätzwert 4000 bis 5000 Euro). Aus dem Umfeld der Produktion für das Schwarzenberg'sche Gartenpalais um 1850 ging wiederum ab 1856 das Modell Nr. 1 (2500 bis 3000 Euro) hervor. Einen Sonderstatus genießt bis heute das legendäre Modell Nr. 14, ein Klassiker der Designgeschichte, dem Wolfgang Thillmann 2015 eine eigene Publikation widmete. Von ihm wurden bis 1930 an die 50 Millionen Stück produziert, und er gilt als der am häufigsten hergestellte Sessel weltweit. Der Vorteil für Interessenten: Der Schätzwert liegt deshalb bei nur 700 bis 900 Euro.

Dem Wunsch, Absatzgebiete außerhalb der Adelspaläste und Cafés zu erschließen, folgte eine entsprechende Strategie: Ein Möbeltyp musste her, der ausschließlich im Wohnraum verwendbar sein sollte. Das Ergebnis war der Schaukelstuhl, den Thonet 1860 erstmals in seiner Fabrik in Koritschan (Tschechien) produzierte und von dem im Laufe der folgenden Jahrzehnte zahlreiche Varianten abgeleitet wurden.

Bis 1900 wurden knapp 480.000 Stück produziert. Dazu gehörte auch ein Schaukelsofa, das in zwei unterschiedlichen Versionen zum eleganten Wippen einlädt: mit und ohne Armlehnen und mit je 6800 bis 7500 Euro veranschlagt. (Olga Kronsteiner, 2.12.2018)