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Mehr als sieben Präsente überfordern Kinder. Geschenkzeremonien, bei denen sich Menschen in den Ruin trieben, sind zumindest offiziell Geschichte.

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Die Krähe lebt es vor. Gefiederte Artgenossen werden mit Futter beschenkt, ist man einander in Freundschaft verbunden. Andernfalls wird das Objekt der Begierde versteckt. Schenken kommt von Teilen, und das ist tief in sozialen Lebewesen verankert, hilft es ihnen doch dabei zu überleben, sagt Anton Tölk. Der Facharzt für Psychiatrie beobachtet alle Jahre wieder rund um Weihnachten die Riten des Gebens und Nehmens.

Geschenken gewinnt er nicht nur Gutes ab. Sie schaffen und stärken soziale Netzwerke, intensivieren Beziehungen, stiften Frieden – und das über alle Kulturen hinweg, sagt er. Sie machten jedoch auch abhängig und seien mitunter ein Machtfaktor. "Es gibt kein altruistisches, kein völlig selbstloses Schenken." Präsente seien stets, wenn oft auch unbewusst, mit einer Erwartungshaltung verbunden. Und sei es allein, um sich bei Beschenkten in Erinnerung zu rufen, um Anerkennung zu bekommen, um von ihnen zumindest wahrgenommen zu werden.

Opfer an die Götter

Dieses Prinzip lässt sich für Tölk schon in den Ursprüngen der Menschheit, bei religiösen Opfergaben an die Götter, beobachten. Eine nicht weniger starke Ausprägung finde es gegenwärtig bei Staatsgeschenken. Es gelte, die mit wertvollen Gaben Bedachten für sich günstig zu stimmen – und die Präsente im besten Falle in wirtschaftliche Bahnen zu lenken. Erhält ein Landeschef Rettungsautos, liegt es nahe, dass er die Ersatzteile dafür früher oder später wohl beim Stifter derselben erwerben wird.

Die Macht, die sich in vielen Präsenten manifestiert, äußert sich für Tölk vor allem in der schieren Unmöglichkeit, diese abzulehnen. Ein Geschenk abzuweisen komme meist einer massiven Kränkung gleich. Wie es nicht weniger unangenehm sei, jemanden über eigene finanzielle Verhältnisse hinaus mit Mitbringseln zu beglücken.

Das gesellschaftliche Regelwerk über Erwünschtes und Unerwünschtes ist freilich ein fragiles und dem Wandel der Zeit unterworfen. Es sei noch nicht lang her, dass die Bevölkerung Polizisten regelmäßig einen guten Tropfen Wein angedeihen ließ. "Heute fällt dies unter Bestechung."

Millionen Euro verpuffen

Nichts zu spenden ist aus Tölks Sicht jedoch auch keine Lösung. Das hieße nämlich, jede Beziehung zu verweigern. "Die Kunst ist, das richtige Maß zu finden." Was wiederum vor allem bei Kindern, die Heiligabend seit Monaten entgegenfiebern, schwierig ist. Untersuchungen zeigen, dass die Zufriedenheit des Nachwuchses bei fünf Packerln plus/minus zwei am höchsten ist. Ab zehn Paketen ufere das Ganze in bloßes Papieraufreißen aus, resümiert der Neurologe Tölk und spricht von "emotionalem Zumüllen".

Rund 1,25 Milliarden Euro werden heuer wieder in Form diverser Präsente unter Österreichs Christbäumen liegen. Millionen Euro verpuffen in Fehlgriffen. Ein Gutteil davon wird umgetauscht, der Rest harrt ungeliebt seines ungewissen Schicksals.

Streng ökonomisch gesehen sind Weihnachtsgeschenke ein Verlustgeschäft, eine Wertevernichtung, um nicht zu sagen völliger wirtschaftlicher Unfug. Der US-Ökonom Joel Waldfogel errechnete einst, dass in den USA dadurch jährlich bis zu 20 Milliarden Dollar verlorengingen. Grund sei die falsche Einschätzung der Präferenz des Beschenkten. Dieser erhält etwa ein Kochbuch um wohlfeile 50 Euro. Er selbst hätte dafür, wenn überhaupt, nur einen Bruchteil des Geldes ausgegeben.

Schenken stärkt soziale Beziehungen, hat jedoch auch dunkle Kehrseiten.

Um den Werteverfall zu bremsen, plädiert auch der deutsche Wirtschaftsprofessor Achim Wambach, nicht ganz frei von Ironie, für ein Bündel an Scheinen unterm Baum. Bares sei in vielen Kulturen gar nicht unüblich und halte die Gefahr von Vergeudung von Zeit, Arbeit, Rohstoffen gering.

