Timna Brauer ist in der Weltmuseum-Ausstellung "Verhüllt, enthüllt!" mit einem Kurzfilm von Bele Marx und Gilles vertreten.

Bele Marx u. Gilles Mussard, Timna Brauer

In dem Beitrag setzt sich die Sängerin kritisch mit der Vollverschleierung auseinander.

Bele Marx u. Gilles Mussard, Timna Brauer

Gezeigt wird in dem Video, welche Varianten des Kopftuchs es gibt.

Bele Marx u. Gilles Mussard, Timna Brauer

Arabeske Klänge werden bei Timna Brauer mit österreichischer Volksmusik verschmolzen. Wo der Schleier fällt, kommt das Dirndl zum Vorschein.

Bele Marx u. Gilles Mussard, Timna Brauer

Kippa, Fes oder der weiße Schleier ihrer jemenitisch-jüdischen Großmutter, deren Haare sie nur ein einziges Mal gesehen hat – mit Kopfbedeckungen aller Art ist die Sängerin Timna Brauer aufgewachsen. Für die aktuelle Ausstellung "Verhüllt, enthüllt!" zum Kopftuch im Wiener Weltmuseum hat sie in Kooperation mit dem Künstlerpaar Bele Marx & Gilles Mussard einen kritischen Kurzfilm beigesteuert . Bei der Eröffnung der Schau wurde sie wegen ihrer Meinung auch angegriffen.

STANDARD: Das Thema Kopftuch wird in den letzten Jahren hochemotional diskutiert. Verständlich?

Brauer: Es ist ganz klar, dass die Emotionen hochgehen. Weil man so lange um die Emanzipation gekämpft hat, damit noch immer nicht ganz durch ist und jetzt die Verschleierung zunimmt. Das Kopftuch ist für mich auch ein Symbol für die Unterdrückung. Das ist für Frauen, die sich befreit haben, eine unangenehme Situation. Es ist umgekehrt aber auch so, dass Musliminnen, die das Tuch freiwillig tragen, sich empören, wenn ihnen der Staat diktieren will, wie sie sich zu kleiden haben.

STANDARD: Was ist Ihr persönlicher, familiärer Zugang zum Thema?

Brauer: In meinem Umfeld haben Kopfbedeckungen jeder Art immer eine Rolle gespielt. Die Familie mütterlicherseits stammt aus dem Jemen, der ältesten jüdischen Diasporagemeinde. Zu der Zeit trug der Opa den türkischen roten Fes, und als die Engländer das Land beherrschten, wechselte er zum europäischen schwarzen Borsalino über. Unter diesen Kopfbedeckungen trug er aber auch stets die Kippa, wie es das jüdische Gesetz vorschreibt. Die Oma kannte ich seit eh und je mit weißem Schleier vor dem Gesicht. Als Kind habe ich nur ein einziges Mal ihre Haare gesehen und bin erschrocken, weil sie als Greisin zwei sehr lange, knallorange Zöpfe trug. Es war die Färbung des Hennastrauches, rot, gegen den "bösen Blick", eine uralte Tradition aus dem Orient. Meine jüdisch-arabische Oma war eine Dienerin ihrer Familie. Der Gegenpol war meine Großmutter aus Österreich. Sie war Sozialistin und aus der Kirche ausgetreten. Da war Kopftuch kein Thema. Wenn man Bedeckung trägt, nur weil es die Gesellschaft so will, dann bin ich total dagegen.

STANDARD: Sie erzählen diese Geschichte in der Weltmuseum-Ausstellung "Verhüllt, enthüllt!". Manche haben die Schau kritisiert mit dem Vorwurf, dass durch das ausführliche Zeigen der christlichen Kopftuchgeschichte die aktuelle Debatte um das muslimische Kopftuch relativiert werden soll. Was sagen Sie dazu?

Brauer: Dass dieser Vorwurf kommt, zeigt schon, dass es bei dem Thema viele Ängste gibt. Ich finde es vollkommen richtig, dass man in der Ausstellung auch die christliche Kopftuchgeschichte zeigt. Je mehr Information wir zu dem Thema bekommen, umso besser können wir die Situation bewerten.

STANDARD: Aber kann man so eine Ausstellung machen, ohne dabei die politischen Debatten zu schildern?

Brauer: Ich denke schon. Das Thema ist so sehr politisiert, dass es gut ist, einmal innezuhalten und einen anderen Zugang zu wählen. Die politische Debatte findet draußen ohnehin statt.

