Wahrscheinlich ist man verdorben von Dokus über Chanel und Dior. Kurz vor den Haute-Couture-Schauen in Paris liegen in diesen Dokus die Nerven blank. Es wird nächtelang durchgearbeitet. Ältere Damen in weißen Mäntelchen überwachen streng, wie abertausende kleine Perlen auf prächtige Kleider gestickt werden. Schönheit muss leiden – nichts transportiert diesen fragwürdigen Ansatz besser als die Haute Couture, die Königin der Mode. Eine elitäre Disziplin, die nach althergebrachten Regeln in einer längst profan gewordenen Fashionwelt überlebt hat.

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Die Couture-Kleider von Iris van Herpen (hier aus der aktuellen Saison) werden auch von Björk und Beyoncé getragen.
Foto: Reuters / Gonzalo Fuentes

Im Amsterdamer Atelier von Iris van Herpen merkt man davon wenig. Die Stimmung ist entspannt, die Aussicht grandios: Gearbeitet wird in einem Industriegebäude mit Blick auf den Hafen. Freilich ist bis Jänner, wenn die großen Couture-Schauen in Paris erneut über die Bühne gehen werden, noch ein wenig Zeit. Trotzdem trägt keiner Arbeitskleidung, das Durchschnittsalter des 18-köpfigen Teams ist niedrig, und auf einem Polster auf dem Tisch döst ein roter Kater. "Das ist Spin, das heißt so viel wie Spinne", erklärt van Herpen. "Wir sagen immer, er ist der Boss." Klassisch geschneidert wird hier kaum, bei einem Kleid werden gerade Metallteile zusammengesteckt, bei einem anderen durchsichtiges Acrylglas verbunden. Ein Kleid sieht aus, als würde es aus leuchtenden Blättern bestehen.

Designerin im Kimono

Iris van Herpen, 1984 geboren, wirkt zierlich, sie trägt einen Kimono und spricht eher leise. Aber sie nimmt sich Zeit, ihren schrägen Modekosmos zu erklären. Sie gilt als Futuristin unter den Designern, als eine, die Mode, Kunst und Wissenschaft fusioniert, indem sie mit ungewöhnlichen Materialien experimentiert und mit Fachleuten aus anderen Disziplinen – von Architektur über Biologie bis zu Kernforschung – kooperiert.

Ihre Kollektionen tragen Namen wie "Fragile Futurity" (2007), "Hybrid Holism" (2012) oder "Hacking Infinity" (2015) – und sehen auch genau so aus. Menschen scheinen da Tierpanzer zu tragen, es gibt Kleider, die wie erstarrte Wassertropfen oder bizarre Gesteinsformationen glänzen. Fasern bewegen sich, als würde gerade eine Ladung Strom durch sie geschickt. Aus einem Kleid wachsen Vogelköpfe. Ästhetisch weiter entfernt von der gerade angesagten Streetwear kann man gar nicht sein. Iris van Herpen hat noch nie ein Hoodie entworfen.

Am meisten nervt sie das Klischee, ihre Mode käme aus dem 3D-Drucker und sei nicht tragbar. Mit dieser Technik galt sie 2009 als Pionierin, mittlerweile aber entsteht ein Großteil ihrer Kleider aus Mischtechniken. Sie seien zwar skulptural, trotzdem kann man sich in vielen locker bewegen. Zum Glück stehen im Atelier gerade einige Puppen mit Roben herum, die bald in ein Museum übersiedeln sollen. Der Test beweist: Manches, was hart wirkt, erweist sich als weich und fließend, wenn man es angreift.

Bewegte Kleider

Eigentlich wollte van Herpen Tänzerin werden. Das merkt man ihren Entwürfen deutlich an: Sie fängt Bewegung in Kleidern ein. Hin und wieder arbeitet sie deshalb auch gern mit namhaften Choreografen zusammen. Für Sasha Waltz etwa hat sie die Kostüme für ihre Produktion "Kreatur" entworfen, die am 8. Dezember im Festspielhaus St. Pölten zu sehen sein wird.

Ein 14-köpfiges Ensemble tanzt da in filigranen Drahthüllen, die wie Sternensysteme leuchten, untersucht das Verhältnis von Individuum und Gruppe, Gemeinschaft und Isolation. Ein Kostüm ist schwarz und besteht nur aus Stacheln. "Das war am schwierigsten", erzählt van Herpen.

"Ich dachte, das kriegen wir nie hin. Aber Sasha war beharrlich, und nach und nach haben wir es beweglich gemacht." Tanz ist für sie eine der schönsten Kunstformen: "Ich habe großen Respekt vor Tänzern, sie schaffen nur mit ihren Körpern eine eigene Welt. Es gibt mir viel Energie, ein Tanzstück zu sehen. Sogar das Zuschauen ist für mich eine physische Erfahrung."

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Iris van Herpen zeigt ihre Mode in Paris, lebt aber in Amsterdam.
Foto: J. P. Mondino

Für Künstlerinnen wie Björk, Lady Gaga oder Beyoncé hat sie exzentrische Outfits entworfen, mit denen man auf dem Red Carpet auffällt. Sind die denn persönlich im Atelier vorbeigekommen? "Tilda Swinton und Emma Watson waren da. Und dort in der Ecke steht ein Kleid, das wir für Cate Blanchett entworfen haben", erzählt die Designerin, die sonst lieber diskret bleibt, was ihre Kundschaft betrifft. "Der Markt von Haute Couture wächst. Früher kamen die meisten Käuferinnen aus Amerika, mittlerweile boomt Asien", sagt sie. "Das Comeback der Couture ist auch eine Reaktion auf die Massenproduktion der Fast Fashion. Meine Kundinnen sind Kunstliebhaber, sie wollen etwas Exklusives. Manche stellen die Kleider wie Kunstwerke in ihre Wohnung."

Andere Modemacher reden von Stoffen, Schnitten und popkulturellen Einflüssen. Van Herpen erklärt Laser-Cut-Techniken, das Arbeiten mit Metallseide und Polyamidpulver und spricht davon, wie wichtig die Natur als Inspirationsquelle ist. Die Kernforschungsanlage Cern in der Schweiz ist für sie "einer der schönsten Plätze der Erde". Sie war bereits mehrmals dort, um sich Experimente zeigen zu lassen, die sie zu Kleidern inspirieren.

Einige der Entwürfe, die gerade im Atelier entstehen, sind für die neue Kollektion. Davon darf sie noch nichts verraten, aber es ist kein Problem, ein wenig bei der Arbeit zuzusehen. Da wird entspannt geklebt, genäht, getuckert, gepuzzelt. Die Fenster sind offen, eine frische Brise weht vom Hafen herein. Der Kater Spin schläft noch immer auf seinem Polster. Wer Couture-Hektik sucht, der soll nach Paris fahren. (Karin Cerny, RONDO, 7.12.2018)


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