ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat die Nationalratswahl im Vorjahr mit dem Versprechen gewonnen, den Zuzug von Flüchtlingen zu unterbinden. Danach ging er eine Koalition mit einer Partei ein, die auch etwas anderes im Sinn hat: nämlich Fremde, die bereits im Land sind, zu schikanieren und zu diskriminieren. Diesem Vorhaben hat die Kanzlerpartei bisher passiv zugeschaut – etwa bei Abschiebungen von gut integrierten Lehrlingen – oder es durch neue Gesetze unterstützt.

Wohin die Politik des Gewährenlassens führt, zeigt sich in Niederösterreich, wo Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner dem FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl die Zuständigkeit für Integration und Flüchtlingsangelegenheiten übertragen hat: Das Ergebnis ist das Asylquartier in Drasenhofen, in dem junge Männer, die negativ aufgefallen sind, wie in einem Gefängnis festgehalten werden – offensichtlich ohne Rechtsgrundlage.

Nicht nur die Praxis, auch Waldhäusls zynische Begründung, man müsse die Asylwerber vor dem Zorn der Bürger schützen, erweckt Erinnerungen an die 1930er-Jahre und passt eher ins heutige Ungarn oder Russland als nach Österreich. Es ist, wie der ÖVP-Bürgermeister von Drasenhofen sagt, eine Schande, es ist ein ungeheurer Skandal. Eine Republik, die das zulässt, verlässt den Boden des Rechts und des Anstands und bewegt sich in Richtung Willkürstaat.

Es ist auch ein massives Problem für die ÖVP, die sich ja christlich und europäisch nennt. Das ist nicht die Politik, die ihre Wähler wünschen – auch nicht die neuen türkisen Kurz-Fans. Das hat sich zuletzt bei den Protesten gegen die brutalen Abschiebungen in Vorarlberg gezeigt.

Reißleine

Auch wenn die Asylwerber aus Drasenhofen jetzt übersiedelt werden, muss Mikl-Leitner die Reißleine ziehen. Mit ihrer absoluten Mehrheit im Landtag kann sie Waldhäusl zwar nicht absetzen, aber ihm die Zuständigkeit für Asylwerber entziehen. Tut sie es nicht, macht sie sich und ihre Partei mitverantwortlich.

Die Bundes-ÖVP steckt noch tiefer in diesem rechtspopulistischen Sumpf – etwa wenn sie beschließt, anerkannten Flüchtlingen bei mangelnden Sprachkenntnissen die Mindestsicherung zu kürzen. Gleichzeitig werden Deutschkurse beim AMS und in Schulen reduziert, die Integration wird damit erschwert. Das schafft eine kafkaeske Realität, in der Flüchtlinge kaum eine Chance haben, der Ausgrenzung und Armut zu entkommen. Der FPÖ passt das ins Konzept, denn sie braucht solche Feindbilder, aber nicht der ÖVP, die die Mitte der Gesellschaft ansprechen will – Menschen, die keine offenen Grenzen wollen, aber Menschlichkeit im eigenen Land.

Damit hätte die ÖVP-Spitze rechnen können, als sie die FPÖ zum Mitregieren einlud. Sie hat es offenbar nicht getan. Vor allem Kurz wird es schwerfallen, die Koalition von diesem Kurs wieder wegzuführen. Er hat sich den autoritären Bestrebungen der FPÖ auch durch die Aufteilung der Ministerien weitgehend ausgeliefert.

Dieses Dilemma bietet der SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner eine Chance, sich wieder als koalitionäre Alternative anzubieten. Dafür müsste sie ihr Schlagwort "Integration vor Zuzug" ernst nehmen, die Abschottungspolitik der ÖVP nach außen akzeptieren und dafür auf die strikte Einhaltung von Menschenrechten im Inland pochen. Auch das ist umstritten – aber besser als die blaue Republik, die nun Schritt für Schritt entsteht. (Eric Frey, 30.11.2018)