Es ist lange her, dass ein Stück Strick für solche Furore gesorgt hat. Neunzig Jahre, um genau zu sein. Die Designerin Elsa Schiaparelli beeindruckte 1927 in Paris den Chefredakteur der französischen "Vogue" mit einem schwarzen Pullover mit einer weißen, eingestrickten Schleife: Plötzlich galt handgestrickter Surrealismus als der letzte Schrei, und Schiaparelli musste eine Armada armenischer Strickerinnen engagieren, um der Nachfrage nach Pullovern nachzukommen.

Ein ähnlicher Coup gelang in diesem Jahr dem Designer Raf Simons: Er ließ für Calvin Klein in Italien bunte Balaklavas, wollige Sturmhauben mit Sehschlitzen, stricken (siehe Foto unten), in Österreich wäre ihr Tragen dank des Antigesichtsverhüllungsgesetzes wahrscheinlich ein riskantes Unterfangen.

41 Stück von ihnen schickte er in New York über den Laufsteg, kurz darauf tat es ihm Gucci-Designer Alessandro Michele in Mailand mit Balaklavas aus Wolljacquard gleich. Im zweiten Winter von Trumps Präsidentschaft darf das als bissiger Seitenhieb der Modeindustrie verstanden werden. Dass Strick endlich wieder einmal als provokante Spitze herhält? Wie erfrischend!

Strickkleid von Chanel, Armstulpen von Lainey, Strümpfe von Wolford.
Foto: Irina Gavrich

Denn ein bisschen hatte sich das Handgestrickte in den letzten Jahren im Neo-Biedermeier gemütlich gemacht. Seit in den sozialen Netzwerken der Ton rauer geworden ist und den Menschen die Shitstorms um die Ohren fliegen, gibt man sich nur zu gern dem Analogen und dem Handgemachten hin. Großstädter lassen in Wien-Neubau oder Berlin- Prenzlauer Berg in Strickgruppen die Nadeln klappern, sinnieren über regionale Biowolle oder vegane und hautverträgliche Alternativen, Strickgeschäfte erleben einen Boom.

Wer sich nicht in Fachgeschäften wie in der Wiener "Wollmeile" oder dem "Wollcafé Laniato" zum Stricken und Fachsimpeln zusammentut, besucht einen Maschinenstrickkurs bei der Wiener Strickexpertin Veronika Persché im 15. Wiener Gemeindebezirk.

Das Interesse an ihren Kursen sei mittlerweile so groß, dass sie jeden Monat einen füllen könnte, erzählt sie. Andere finden im Internet Gleichgesinnte. Vor zehn Jahren wurde das strickende Netzwerk "ravelry.com" gegründet, heute zählt es 8,2 Millionen Mitglieder.

Hausfrauen-Strick

Kleid und Gürtel von Dior.
Foto: Irina Gavrich

Nach Jahrzehnten der Verunglimpfung des Strickens als hausfrauliche Tätigkeit sind auch Feministinnen auf den Geschmack gekommen. 2017 wurde ausgerechnet eine pinke, formlose Strickhaube mit zwei Zipfeln das Symbol des Women's March in Washington: Ein Exemplar des politisch aufgeladenen Stücks Strick ist heute im Londoner Victoria and Albert Museum ausgestellt, im Vorjahr wurde das Original in der Show der Mailänder Marke Missoni modisch interpretiert.

Das Luxusmodeunternehmen Dior eröffnete seine Herbstshow mit einem Strickpullover, in den ein entrüstetes "C' est non, non, non et non!" ("Nein heißt nein!") eingestrickt war.

Dass sich das Image von Strick gewandelt hat, ist auch einer Reihe spezialisierter Modelabels zu verdanken, die in den letzten Jahren auf dem Radar erschienen. Seit Charlotte de Fayet Kreativchefin bei der kleinen französischen Strickmarke Molli ist, werden die aparten Stücke nicht nur von prominenten Frauen wie dem Model Natalia Vodianova getragen.

Das Stricklabel der Berliner Designerin Maike Dietrich setzt auf grobe Maschen, und die französische Designerin Odély Teboul hat nach einigen Jahren mit dem Label Augustin Teboul ihr eigenes Label Lou de Betoly gegründet – Strickelemente funktionieren hier als i-Tüpfelchen auf den Kollektionen (siehe Looks links und rechts unten).

