Nehmen wir das Fazit vorweg: Die "Vantage" ist super. Erstens, weil sie alles kann, was eine Lauf- und Multisportuhr heute können muss – egal, ob im High-End-Bereich (das wäre die "Vantage V" um 499,90 Euro) oder im Jedermann-Segment (die "M"-Variante, 279,90 Euro). Und zweitens, weil es auch um etwas anderes geht: Mit der "Vantage" meldet sich Polar zurück. Zeigt, dass man doch nicht auf "Nokia-Kurs" ist: Nokia war einst der Inbegriff für Innovation und Vorsprung auf dem Handymarkt – und hörte irgendwann auf, sich zu entwickeln.

Ähnliches konstatierten Beobachter in den letzten Jahren bei Polar: Die Marke, die jahrzehntelang bei Sportuhren den Ton angegeben hatte, hörte auf, innovativ zu sein. Man hatte ein paar ausgezeichnete Modelle auf dem Markt. Doch während die Konkurrenten Garmin und Suunto wöchentlich neue oder gepimpte Modelle brachten, die Apple Watch den Lifestyle-Markt aufrollte und Fitbit, Withing, Samsung & Co sich bei den Wearables breitmachten, kam von Polar dröhnende Stille. Bis jetzt die "Vantage" herauskam. Und auch wenn dieses "jetzt" für Diskussionen sorgt, gilt: Die "Vantage" ist eine super Uhr.

Foto: Thomas Rottenberg

Fangen wir mit einem Geständnis an: Mein Verhältnis zu Polar ist "kompliziert". Ich lernte vor Jahren mit Polar-Uhren Sport und Laufen zu messen. Und war mehr als zufrieden. Als dann die ersten Uhren (ich glaube, bei mir war es eine Tomtom) mit Handgelenkspulsmessung auftauchten, verweigerte sich Polar. Ich verstand das: Ich gehöre zu jenen Menschen, bei denen Pulsmessung am Handgelenk lediglich "Spaßwerte" bringt.

Polar sagte, man wolle keine halbfertigen, unzuverlässigen Produkte auf den Markt werfen. Nachvollziehbar, dachte ich. Doch blöderweise maßen die Geräte, die Polar Jahre später doch nachreichte, auch nicht besser. Als ich das sagte, kühlte das Verhältnis ab.

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Darüber hinaus war ich, als Polar vor mittlerweile fast fünf Jahren sein bis zuletzt "gültiges" Spitzenmodel, die "V800", herausbrachte, zu ehrlich: "Eine super Uhr – wenn sie einmal fertig ist", schrieb ich. Im Laufe der Zeit mauserte sich die "V800" zwar zum Superwecker, aber auch der Mitbewerb schlief nicht: Egal, wie gut die eigene Top-Uhr sein mag, und egal, wie unzuverlässig die Handgelenkspulsmessung des Mitbewerbs bei Intervallen oder im High-Intensity-Bereich ist – genau das eben ist "State of the Art". Wer nicht mitzieht, verliert.

Zuerst die Elite – dann das Fußvolk: Beim Ironman in Kona auf Hawaii zählten die Garmin-PR-Leute Uhren. 2017 trugen von 2500 Startern angeblich 2300 Garmin. Vor drei Jahren hätte das niemand für möglich gehalten.

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Ja eh: Das Ironman-Finale in Hawaii ist die Superuser-Nische in der Hardcore-Nische Volldistanztriathlon. Und die ist eine Nische im Immer-noch-Minderheitenprogramm Triathlon. Dennoch: Stand früher außer Streit, dass Polar bei Sport & Uhren Marktführer ist, erklärte Garmin vergangene Woche bei einer Pressekonferenz in Wien, dass man bei Wearables mit 38 Prozent Marktanteil mittlerweile in Österreich Marktführer sei. Wearables sind alle Fitnesstracker, Sportuhren, Smartwatches & Co.

Auf Nachfrage relativierte Polar-Sprecherin Julia Fuchs dann: Man sei zwar nicht bei den Wearables, aber "im Bereich der Wrist Sport Computer (…) klar die Nummer eins".

Derlei Aufdröselei wäre früher nicht nötig gewesen. Schließlich hat auch Polar Fitnesstracker im Portfolio und schielte mit der "M600" 2016 auf die Welt der Smartwatches. Die "M600" konnte viel von dem, was die Applewatch (damals) konnte. Nur wurde sie als Sportuhr und nicht als Lifestyle-Spielzeug kommuniziert. Und die Smartwatch-immanenten kurzen Akku-Laufzeiten verärgerten etliche eingefleischte "Polarianer": Das Ding passte weder zum Image noch zu den Erwartungen an ein "Sportlabel".

