Man muss sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie in der Nähe sind. Man kann sie schließlich riechen. Der eigentümliche Plastikgeruch lässt keinen Zweifel zu: Es handelt sich um die Produkte aus dem Hause Freitag. So weiß man auch, dass man im "Gewerbehaus Noerd" in Zürich-Oerlikon die richtige Tür gefunden hat.

Denn der Geruch verrät: Hier wird alten Lkw-Planen neues Leben eingehaucht. Markus Freitag nimmt den "Duft" gar nicht mehr wahr: "Ich spüre ihn nur leicht, wenn ich längere Zeit nicht in der Produktion war. Verbringe ich viel Zeit hier, nehme ich ihn anscheinend selbst an. Meine Tochter sagt, sie kann es riechen, wenn ich in der Fertigung war." Auch heute verbringt der 47-Jährige viel Zeit an dem olfaktorisch intensiven Ort.

Daniel Freitag hat Grafik gelernt, sein Bruder Markus (re.) Dekorations- und Ausstellungsgestalter. Die beiden reüssieren seit 25 Jahren mit ihrer eigenen Marke.
Foto: Roland Tännler

Heute und damals

2011 sind er und sein Bruder Daniel mit ihrem Unternehmen hierher übersiedelt. Man brauchte mehr Platz. Freitag verarbeitet eigenen Angaben zufolge jährlich 460 Tonnen Lkw-Planen, 130.000 Autogurte und 12.000 Fahrradschläuche für rund 40 Taschenmodelle und 40 Accessoires. Jährlich entstehen 450.000 Produkte, die via 24 Freitag-Stores und 400 Verkaufspartner weltweit sowie im eigenen Online-Store verkauft werden. 200 Mitarbeiter sind beim Unternehmen angestellt, das diesen Herbst seinen 25. Geburtstag feiert.

Die LKW-Planen werden zerlegt und in verarbeitbare Größen geschnitten.
Foto: Roland Tännler

Zwei Jahre jünger war Markus Freitag zur Zeit der Freitag-Gründungslegende. Es war das Jahr 1993, er lebte mit zwei Mitbewohnern in einer Studenten-WG in Zürich. "Irgendwie fanden wir es cool, dort zu wohnen. Man wollte aber auch weg. Zum Beispiel konnte man im Sommer die Fenster nicht offenlassen", erinnert er sich. Schuld daran waren Lärm und Staub von der in Sichtweite gelegene Stadtautobahn. Doch die vorbeifahrenden Lkws inspirierten ihn und seinen Bruder: Die Idee, aus gebrauchten Planen eine Umhängetasche herzustellen, war geboren und wurde auch prompt umgesetzt.

Trend zum Klassiker

Es folgte ein regelrechter Hype. Mitte der 90er-Jahre besaß jeder Zürcher, der cool, kreativ und ökologisch bewusst sein wollte, eine Freitag-Tasche. Doch wie das mit Hypes nun mal so ist, flaute auch dieser irgendwann ab, wie Markus Freitag weiß: "Wir wurden plötzlich von den In- auf die Out-Listen gesetzt. Aber zum Glück hatten genug Menschen das Bewusstsein, dass unsere Produkte keine Modeerscheinungen sind, sondern vielmehr eine Einstellung zum Thema Konsum transportieren."

Das Abflauen des anfänglichen Hypes wiederholte sich in anderen Ländern bzw. Städten, worauf man aber entspannt reagierte: "Freitag war überall einmal uncool. Wir wussten da schon aus Erfahrung, dass wir solche Launen selbstbewusst aushalten können."

Erst Lkw-Plane, dann Recyclingprodukt, jetzt Museumsexponat. Die erste Freitag-Tasche steht im Zürcher Museum für Gestaltung.
Foto: U. Romito

Nicht zuletzt dank steigenden Umweltbewusstseins in der Bevölkerung konnte die Talsohle überwunden werden. Die Freitag-Tasche avancierte vom einstigen Trendobjekt zum Designklassiker. Das erste Produkt, der Prototyp des Modells "Top Cat" aus dem Jahr 1993, wird heute sogar im Zürcher Museum für Gestaltung ausgestellt.

Ein Rezept, wie man es schafft, sein Produkt zum Klassiker werden zu lassen, gibt es wohl nicht. Markus Freitag versucht trotzdem, Zutaten zu nennen: "Das Produkt muss funktional, die Gestaltung relativ zeitlos sein, damit sie nach ein paar Jahren nicht altmodisch wirkt. Auch die Einmaligkeit ist ein Faktor. Ein glaubwürdiges Unikat hat das Potenzial, langlebig zu sein. Außerdem ist Nachhaltigkeit ein Element, das etwas zu einem Klassiker machen kann."

