Maurice Ernst (stehend) und Bilderbuch stagnieren mit ihrem neuen Album auf hohem Niveau, Vermarktung ist alles – und die Form regiert über den Inhalt.

Foto: Hendrick Schneider

Voriges Jahr waren Bilderbuch in Jan Böhmermanns Sendung Neo Magazin Royale zu Gast, um ihren Song sneakers4free zu performen. Magic Life, das vierte Album der Band, war kurz zuvor erschienen und löste bei Fans und Kritikern gemischte Gefühle aus. Da gab es jene, die sich nach dem Bombast von Schick Schock eher getrollt fühlten: Die neue Experimentierfreudigkeit war ihnen nicht eingängig genug. Andere fanden den Schritt weg vom Hit spannend, schätzten, dass Bilderbuch nicht zweimal in denselben Fluss steigen wollten. Die Süddeutsche Zeitung nannte Magic Life überhaupt "die beste Musik zurzeit". Dass das Album einen kalkulierten Bruch darstellte, war allen klar. Genauso klar war, dass Bilderbuch-Auftritte nun einmal großartig sind – auf der Bühne und im Fernsehen.

Popkultur in Reinform

Anstatt sneakers4free bei Böhmermann einfach in gewohnter Stärke und Manier zu spielen, brachten Bilderbuch dort ein Live-Musikvideo auf die Bühne. Glastüren, Sneaker-Altäre und nicht zuletzt die Bandmitglieder wurden auf beweglichen Elementen durch den Raum manövriert. Dann stand Sänger Maurice Ernst in überlebensgroßen weißen Sportschuhen auf der Bühne. Der Moment brachte das Konzept hinter Bilderbuch auf den Punkt: Hier geht es nicht nur um Musik, sondern um Popkultur in Reinform.

Maurice in riesigen Sneakers, Maurice im gelben Lamborghini (Maschin), Maurice an der Poledance-Stange (Bungalow). Mindestens seit der EP Feinste Seide wurden Bilder und Symbole geschaffen, ein Spektakel inszeniert, das sich einprägt. Die Band wollte nicht nur Band, sondern Phänomen sein. Das gelang gut. Selbstbewusstsein und Glitzer kehrten in den deutschsprachigen Pop zurück. "Ich war immer ein Junge mit Ideen", lautet ein Textstück aus sneakers4free. Korrekt.

Die Kunst der Übertreibung

Verhältnismäßig früh erkannte die Band, dass es die große Geste, die Übertreibung und die Oberfläche braucht. Dass man klug zitieren, aber vor allem zitiert werden muss. Mit powervollen Einzeilern à la "Baby, leih mir deinen Lader", Softdrinks und Frinks schuf man Claims, die die Runde machten. Tiefgang ließen diese immer schon vermissen, aber sie transportierten zeitgeistige Coolness und Dolce-Vita-Gefühl. Kurz: Sie setzten die Trends. Die Videos, die flamboyanten Fetzen, die Instagram-Follower – Bilderbuch wurden zur besten Kreativ-Agentur Österreichs. Inspirieren ließ man sich von den ganz Großen im Business. Frontmann Maurice Ernst soll zum Beispiel von Kanye Wests 2010 erschienenem Album My Beautiful Dark Twisted Fantasy beeindruckt gewesen sein. Das Album brannte sich auch durch den zugehörigen, fabelhaften Kurzfilm ins kollektive Millennial-Gedächtnis ein. Einfach nur Musik veröffentlichen? Diese Zeiten waren sowieso vorbei.

Mea Culpa, Bilderbuchs neues Album, erscheint nun ohne klassische Ankündigung, ohne Vorab-Singles. Ein zweites mit dem Titel Vernissage My Heart wird am 22. Februar folgen. Das ist zuerst einmal eine klare Demonstration von Pouvoir. Man kann es halt. Gleichzeitig wird mit Marketingstrategien der Ära 2.0 geliebäugelt – der hochgelobte amerikanische R&B- und Hip-Hop-Künstler Frank Ocean lässt grüßen. Dieser veröffentlichte 2016 an zwei aufeinanderfolgenden Tagen seine Alben Endless und Blonde. Parallelen finden sich aber nicht nur in der Art der Veröffentlichung, sondern auch im Inhalt. Gleich im ersten Track auf Mea Culpa, Sandwishes, ist von gestressten "Superrichkids" die Rede. Eine klare Anspielung auf Frank Oceans gleichnamigen Song.

BILDERBUCH

Der Unterschied: Wo bei Ocean hinter der Verherrlichung des Hyperkapitalismus immer auch eine leise Kritik daran mitschwingt, bleiben Bilderbuch ganz und gar Material Boys. Die sehnen sich zwar auch ab und zu nach einfacheren Zeiten – statt Netflix zu schauen, das mit seiner Auswahl überfordert, geht man lieber ins Megaplex -, insgesamt regieren auf Mea Culpa aber iPhone X und die frustrierende Suche nach leerer Online-Liebe.

Stilistisch nichts Neues

Musikalisch bleibt Mea Culpa ganz im Fahrwasser von Magic Life. Klassische Songstrukturen reizen die vier Herren nicht mehr so stark. Stattdessen begibt man sich auf die Suche nach dem originellsten Sound – und findet ihn auch ab und zu. In anderen Fällen klingt, was offensichtlich den Effekt eines starken LSD-Trips hätte haben sollen, nur wie ein CBD-Brownie von der Aida (Mein Herz Bricht).

Mein Herz bricht – Bilderbuch veröffentlichen heute ein neues Album.
BILDERBUCH

Taxi, Taxi spielt mit der Erwartungshaltung: Wo ist die Kick-Pille? Aber sie kommt nicht. Gute Frotzelei. Lounge 2.0 verdeutlicht leider allzu stark, was passiert, wenn man sich nur für formale Referenzen interessiert. Ein Two-Step-Beat und das – vermutlich brasilianische – Vocal-Sample klingen gut, machen aber keinen Song. Memory Card ist wohl der klassischste Bilderbuch-Track, man hört die Fans den Refrain schon mitkreischen. Checkpoint – ja, das hat Seele und ist einfach schön.

Einfach schön: Checkpoint (Nie Game Over)
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Während Magic Life noch Statement war, bietet Mea Culpa aber nur more of the same. Das ist nicht schlecht, aber eben auch nicht überraschend. Die Art und Weise der Veröffentlichung dieses Albums muss so trotz einiger solider Nummern sein spannendster Aspekt bleiben. Bilderbuch haben sich einen Status erarbeitet, durch den die Erwartungen an ihre Innovationskraft einfach höher sind. Im besten Sinne sind sie – wie es der Titel des Albums quasi sagt – selbst schuld daran. (Amira Ben Saoud, 4.12.2018)