Foto: Thomas Rottenberg

Außerdem legten Garmin und Suunto zur gleichen Zeit moderne Multifunktionsuhren vor, die der "V800" das Wasser reichen konnten, aber den Puls am Handgelenk (mit den bekannten Mätzchen) maßen: Seit damals trage ich Garmin. Daran änderte auch die im Sommer 2017 präsentierte Polar "M430" nichts: Die Uhr war die Handgelenksnachfolgerin von Polars Megaseller "M400", hat aber keine Multisportfunktionen. (Meine "V800" gab ich an eine junge Schwimmerin in meinem Verein weiter, die sich so ein Teil nicht leisten könnte: An der Performance der Uhr gibt es nach wie vor nichts auszusetzen. Sie ist einfach nur nicht mehr up to date.)

Foto: Thomas Rottenberg

Diesen Sommer verdichteten sich dann Gerüchte, dass Polar "etwas ganz Neues" bringen würde. Polar-Österreich-PR-Frau Julia Fuchs bedauerte, "noch nichts sagen" zu dürfen. Verständlich: Company-Rules sind eben so.

Der Haken an der Sache war aber, dass man den Handel auf das neue Ding vorbereitete, die Community aber für blöd verkaufte. Böse Menschen könnten unterstellen, dass man eventuell hoffte, so noch ein paar alte Uhren verkaufen zu können, auch wenn das mieses Karma bringt. Mitbewerber machen das längst anders. Sie hängen hübschen Insta-Starlets gegen eine hübsche Gage ein paar hübsche, noch funktionslose Dummys um. Die Klientel wird mit hübschen Fotos "angezuckert".

Polar dagegen informierte die Händler und blockte gleichzeitig ab. Blöderweise plaudern Händler aber mit Stammkunden: Quasi in Echtzeit zur Händlerpräse lagen die Eckdaten der "Vantage" bei mir. Als ich bei Polar fragte, was Gerücht und was Fakt sei, kam ziemlich unverblümt zurück: "Darüber darfst du nicht schreiben, bevor wir es freigeben." Blöderweise bin ich kein "verpartnerter" Blogger, gesponserter Instagrammer oder gar gekaufter Influencer auf einer PR-Payroll, sondern Journalist: Ich schrieb. Eh nur die Hälfte von dem, was ich hatte. Dass man bei Polar "not amused" sein und ich auf der Shitlist landen würde, war klar. Ich versteh das: Ich war lange genug Pressemensch eines Unternehmens, um zu wissen, was für ein Donnerwetter über die am "Leak" komplett unschuldigen PR-Leute wohl niedergegangen ist.

Foto: Screenshot

Offiziell sollte die "Vantage" beim Berlinmarathon (Mitte September) präsentiert werden. Im Handel dann ab Oktober. Ein paar ausgewählte deutsche Laufmedien waren schon eine oder zwei Wochen vor Berlin dran. Nach Berlin lud man dann alle anderen Medien. Okay: nicht alle. ;-) Parallel bemusterte man Athleten, Markenbotschafter und Influencer.

Als ich Ende Oktober in Taipeh mit einer internationalen Journalistengruppe unterwegs war, war ich der Einzige, der "die Neue" noch nicht hatte. Zumindest war ich der Einzige, der das zugab – beim Laufen trug sie nämlich nur einer. Aber der war von dem Wecker begeistert.

Foto: Thomas Rottenberg

Es dauerte dann noch ein paar Wochen, bis ich die "Vantage" auch ausprobieren durfte. Ich sei, hieß es immer wieder, "der erste Journalist in Österreich, der die Uhr bekommt". Lieb, aber sinnlos: Österreich steht auf der PR-Prioritätenlisten internationaler Konzerne (nicht nur Polar) längst ganz hinten. Viele lassen Ösiland nur noch als Zipfel Bayerns mitlaufen. Dann tauchen im Reporting und in den Press-Clippings für Konzernzentralen nur deutsche Zahlen und Medien auf: Wozu also Geld und Mühe reinbuttern, noch dazu, wo das Publikum hier eh auch die deutschen Medien liest?

Prompt fragte mich ein heimischer Laufschuhhändler, "ob du die 'Vantage' totschweigst, weil sie schlecht ist". Der Wecker sei schließlich "längst überall besprochen" (aber halt nur auf deutschen Plattformen). Das hat aber auch einen Vorteil: Wenn man nicht Erster ist, kann man die eigenen Erfahrungen mit denen anderer vergleichen.