Ansehen und Status

Matthias Sutter, Vorarlberger Volkswirt und Direktor des Max-Planck-Instituts in Bonn, zieht im STANDARD-Gespräch eine großzügigere Betrachtungsweise vor: Rein ökonomisch betrachtet sei die Verschwendung von Ressourcen ja nicht ganz von der Hand weisen. "Doch es lässt sich eben nicht alles in Geld bewerten", spielten doch auch emotionale und soziale Aspekte mit hinein.

Sutter spricht den Menschen auch keine uneigennützige Geschenke ab – er erinnert hier etwa an Präsente der Eltern an ihre Kinder. Erkauft man sich aber damit letztlich nicht sehr wohl auch Macht? Sutter führt eher gesellschaftliches Ansehen und sozialen Status ins Treffen, die mit manchen Gaben einhergingen. Zudem seien sie in der Lage, soziale Unterschiede zu mindern, "auch wenn wir damit nicht die Ungleichheit der Welt beenden werden". Eine völlige Abkehr von materiellen Gaben sieht er kritisch: Noch immer gebe es genug Menschen, denen das Geld fürs Nötigste fehle. "Ich warne vor einem überheblichen, arroganten Blick."

Konto des Gebens und Nehmens

Für Erich Kirchler, Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie der Uni Wien, dienen Rituale wie an Weihnachten hingegen mehr der Wirtschaft denn der stärkeren Verbundenheit der Menschen. Schenken solle Zuneigung ausdrücken und Dankbarkeit bezeugen. "Auf Kommando bedeutet es aber mehr Stress als Glück." Universell sei das Gesetz der Reziprozität: In den meisten Beziehungen müssten Gaben erwidert werden – sie seien also sehr wohl mit Forderungen und Verbindlichkeiten verknüpft. Der Psychologe nennt es "ein mentales Konto des Gebens und Nehmens" – mit der Folge, dass Präsente auch beleidigend sein könnten.

Geldgeschenke hält Kirchler nur für bedingt passend. Großeltern und Eltern, die ihre Kinder damit bedenken, liegen aus seiner Sicht richtig. Unter Freunden Bares zu verteilen sei jedoch eigenartig. Nichts Falsches sei darin, auf die Wünsche der Kinder einzugehen. "Nur inflationär darf das Schenken nicht werden." Überdies müsse der Nachwuchs lernen, auf die finanzielle Lage der Eltern Rücksicht zu nehmen.

Zeremonien, bei denen sich Menschen mit Geschenken in den Ruin treiben, sind zumindest in Form des Potlatch verboten. Junge amerikanische Häuptlinge versuchten dabei einst, sich mit freizügigen Festen zu übertreffen, was manch einen sein gesamtes Hab und Gut kostete. Bis heute wenig daran geändert hat sich, dass Gaben den Geber widerspiegeln sollen und als persönliche Visitkarte herangezogen werden.

Zeit statt Zeug

Was, wenn sich Regale unter dem Gewicht unzählig ungelesener Bücher biegen, Kästen vor Textilien überquellen, Kinder an jeder Ecke über Spielzeug stolpern, die zehnte Städtereise mehr ermüdet denn erfreut, der Vorrat an Parfum eine ganze Armee betäuben könnte und jener an Kosmetik die eigene Lebenserwartung ums Doppelte sprengt? Michael Volkmer bietet angesichts "des Geschenkewahnsinns" Abhilfe. Der deutsche Designer und Agenturchef offeriert auf dem Internetportal "Zeit statt Zeug" 60, 90 und 120 Minuten.

Mit ihnen wird anstelle eines Buches das Vorlesen verschenkt. Statt Stofftieren gibt es einen Zoobesuch und statt eines Haustiers einen Hund zum Ausführen. Statt einer Konsole spielt es Fußball, statt Parfum verspricht man Waldluft, statt Kaffeekränzchen Demonstrieren und statt Blumen Küsse.

Rund 200.000 dieser verbindlichen kostenlosen Präsente wurden seit Bestehen der Plattform vor sechs Jahren vergeben. Auch die Handelskonzerne Real und Metro hatten sie einst im Sortiment und stellten dafür ihre Kassensysteme um. Beim Kauf wurde nämlich ein Betrag von null Euro ausgewiesen.

An jedem Ding, das sinnlos erzeugt wird, hänge "eine CO2-Blutspur", sagt Volkmer. Ob er mit seinem Projekt zur Nachhaltigkeit anregt? "Der Zug des Konsums fährt mit Karacho weiter, und er wird wohl noch schneller werden. Viele haben jedoch zumindest verstanden, dass es in die falsche Richtung geht." (Verena Kainrath, 2.12.2018)