Langes Leben

Nachhaltigkeit bzw. ökologisch und sozial wertvolle Maßnahmen versuchen die Brüder in die gesamte Wertschöpfungskette zu integrieren. Bis auf das Zusammennähen der Taschenteile (das passiert in Portugal, Tschechien, Bulgarien und Tunesien) findet die gesamte Produktion hier im Gewerbehaus Noerd statt. Das Betriebsklima wirkt angenehm. Alle sind gut gelaunt und scherzen miteinander, im Hintergrund läuft Reggae-Musik. Unbrauchbare Teile werden anderweitig recycelt, die zerlegten Planen in Industriewaschmaschinen, die durch Regenwasser gespeist werden und über einen Wärmetauscher verfügen, gereinigt.

Die Industriemaschinen werden durch Regenwasser gespeist und verfügen über einen Wärmetauscher.
Foto: Roland Tännler

Dann trocknen sie an der Luft, bevor sie Mitarbeiter zuschneiden. Die gesammelten Schnittteile werden zum Vernähen verschickt und kommen als fertiges Produkt zur Qualitätskontrolle retour. Fixfertig kostet eine mittelgroße Freitag-Tasche rund 200 Euro. Das gute Gewissen hat eben seinen Preis. Nachhaltiges Shoppen ist den gut betuchten Weltverbesserern vorbehalten.

Mithilfe von Plexiglasschnittmustern werden die Planen per Hand zugeschnitten.
Foto: Joël Tettamanti

Mit der Nachhaltigkeit ist es aber nicht bei allen Freitag-Produkten weit her: iPhone- und MacBook-Hüllen anzubieten bedeutet, den Produktzyklen von Apple unterworfen zu sein. Neue Modelle passen oft nicht mehr in eine Freitag-Hülle für das Vorgängermodell. Ein Problem, dessen sich auch Markus Freitag bewusst ist: "Vor allem unsere Clip-on-Schutzhüllen fürs iPhone haben ein Ablaufdatum.

Die sind bei uns auch intern nicht unumstritten, weil sie verhältnismäßig wenig recyceltes Material beinhalten. Deshalb arbeiten wir an einer kompletten Neuentwicklung mit recycelten, recycelbaren oder biologisch abbaubaren Materialien. Mögliche Kooperationspartner sind meist Start-ups. Aber auch etablierte Unternehmen denken langsam um."

Was ihr wollt

Auch beim internationalen Versand ergeben sich ökologische Fragestellungen. Freitag nutzt etwa die neue Möglichkeit, die Taschen per Bahn nach China zu transportieren. Neben China sind vor allem Südkorea und Thailand Wachstumsmärkte für das Unternehmen. Warum es gerade in Asien so viele Fans der Schweizer Recyclingtaschen gibt, könne laut Markus Freitag daran liegen, dass Freitag der dortigen kulturellen Ambivalenz zwischen Zugehörigkeit und Individualität ganz gut entspreche.

Modell "Dragnet".
Foto: Oliver Nanzig

Manche Fans können alte Freitag-Taschen aufgrund des über die Jahre leicht veränderten Logos zeitlich einordnen. Diese Vintage-Taschen erzielen auf asiatischen Online-Plattformen Höchstpreise. "Ein Kunde aus Thailand hat ganz stolz erzählt, er habe eine Tasche, die bei uns regulär 400 Franken kostet, Vintage im Internet umgerechnet um 4.000 Franken gekauft. Unsere Produkte sind in Asien eine Art Statussymbol", erzählt Markus Freitag.

Modell "Carolus" aus der Reference-Kollektion.
Foto: Bruno Alder

Neue Artikel und Produktlinien kommen auch laufend dazu. So wurde 2010 die schickere "Reference"-Kollektion lanciert, seit 2014 gibt es auch Kleidung mit vergleichsweiser guter Ökobilanz. Im Möbelbereich haben die Gebrüder Freitag zum Beispiel stapel- und zerlegbare Regalmodule für ihre Läden entwickelt, ebenso Sitzmöglichkeiten. "Den Kunden wurden die bis jetzt aber nicht zugänglich gemacht", schränkt Markus Freitag ein.

Auch urbane Mobilität und Sharing Economy sind für ihn spannende Themen. Konkrete Projekte gibt es hierzu aber noch nicht. Und wer weiß, vielleicht lässt man sich ja noch vom typischen Freitag-Geruch inspirieren und bringt ein entsprechendes Parfum heraus. Ob das aber auch das Zeug zum Klassiker hat, ist jedoch fraglich. (Michael Steingruber, RONDO, 11.12.2018)

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