Aufgesprayte Liebesbezeugungen dürften nur wenige Geschäftsbesitzer an den Champs Élysées über Zerstörungen und Plünderungen hinwegtrösten.

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Die Franzosen sind noch dabei, die Gewaltexzesse vom Wochenende zu verarbeiten, als hunderte Ultras in den Vierteln um den Pariser Triumphbogen wüteten. Präsident Emmanuel Macron aß am Montag demonstrativ mit Einsatzpolizisten zu Mittag – ein Signal, dessen es gar nicht bedurft hätte: Viele Gelbwesten gingen am Montag auf Distanz zu den Schlägern.

Macron versucht, alle anderen politischen Kräfte einzubinden. Am Montag empfing Premierminister Edouard Philippe die Chefs der großen Parteien, für heute, Dienstag, war ein Treffen Philippes mit Delegierten der "Gilets Jaunes" geplant. Diese sagten das Gespräch am Montagabend jedoch kurzfristig ab. Zwei Vertreter der Protestbewegung gaben "Sicherheitsgründe" dafür an. Sie seien von Hardlinern bedroht worden, weil sie mit Regierungsvertretern sprechen wollten.

"Solange die Regierung die Benzinsteuererhöhung nicht zurücknimmt, gehen die Proteste weiter", sagte die Gelbwesten-Frontfrau Jacline Mouraud. Auch Konservativenchef Laurent Wauquiez fordert die "Annullierung" der Steuererhöhung und ein Referendum zur Umweltpolitik, Linksparteien wollen zudem Neuwahlen und die Wiedereinführung der von Macron reduzierten Vermögenssteuer. Auf Philippes Vorschlag, für Mittwoch eine Parlamentsdebatte zu organisieren, reagierten die Kommunisten mit der Ankündigung eines Misstrauensantrags.

Die Macron-Partei La République en Marche (LRM) hat in der Nationalversammlung zwar die Mehrheit – doch es rumort unter den gut 300 LRM-Abgeordneten. Noch 2017 hatten sie als neuartige Garde eines jungen Präsidenten Hoffnungen geweckt. Jetzt gelten sie in den Augen der Gelbwesten bereits selbst als Teil des Systems.

Generell ist die gelbe Protestbewegung dabei, ihre politische Couleur zu ändern: Gaben am Anfang autofahrende und eher rechts stehende Gegner hoher Steuern den Ton an, nehmen heute soziale Forderungen, etwa nach Erhöhung des Mindestlohnes, überhand. Der Publizist Laurent Joffrin spricht bereits von "Rotwesten". Die konservative Zeitung Le Figaro, anfangs Feuer und Flamme für die "Steuerrevolte", berichtet mittlerweile distanzierter und hebt die Gewaltexzesse hervor.

Aufruf zu Aktionstag

So sind es auch politisch eher links stehende Kräfte, die sich den Gelbwesten neu anschließen. Mittelschüler bestreikten am Montag hunderte Mittelschulen. Sie protestieren gegen eine Reform des Universitätseintritts und äußern ihre Solidarität mit den Gelbwesten. Die einst kommunistische Gewerkschaft CGT ruft für den 14. Dezember zu einem Aktionstag auf, um ähnlich wie die Gelbwesten höhere Löhne zu verlangen. Neopolitiker Raphaël Glucksmann, Sohn des bekannten Philosophen, ortet die Vermischung einer Sozial- und einer Regimekrise. Macron habe die Politik seiner Vorgänger weitergeführt: "Ganze Teile der Bevölkerung wurden ins Elend degradiert, während sich andere fröhlich bereicherten. Das macht die Lage in Frankreich äußerst gefährlich, weil die Wut heute unkontrollierbar ist."

Im Internet zirkulieren Aufrufe zu einem "vierten Akt", nachdem die drei vorangegangenen Aktionen in Paris zu Krawallen und landesweit zu Verkehrssperren geführt hatten. Ein Appell ruft zum "Sturm auf die Bastille" auf.

Im Élysée-Palast gerät Macron deshalb unter Zugzwang: Wenn er die Benzinsteuererhöhung bis Samstag nicht auf Eis gelegt hat, könnte die Lage vollends eskalieren. Es kommt bereits zu Versorgungsengpässen: Elf Treibstofflager wurden am Montag blockiert, in der Bretagne wurde Benzin rationiert. Und zu allem Überdruss lahmt das Weihnachtsgeschäft. (Stefan Brändle aus Paris, 3.12.2018)