Foto: Thomas Rottenberg

Womit wir endlich wirklich bei der "Vantage" wären. Wer die Logik des Menü-Aufbaus und der Bedienung von Polar-Uhren gewohnt ist (da hat jeder Hersteller seine Philosophie: nicht besser oder schlechter, nur anders), wird mit der "Vantage" auf Anhieb zurechtkommen.

Dass die Uhr rund, also zeitgeistig-gefälliger ist, finde ich fein. Dass sie ziemlich genau so groß und leicht wie die Garmin "Forerunner"-Serie ist, ebenso: Man kriegt sie gut unter Jackenärmel und hat auch mit Neoprenanzug keine Auszieh-Zores.

Eines der großen Mankos vieler High-End-Multisportuhren ist ihre "Frauenfeindlichkeit", also die Kompatibilität mit schmalen Handgelenken. Bei der "Vantage" fällt das weg. Eva etwa wollte sie nach dem ersten Anlegen am liebsten nicht mehr hergeben, aber auch mein wichtigster Beta-Tester betonte, dass die "Vantage" perfekt sitzt. Das erste, was mir der Sportmediziner Robert Fritz von der Wiener "Sportordination" zur "Vantage" sagte, war genau das: "Ich habe für einen Mann relativ schlanke Handgelenke. Den New York Marathon bin ich mit einer der großen Uhren eines anderen Herstellers gelaufen. Nach 42 Kilometern war mein Handgelenk aufgescheuert und taub." Mit der "Vantage" sei derlei bei langen Läufen kein Thema.

Foto: sportordination.com

Eines der wichtigsten und von Polar als geradezu revolutionär verbessert beschriebenen Features der Uhr begeistert den Mediziner dann weniger: Fritz glaubt ebenso wenig wie ich an die Exaktheit der Handgelenkspulsmessung. Unabhängig vom Hersteller: Es gebe zwar Menschen, bei denen diese Messung auch bei den härtesten Intervallen fast auf den Schlag genau sei, "aber wir testen das bei Leistungschecks regelmäßig: Im unteren, ruhigen Pulsbereich passt es meist, aber sobald die Belastung und damit der Puls nach oben gehen, ist es mit der Genauigkeit vorbei."

Da unterscheide sich die "Vantage" nicht von anderen Uhren. Wenn man etwa im Fitnesscenter ohne Brustgurt trainiere und "mit einem bisserl Hausverstand" die da angezeigten Pulswerte betrachte, seien sie brauchbar und plausibel. Wer aber tatsächlich nach und mit Pulswerten arbeiten wolle, komme am Brustgurt nicht vorbei.

Was Fritz aber begeistert, ist die 24-Stunden-nonstop-Pulsmessung, die auch im Schlaf weiterläuft und zusammen mit der Auswertung von Schlafdauer und Schlafqualität relevante und sehr brauchbare Informationen liefert.

Foto: Thomas Rottenberg

Fritz' Verdikt über die noch immer nicht perfekte Handgelenkspulsmesserei teilt auch Walter Kraus, der Kopf des Lauflabels Runtasia, wenn er (als bekennender "Polarianer") in seinem ersten Test die Uhr insgesamt zwar lobt, der Pulsmesserei aber kein gutes Zeugnis ausstellt: "Gute Idee, doch nicht brauchbar. Finde ich sehr schade!"

Unterschiedlich fällt das Urteil der beiden Tester dann bei der zweiten "Revolution" der Uhr aus: Als erste Uhr misst die "Vantage" (in der V-Version) die "Laufleistung" am Handgelenk. Wie am Rad, wo der Wattmesser in den Pedalen exakter als jedes andere Tool die tatsächlich erbrachte Performance (unabhängig ob mit oder gegen den Wind, bergauf oder bergab) misst, kann man das auch beim Laufen. Bisher brauchte man dafür einen externen Pod. Bei Garmin geht das über eine App in der Uhr und den Brustgurt. Polar schüttelt die Werte aus dem Handgelenk.

Während Kraus da Genauigkeit und Aussagekraft infrage stellt, schaut Sportmediziner Fritz weniger auf die angezeigten Wattzahlen als auf die Unterschiede: "Das kann was." Ich bin gefühlt eher auf seiner Seite.

