Krems – Die Langhantel ist vollgesteckt mit 15-Kilo-Scheiben. "Körperspannung. Hüfte nach vorne", ruft Ewald Fischer. Nach der dritten Kniebeuge lässt Tochter Sarah die Stange über die Schultern nach hinten auf die Bühne krachen. "Das Schlimmste ist die Vorbereitung in eine neue Wettkampfphase. Da plagt sie sich, erschlägt sich fast mit den Gewichten", sagt Ewald Fischer. Sarah legt die Hände auf die Knie und pausiert lange. Im Hintergrund läuft bulgarische Disco-Musik. "Wenn es mir dreckig geht, brauche ich fünf Minuten, bis ich den nächsten Satz packe", sagt sie.

Sarah Fischer ist U17-Weltmeisterin, U20-Europameisterin, fünfmal wurde sie Vizeeuropameisterin und viermal Vizeweltmeisterin im Nachwuchs. Dazu kommen elf Staatsmeistertitel und 267 österreichische Rekorde. Die 18-Jährige ist die stärkste Frau Österreichs. Die Ziele sind klar: Medaillen bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio und 2024 in Paris.

Während sich andere Mädchen in ihrem Alter am Samstagvormittag vom Vorabend erholen müssen, biegt Fischer zwölf Tonnen Eisen in der Stemmerhalle im Sportzentrum Krems. Am Parkplatz hat sie vor dem Training auf zugeschneiten Schildern Gewichtheber-Übungen mit dem Finger gemalt und lacht lauthals darüber, als sie die Fotos auf ihrem Handy herzeigt. "Vielleicht werden die Leute ja so neugierig auf unseren Sport."

Sarah Fischer bei der Europameisterschaft in Rumänien in der allgemeinen Klasse.
Foto: APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU

Ewald Fischer hat sich zum Treffen mit dem STANDARD ein wenig verspätet, "wegen einer Bestellung". Einmal die Woche wird eine Ladung Bio-Rindfleisch vom Bauern abgeholt, Sarah isst fünf ordentliche Mahlzeiten am Tag. Zwei Monate vor einem Wettkampf sind Pizza und Fastfood verboten, "das ist aber keine Bestrafung für mich, weil wenn ich beim McDonald's was esse, habe ich nach 20 Minuten wieder Hunger, da ist nichts Hochwertiges drin". Ein täglicher zweistündiger Nachmittagsschlaf ist Usus. Die Tage sind durchgetaktet, "da muss auch die Mama mitspielen", sagt Ewald, dessen Frau Renate als Kindergärtnerin und gelernte Köchin manchmal nach einer späten Trainingseinheit noch nachts aufkocht.

Sarah bringt beim Reißen ein Gewicht von 102 Kilogramm in die Höhe, beim Stoßen 132 Kilogramm. Der Weltrekord bei den Frauen liegt bei 155 Kilogramm im Reißen und 193 Kilogramm im Stoßen, die Männer schaffen in der Schwergewichtsklasse (mehr als 105 Kilogramm Körpergewicht) 220 bzw 263 Kilogramm. Auf eine Olympiamedaille fehlen ihr noch 30 Kilo, es gibt noch viel zu tun.

Dass Sarah breitere Schultern hat als die meisten Burschen in ihrem Alter, bereitet ihr keinen Kummer. Gedanken über Schönheitsideale macht sie sich heute weniger als noch vor ein paar Jahren. "Wenn ich auf die Straße gehe, sagen manche Leute, dass ich dick ausschaue. Aber die sehen meine Muskeln nicht und dass ich dafür wie eine Wahnsinnige arbeite." Sarah Fischer ist durchtrainiert, wiegt 88 Kilogramm. Sie erlebt aber auch das andere Extrem, wenn sich Turnerinnen und Balletttänzerinnen in ihrer Klasse in der Handelsschule für Leistungssportler in St. Pölten darüber unterhalten, "ob sie mit 45 Kilo abnehmen müssen".

Ewald Fischer ist Vater, Trainer, Taxi, Geldaufsteller und vieles mehr.
Foto: DER STANDARD/Florian Vetter

Zum Thema, ob schweres Krafttraining als Teenager den Körper schädige, schüttelt Sarah den Kopf. "Mit Leistungssport mit zwei- bis dreimal am Tag Training betreibst du immer Raubbau am eigenen Körper, egal in welcher Sportart." Bis auf Knieschmerzen in der Pubertät hatte Sarah noch keine Probleme.

