Bild nicht mehr verfügbar.

Bush traf Michael Gorbatschow zehn Tage, bevor die Resolution 678 im Uno-Sicherheitsrat zur Abstimmung kam.

Foto: AP / Jerome Delay

Der Blick auf einen verstorbenen Politiker wird stets auch von der politischen Aktualität bestimmt: So kann eine Nachbetrachtung auf Georg H. W. Bush, geschrieben in der Amtszeit eines US-Präsidenten Donald Trump, schnell zum Klagelied über die verlorene amerikanische Tugend des Multilateralismus werden. Dazwischen, wie Bush senior internationale Diplomatie sah und was unter Trump daraus geworden ist, liegen Welten.

Das ist keine romantisierende Sicht: Es ist ja ganz klar, dass jeder US-Präsident im Prinzip nach der handfesten Maxime "America first" handelt, als Vertreter der amerikanischen Interessen vor allen anderen. Das galt auch für den alten Bush, einen, wenn nötig, zynischen Realpolitiker. Auch er machte oder billigte dabei Dinge, die ihm seine Kritiker bis ins Grab nachrufen: Nur ein Beispiel, auch in den Reaktionen auf den Nachruf im STANDARD fehlt nicht die Brutkastengeschichte, der Auftritt einer gecoachten kuwaitischen Diplomatentochter, die als – falsche – Augenzeugin in der Uno schilderte, wie irakische Soldaten nach dem Überfall auf Kuwait 1990 kuwaitische Babys aus den Brutkästen warfen, um diese nach Bagdad zu schicken. Die Stimmung für den Golfkrieg 1991 gegen Saddam Hussein sollte bereitet werden.

Historisches Glück

Abgesehen davon, dass die irakischen Verbrechen in Kuwait dennoch real stattgefunden haben: Gerade Bushs Vorbereitungen für diesen Krieg gegen den Irak – im Vergleich mit jenem 2003, den sein Sohn George W. Bush führte – sind ein Lehrbeispiel, was Multilateralismus heißt. Bush hatte dabei auch gewissermaßen historisches "Glück", denn der Niedergang der Sowjetunion machte eine Aktion gegen Saddam Hussein, der im August 1990 in Kuwait einmarschiert war, ja überhaupt erst möglich.

Aber zwischen einer vielleicht erwartbaren russischen Duldung des Kriegs gegen den Irak bis zu dessen expliziter Unterstützung durch Moskau lag ein weiter Weg. Bush schaffte genau das: Am 29. November 1990, also vor fast genau 28 Jahren, stimmte Moskau im Uno-Sicherheitsrat für Resolution 678, in der "all necessary means", alle nötigen Mittel, erlaubt wurden, um die Iraker aus Kuwait zu vertreiben.

Bushs Arbeit mit Gorbatschow

Durch den damaligen US-Botschafter an der Uno in New York, Thomas Pickering, weiß man, wie Bush systematisch "an den Telefonen arbeitete" und Präsident Michael Gorbatschow zehn Tage, bevor die Resolution im Uno-Sicherheitsrat zur Abstimmung kam, traf, um sich mit ihm abzustimmen (Gorbatschow wollte eigentlich zwei Resolutionen, Bush machte eine zweistufige Resolution daraus). Auch die anderen Uno-Sicherheitsratsmitglieder wurden in den Prozess involviert, am Ende enthielt sich China, nur Jemen und Kuba stimmten dagegen.

Nach der Zustimmung im Uno-Sicherheitsrat ging Bush senior in den Kongress, um sich die Einwilligung für den Krieg zu holen. Bush junior machte es 2002/2003 genau umgekehrt, er setzte eine klare Priorität. Bush senior hielt sich 1991 genau an das vom Uno-Sicherheitsrat erteilte Mandat, Kuwait von den Irakern zu befreien, obwohl ihm der zweite Teil des Mandats, nämlich "Frieden und Sicherheit in der Region wieder herzustellen", einigen Handlungsspielraum gegeben hätte (die Gründe, warum er Saddam nicht stürzte, sind vielfältig: seine arabischen Partner, die Angst vor dem Iran).

Wieder ganz anders Bush junior: Selbst wenn er vom Uno-Sicherheitsrat 2003 das Mandat für einen Krieg bekommen hätte – was nicht geschah –, hätte er es mit Gewissheit überschritten. Denn das Mandat hätte gelautet, den Irak (von den nicht existenten Waffen) zu entwaffnen, und nicht, Saddam Hussein zu stürzen.

Wie gesagt, das soll keine Diskussion aller Hintergründe oder eine Bewertung des Golfkriegs 1990 und dessen Folgen sein, zu denen ein Aufstand im Süden und Norden des Irak gehörte, zu dem Bush zuerst aufrief und den er dann, zumindest im Süden, völlig im Stich ließ. Es geht um die methodischen Unterschiede von Bushs Arbeit im Vergleich mit nachfolgenden Präsidenten. Bush senior setzte auf Multilateralismus und Diplomatie, Bush junior schätzte sie gering. Und Donald Trump lehnt sie aus vollem Herzen ab.

Am Ende die Madrid-Konferenz

Die USA und die kurz vor ihrem Ende stehende Sowjetunion taten noch einen gemeinsamen diplomatischen Schritt, der heute fast vergessen ist: Ende Oktober 1991 waren sie die gemeinsamen Sponsoren der Madrid-Konferenz, die als Anfangskonferenz für einen Nahostfriedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern – und natürlich den Arabern insgesamt – dienen sollte. Die Palästinenser, die im Golfkrieg Saddam Hussein unterstützt hatten, lagen ohnehin am Boden und mussten tun, was man ihnen sagte; Israel, das vom Irak angegriffen worden war – die Palästinenser hatten vor Freude auf den Dächern getanzt –, hatte sich zum ersten Mal auf einer Seite mit arabischen Staaten wiedergefunden und musste guten Willen zeigen.

Die Israelis – Premier Yitzhak Shamir – gingen aber nicht freiwillig oder gar gerne zu dieser Friedenskonferenz, George H. W. Bush half mit wirtschaftlichen Drohungen etwas nach. Genützt hat es nichts, das viel beschworene "window of opportunity" gleich nach dem Ende des Kalten Kriegs, in dem man so viele Konflikte zu lösen hoffte – woran George H.W. Bush fest glaubte –, hat sich sehr schnell wieder geschlossen. (Gudrun Harrer, 1.12.2018)