Cosima Prahm hat eine App entwickelt, mit der Patienten jene Muskelbewegungen üben können, die sie später zur Steuerung der Prothese brauchen.

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"Als Kind hatte ich vor, Pathologin zu werden. Doch im Medizinstudium habe ich gemerkt, dass es nur um auswendig gelernte Seiten in Büchern geht und mich stattdessen für Neuroscience inskribiert. Ich fand es spannender, neue Sachen zu entdecken, statt einfach nur Vorhandenes anzuwenden. Nebenbei habe ich auch Japanologie studiert. Mir haben immer schon Mangas, japanische Comics, gefallen und konnte sie nun in der Originalsprache lesen.

Während meines Studiums habe ich bei der Prothesenfirma Otto Bock gearbeitet und meinen heutigen Chef kennengelernt. Ich habe ihn gefragt, ob es in seiner Abteilung eine offene Dokoratsstelle gibt. Zwei Wochen später habe ich im AKH im Labor angefangen. Was ich an meiner Arbeit mag: Es ist nicht jeder Tag gleich. Manchmal sitze ich hier im Labor und programmiere Steuerungsalgorithmen für die Prothesen oder erstelle Android Apps für Patienten. Manchmal bin ich bei Opertionen dabei oder setze mich in ein japanisches Kaffee in der Stadt, dope mich mit Grüntee und schreibe an Fachartikeln. Außerdem unterrichte ich an der Med Uni, dort habe ich eine eigene Lehrveranstaltung: 'Prothetik'. An anderen Tagen führen wir Experimente durch oder kümmern uns um unsere Patienten.

Ganz normal leben

Die Menschen, die zu uns kommen, hatten alle möglichen Unfälle: beim Schifahren, am Arbeitsplatz, aber auch zu Hause. Viele von ihnen sind Motorradfahrer mit einer sogenannten Plexus Avulsion, einem Ausriss des Nervengeflechts das zum Arm führt. Deren Hände sind meist seit dem Unfall gelähmt und werden als sie als unnötiges Anhängsel empfunden, das sie im Alltag nur behindert. Die Patienten kommen mit dem Wunsch, dass wir Ihnen dieses Anhängsel abnehmen und mit einer Prothese ersetzen – und können so wieder ganz normal leben.

Die Prothese lässt sich über Muskelbewegungen steuern. Dazu wird auf dem Armstumpf ein Band mit Elektroden befestigt. Diese Elektroden messen die Muskelbewegungen und übertragen sie auf die Roboterhand. Warum wir die Muskeln und nicht die Nerven verwenden: Weil die Muskeln die natürlichen Verstärker des Körpers sind. Die Nervensignale wären dazu viel zu schwach.

Einen Nutzen haben

Für viele Patienten ist es allerdings mühsam zu lernen, welche Muskeln sie wie starkanspannen müssen, um die neue Hand zu bewegen. Es braucht viel Zeit und die Bewegungen sind monoton. Helfen könnte ein Spiel, habe ich mir gedacht und im Rahmen meiner Dissertation eine Rehabilitations-App entwickelt. Die Schnittstelle zwischen Medizin und Informatik liegt mir. Ich habe immer schon gerne Videospiele gespielt und das Programmieren schnell gelernt. Die App funktioniert so: Der Patient zieht das Elektrodenarmband an und über Bluetooth verbindet es sich mit einem Tablet. Man kann nun verschiedene Lieder auswählen: Es gibt beispielsweise ACDC, Falco oder einen Tango. Im Rhythmus der Lieder erscheinen Dreiecke, zu denen der Patient die unterschiedlichen Muskeln anspannen soll.

Mir war wichtig, dass das Produkt einen Nutzen hat. Leider ist es in der Forschung ja oft so, dass etwas entwickelt wird und dann niemand mehr etwas damit anfangen kann. Das wollte ich vermeiden. Die Patienten können die Übungen auch zu Hause durchführen. Dazu sind die Geräte, das Armband und Tabletin einem kleinen Köfferchen verpackt. Auf Wunsch erstellen wir den Patienten auch einen Trainingsplan. Das motiviert sie. Einige sind auch sehr kompetitiv und messen sich mit anderen Patienten.

Wie viel Maschine?

Einmal kam ein Fernsehteam zu uns und hat einen Patienten gefragt, wie viel Mensch und wie viel Maschine er eigentlich sei. Er antwortete: Diese Hand, also die Prothese, das ist meine Hand. Seitdem sage ich immer, wenn sich jemand nach meinem Beruf erkundigt: Wir machen Cyborgs.

Es gibt noch ganz viel auszuprobieren. Ich habe einmal eine Frau getroffen, die sich ein Implantat in den Knöchel einsetzen hat lassen, das bei Erdbeben vibriert. Den Körper zu erweitern oder zu verbessern, steht bei uns aber nicht im Vordergrund. Uns geht es darum, ursprüngliche körperliche Funktionen wiederherzustellen. Momentan arbeiten wir daran, dass Prothesen intuitiver gesteuert werden können, sodass die Patienten nur an die Bewegung denken müssen und schon bewegt sich die Hand.

Früher hatte ich kein konkretes Ziel, bin einfach meinen Interessen gefolgt. Mittlerweile habe ich genauere Vorstellungen: Ich werde in der Forschung bleiben. Im Jänner beginne ich meinen Post-Doc an der BG Klinik Tübingen, an der wir ein neues Labor aufbauen. Danach folgt hoffentlich eine Professoren-Stelle. Aber man sollte sich nicht zu sehr verbeißen. Ich wäre wahrscheinlich auch als Zuckerbäckerin glücklich." (Protokoll: Lisa Breit, 8.12.2018)