"Ich kenne kein anderes Leben als das", sagt Sarah. Mit sieben Jahren startete sie bei ersten Wettkämpfen, bestehend aus Liegestützen, Leichtathletik und Gewichtheber-Übungen mit Holzstangen. Ab elf Jahren ging es um das gehobene Gewicht. Vater Ewald war ebenfalls Stemmer, 13-mal Staatsmeister. Er investiert sein Leben in seine Kinder, Sarahs Bruder David (20) setzt die Familientradition fort, holte letztes Jahr Bronze bei der U20-WM in Albanien. David trainiert mittlerweile die meiste Zeit des Jahres in Bulgarien und Armenien, wo "jedes Training ein Wettkampf ist". Das Experiment mit einem bulgarischen Trainer in Krems hat für die Fischers nicht funktioniert, neben einem Fixum von 500 Euro besorgte Ewald dem Trainer einen Job bei einem Bauern, "Landarbeit, Traktor fahren und so", aber "er forderte mit dem zunehmenden Erfolg immer mehr Geld, und dann hab' ich Nein gesagt".

Konflikte

Seitdem trainiert der Vater wieder die Tochter. Gibt es da ein wenig familiäre Eigendynamik in der Halle? "Ein wenig ist ein wenig untertrieben", sagt Sarah. "Meine Schuld", sagt Ewald, der sein Leben und seinen Beruf als ÖBB-Lokführer auf die Karriere seiner Kinder ausrichtet. "Ich kann mir die Dienste gut einteilen, meistens ist in Krems Abfahrt und Ankunft, der Bahnhof ist 500 Meter entfernt von der Halle."

Familie Fischer aus Rohrendorf ist in der internationalen Gewichtheberszene mittlerweile bekannt "und respektiert". Auch dank Sarahs U17-Weltmeistertitel, den sie im Vorjahr in Bangkok holte. "Das ist, wie wenn ein Jamaikaner daherkommt und auf der Streif gewinnt", sagt Ewald.

Eine Saison für seine Tochter kostet mittlerweile 40.000 Euro, 2019 wir der Österreichische Gewichtheberverband (ÖGV) fast die Hälfte abdecken, "was die Sponsoren nicht zahlen, zahlt der Papa". Prominenter Unterstützer von Sarah ist unter anderen Vinzenz Hörtnagl, heimische Gewichtheberlegende. "Er macht das nur für uns, eine Herzensangelegenheit." Der ÖGV hat jährlich zwischen 250.000 und 300.000 Euro Budget, zählt 590 Mitglieder. Zum Vergleich: Der Österreichische Skiverband (ÖSV) hat 141.000 Mitglieder. "Wenn die Sarah Ski fahren würde, müssten sie ihr bald ein Museum bauen."

Silbermedaillengewinnerin Sarah Fischer bei der EM in Rumänien.
Foto: APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU

Das Thema Feiern und Ausgehen beschäftigt Sarah momentan nicht. "Mittlerweile bin ich alt genug, es ist meine freie Entscheidung. Auch wenn ich den Sport nicht machen würde, bin ich nicht der Typ, der sich am Wochenende ansauft." Worauf sie steht: ein ganz spezielles Make-up, bestellt aus Amerika. Bei Wettkämpfen im Ausland hat sie ein Auge auf so manchen Gewichtheberkollegen geworfen. "Wenn ich den dann ein halbes Jahr lang nach dem Turnier nicht sehe, bin ich schon traurig." Einen Gewichtheber als Freund kann sie sich im Moment am besten vorstellen. Einen Kollegen aus der Schule eher nicht.

Von den jungen Burschen aus der heimischen Gewichtheberszene "will keiner mit mir trainieren. Vielleicht liegt das an mir." Oder am harten Training. "Wenn am Plan steht: drei Wiederholungen mit 150 Kilogramm, fünf Sätze, dann wird das durchgezogen. Unser Programm halten die meisten nicht durch", sagt Ewald.

2024 ist damit aber Schluss. Das weiß Sarah jetzt schon. Sie will auf dem Höhepunkt ihrer Karriere aufhören. "Ich will nicht mein ganzes Leben Gewichte heben. Ich weiß, dass es auch noch etwas anderes gibt." (Florian Vetter, 10.12.2018)