STANDARD: In dem Kurzfilm zur Ausstellung zur Ausstellung wird die Verschleierung auch als buntes, verführerisches Modeaccessoire gezeigt. Im europäischen Straßenbild ist diese Variante kaum zu sehen. Stört Sie das?

Brauer: Selbstverständlich. Bedeckung ja, solange sie freiwillig passiert und am besten bunt, lebendig, ästhetisch schön ausfällt. Ich finde es zum Beispiel toll, welch farbenfrohe Kopftücher afrikanische Musliminnen tragen. Die Frage ist: Will man eine Krone oder einen Sack? Bei der Eröffnung der Weltmuseum-Ausstellung wurde ich für diese Haltung angegriffen.

STANDARD: Von wem?

Brauer: Ein türkischer Mann hat mir vorgeworfen, ich würde meine Großmutter und Musliminnen beleidigen. Dabei wird man doch wohl noch seine Meinung sagen dürfen? Bezeichnenderweise kam die Kritik von einem Mann und von keiner Frau.

STANDARD: Fakt ist, dass es im orientalischen Raum in den 1950er-Jahren weniger Kopftuchträgerinnen gab als heute. Sie pendeln zwischen Israel und Österreich. Wie nehmen Sie das wahr?

Brauer: In Israel gibt es eine Million Palästinenser mit israelischem Pass. Vor 20 Jahren war es undenkbar, dass die Mehrheit Schleier trägt. Das hat sich stark geändert. Ich glaube, es ist vor allem mit dem iranischen Ajatollah Chomeini eingesickert.

STANDARD: Wie wird die Kopftuchdebatte in den jüdischen Gemeinschaften geführt?

Brauer: In Israel ist man sehr tolerant, weil ja auch die orthodoxen Juden strenge Kleidungsvorschriften haben. Deshalb ist es klar, dass diese Debatte in Israel nicht existiert. Es gibt dort auch wahrlich drängendere Probleme. In Europa ist die Lage ganz ähnlich. Die meisten orthodoxen Juden sind für das Kopftuch, weil sie sonst fürchten müssten, dass auch sie unter Druck kommen.

STANDARD: Muss man, wenn man über Kopftuchverbote spricht, nicht nur die jüdische Kippa, sondern auch die Kreuze in Schulen und Gerichtssälen infrage stellen?

Brauer: Natürlich. Entweder man ist demokratisch oder nicht. Ich habe viele Jahre in Frankreich gelebt, wo es konsequenten Laizismus gibt. Ich finde das sehr richtig: Religion ist Privatsache und sollte nicht ständig zur Schau gestellt werden. Es ist aber schon ein Unterschied, ob in einem christlich geprägten Land Kreuze hängen oder ob Leute durch die Straße laufen, die nicht erkennbar sind. Bis zu einem gewissen Grad ist es legitim, hier zu differenzieren. Es gibt das Sprichwort: Wenn du in Rom lebst, verhalte dich auch wie ein Römer.

STANDARD: Die Regierung plant ein Kopftuchverbot im Kindergarten und in Volksschulen. Wie stehen Sie dazu?

Brauer: Ich denke, dass Verbote von außen das Problem nicht lösen können. Kleine Mädchen werden dann vielleicht keine Kopftücher mehr tragen müssen, aber umso strenger erzogen werden. Man wird das wohl irgendwie kompensieren. Dass sich jüdische und muslimische Frauen vom Joch der Männer befreien, kann eigentlich nur von innen heraus passieren.

STANDARD: Sehen Sie da Anzeichen?

Brauer: Im Moment geht es in die andere Richtung. Aber vielleicht muss es erst ganz extrem werden, bevor letztlich die Befreiung einsetzt.

STANDARD: Die FPÖ benutzt die Kopftuchdebatte auch für Stimmungsmache. Ihr Vater Arik Brauer hat Heinz-Christian Strache jüngst die Hand gereicht. Wie stehen Sie zu der Partei?

Brauer: Die FPÖ ist eine mittlerweile sehr große Partei, die aus Individuen besteht. Da gibt es leider auch Nazis, dann einige, die sehr problematisch sind, und andere, die vielleicht weniger problematisch sind. Es ist richtig, mit Letzteren das Gespräch zu suchen, gerade wenn diese Partei von so vielen Leuten gewählt wird. Mit Ablehnung vergrößere ich nur die Gräben. Natürlich gibt es immer das Problem, dass man benutzt wird, wenn man jemandem die Hand reicht.

STANDARD: Glauben Sie, dass die FPÖ Juden als Partner gegen den Islam benutzen will?

Brauer: Ich denke schon, bis zu einem gewissen Grad. Es bleibt eine Gratwanderung. (Stefan Weiss, 4.12.2018)