Foto: Thomas Rottenberg

Was die übrigen Funktionen (vom Fitnesstracker bis zu "Trainingloads" und anderen Belastungsbewertungen oder Erholungswerten) angeht, ist die "Vantage" dort, wo die "V800" schon war und wo Polar traditionell sehr gut ist: Die Uhr liefert nicht nur jede Menge Zahlen, sondern hilft auch, sie einzutakten und zu interpretieren. Da ist man Garmin in puncto Usability, aber auch bei Übersichtlichkeit und Lesbarkeit der Displays sowohl auf der Uhr als auch auf der App und am Rechner voraus.

Den (nicht käuflichen) deutschen Laufblogger Thomas Pier aka "Harlerunner", der im Rahmen des in Deutschland und Österreich seit einigen Wochen laufenden Polar–Communitytests die "Vantage" gerade auf Herz und Nieren testet, begeistert das ziemlich: Derzeit, schrieb er mir, sind es "fünf Plattformen, auf denen Daten liegen, die ich für mein Training benutze und die manuell von mir in Bezug zu setzen sind. Ich bekomme sie nicht mal an einen Ort zusammengetragen, geschweige denn automatisch im Zusammenhang interpretiert. Polar macht das aber. Ich kann meine HRV morgens mit dem Orthostatic-Test messen, mein Gewicht mit der Balance-Waage ermitteln, meinen Trainingszustand per Training Load Pro einsehen, meinen Schlaf mit der "Vantage" tracken, und die Wattmessung fließt über die Muskelbelastung mit in Training Load Pro ein. Damit könnte ich alle Insellösungen einstampfen und mich einfach wieder aufs Laufen konzentrieren."

Foto: www.harlerunner.de

Andererseits ist der "Harlerunner" genauso ein Freak wie ich. Und ich behaupte, dass das Gros der User vermutlich weder mit Roh- noch mit ausgewerteten Daten viel anzufangen weiß: Der klassische Laufuhrenkäufer liebt einfach teures Spielzeug, nutzt dessen Potenziale aber nicht einmal ansatzweise aus.

Deutlich wird das, wenn man High-End-Uhren-Besitzer fragt, wie sie denn die Auswahl und Reihung von Sportarten und die individuelle Gestaltung der Anzeigeseiten ihres Weckers angelegt haben: Meist bekommt man dann die Default-Settings gezeigt.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich: Auch die "Vantage" ist nicht "fertig". Das gibt Polar ganz offen zu: Grundlegende Features, die bei Spitzenmodellen aller Hersteller heute längst "State of the Art" sind, werden bei beiden Vantage-Modellen erst durch diverse Upgrades nachgereicht werden: Smart Notifications, also echte Konnektivität mit dem Handy, etwa. Aber auch schlichte Stoppuhr- oder Intervalltimer-Funktionen. Oder die Möglichkeit (allerdings nur bei der V), Routen hochzuladen oder (zunächst bei der V, später auch der M) sich zurück zum Ausgangspunkt einer Reise navigieren zu lassen.

Wieso Features, die auch bei früheren Polar-Uhren schon Standard waren, erst später kommen, ist nicht ganz nachvollziehbar. "Klar, die Funktionen gehören heutzutage definitiv dazu", meint auch der "Harlerunner". "Und nach fünf Jahren hätte ich auch erwartet, dass ein fertiges Produkt kommt. Aber anscheinend kann man das heutzutage nicht mehr erwarten."

Foto: Polar

Noch dazu, wo Garmin vergangene Woche auch in Österreich ein Feature vorstellte, das im Rest der Welt viele Uhren (auch der Mittelklasse) ebenso wie das Abspeichern ganzer Musikarchive bereits implementiert und aktiviert haben: kontaktloses Bezahlen an NFC-Terminals auf der ganzen Welt.

Ob man das beim Sporteln tatsächlich braucht, sei einmal dahingestellt – aber: Von "brauchen" kann bei all diesen Spielereien ja ohnehin keine Rede sein: Um zu laufen, braucht man zwei gesunde Beine, ein Herz, eine Lunge – und ein bisserl Wollen. Aber nichts von dem, was hier beschrieben wurde. Obwohl es Spaß macht, damit zu spielen.

Foto: Thomas Rottenberg

Womit ich noch einmal bei meinem Fazit wäre: Ob ich die "Vantage" empfehlen könne, fragte mich ein Bekannter vorgestern. Klar. Von ganzem Herzen: Die "Vantage" ist eine super Laufuhr. Sie kann alles, was eine Laufuhr können soll, kann und muss. So wie etliche andere auch. Die Entscheidung, welche es dann schlussendlich wird, will, kann und werde ich aber niemandem abnehmen.

(Thomas Rottenberg, 4.12.2018)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Alle beschriebenen Uhren wurden von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.


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