Rollkragen von Joseph, gestrickter Sweater mit Fransen und Gürtel von Max Mara, gestrickte Boots von Lou de Betoly.
Foto: Irina Gavrich

Die Londoner Marke Wool and the Gang hingegen verkauft Garne und Nadeln, hat in der Vergangenheit mit Marken wie Lala Berlin zusammengearbeitet und es so in die angesagten Modemagazine geschafft.

Doch auch wenn das Thema Strick seit einiger Zeit wieder auf dem Präsentierteller liegt: So verbreitet wie vor vierzig Jahren ist es mitnichten. Friedensdemos, "Atomkraft? Nein danke", vor diesen Hintergrundgeräuschen wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren die Nadeln ausgepackt: Damals war das Selbermachen dem Zeitgeist und auch der Notwendigkeit geschuldet.

Die Erinnerungen daran sind auf gelbstichigen Polaroids und in Fotoalben von damals zu bewundern: Kaum jemand, der nicht in einen kratzigen Strickpullover mit Baggermotiv von Omas und Tanten gesteckt wurde.

Strickmaschinen

Doch nicht nur händisches Stricken war unter Laien angesagt. "In vielen österreichischen Haushalten standen in den 1970er- und 1980er-Jahren Strickmaschinen", erzählt Persché und deutet auf die in ihrem Atelier.

Die Anschaffung einer solchen Maschine sei damals eine ähnlich kostspielige Angelegenheit gewesen, wie es heute jene der computergesteuerten Stickmaschinen sei.

Strickpullover von Dries van Noten, Top und Rock von Lou de Betoly.
Foto: Irina Gavrich

Sie konnte sich damals allerdings auszahlen. Es gab wenig modische Alternativen zu altbackenen Textilketten wie Schöps, oft versorgte die Inhaberin einer Strickmaschine Freunde, Nachbarn und Verwandte mit individuellen (und oft auch abenteuerlichen) Entwürfen.

In dieser Zeit verkauften sich Burda-Strickanleitungen wie warme Semmeln, in Großbritannien, wo Strick eine Tradition hat, ging in den 1980ern das legendäre "Machine Knitting Book" von John Allen 100.000 Mal über den Ladentisch, die Designerin Patricia Roberts veröffentlichte ein Strickbuch nach dem anderen.

Die britische Strickdesignerin Sasha Kagan musste in ihren besten Zeiten 150 Handstrickerinnen engagieren, um der Nachfrage Herr zu werden. Damals gelang dem Thema Strick der Sprung ins High-Fashion-Segment.

Heute muten die Strickbücher von damals, befüllt mit überbordend bunten Designs, wie Publikationen aus fernen Zeiten an: Wer würde heute noch monatelang an einem Pullover mit hundert eingestrickten Miniaturcocktailkirschen herumdoktern? Das ist ja auch nicht mehr nötig.

Strickbody und Lederhandschuh von Louis Vuitton, Boots von Rani Bageria X Ensoie.
Foto: Irina Gavrich

Die Qualität des Industriestricks, so Veronika Persché, habe sich enorm verbessert. Zwar entdecke sie in den günstigen Strickteilen der Retailer oft klassische Jacquard-Fehler und häufig griffen diese auf klassische Acryl-Woll-Mischungen zurück, weil sich die "easy und schnell" verarbeiten ließen – in weiten Teilen aber sei Strick heute sehr hochwertig verarbeitet.

"In den 1980er- und 1990er-Jahren wurden die Strickteile innen mit der Overlock-Nähmaschine zusammengenäht, heute arbeitet die Industrie mit Automaten und kommt ohne geschnittene Ränder aus."

Oft seien sogar bei günstiger Ware Blenden, Knopfleisten, Bündchen handgekettelt. So etwas sei eigentlich Handarbeit, erklärt die Strickexpertin. Man könne nur erahnen, was die Arbeiterinnen in den Billiglohnländern für diese Arbeit erhielten. Aber das ist wieder eine eigene Geschichte. (Anne Feldkamp, RONDO, 7.12.2018)

Strickrock und Pullover von Jil Sander.
Foto: Irina Gavrich
Model Isabella Jahns mit Strickinstallationen von Künstler JF Baur
Foto: Irina Gavrich
Strickpullover von Vitelli, Kleid von Dolce & Gabbana.
Foto: Irina Gavrich
Strickkleid von Y/Project, Socken von Burlington, Schuhe von Lou de Betoly.
Foto: Irina Gavrich
Karamellfarbener Pullover von Joseph, gelber Rollkragenpullover von Pringle of Scotland, Pullunder von Dries van Noten, Skisocken von Falke.
Foto: Irina Gavrich