Eine Frau muss während ihrer Monatsblutung in den ländlichen Gebieten Nepals das Haus verlassen. Mit fatalen Folgen für körperliche und geistige Gesundheit.

Foto: APA/AFP/PRAKASH MATHEMA

Kathmandu/Wien – Für jedes Unheil, das der Familie widerfährt, ist Sanjita Timsina verantwortlich. Zumindest wenn es nach ihrer Schwiegermutter geht. Die Nepalesin weigert sich nämlich, der Tradition des Chaupadi zu folgen – also der Verbannung von menstruierenden Frauen. Würden die Frauen nämlich während ihrer Monatsblutung nicht separiert, so der Glaube, geschähen furchtbare Dinge.

Bei Chaupadi werden Mädchen und Frauen vor allem im Westen Nepals und auch in Teilen Indiens in Kuhställe oder Lehmhütten gesperrt, in denen sie mehrere Tage unter schlechten hygienischen Bedingungen schlafen müssen. Während ihrer Periode dürfen sie weder Menschen noch Nutzpflanzen berühren, weil sie Unheil über diese bringen würden, heißt es. In den vergangenen Jahren kam es durch diese Praxis immer wieder zu Todesfällen. Frauen starben durch Tierattacken oder schlichtweg, weil sie sich ein wärmendes Feuer entzündeten und an den Rauchgasen erstickten. Wenn die Frauen zu weit weg von einem Supermarkt leben, bleibt ihnen oft auch nichts anderes übrig, als die Monatsblutung mit Kleidungsstücken aufzufangen.

Reportage des "Guardian" über die Praxis des Chaupadi.
The Guardian

Fehlende Polizeipräsenz

Eigentlich ist die Praxis per Höchstgerichtsurteil bereits seit 2005 verboten. Doch erst heuer wurde sie auch gesetzlich als illegal erklärt. Die Strafe: bis zu drei Monate Haft oder eine Geldzahlung von 3.000 nepalesischen Rupien, umgerechnet 23 Euro. Für Timsina, die für die Hilfsorganisation Women's Rehabilitation Center (Worec) arbeitet, brauchte es unter anderem aber ein hartes Durchgreifen der Behörden: "Vielleicht lassen die Familien von der Praxis ab, wenn sie ein paar Mal gestraft wurden", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD.

Dem stimmt auch Tejshree Thapa von Human Rights Watch zu. Die Nepalesin macht auch das Fehlen Behörden und Regierungsvertretern in den ländlichen Gebieten des Landes dafür verantwortlich, dass die Praxis weiterexistiert, "wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß, wie es noch vor ein paar Jahren der Fall war". Ein Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte aus dem Jahr 2011 spricht von 95 Prozent aller Familien im westlichen Teil des Landes, die Chaupadi noch angewandt haben.

Die Ärmsten der Armen

Laut Thapa trifft die Praxis vor allem Mädchen und Frauen aus den Gemeinschaften, die am Rand der Gesellschaft stehen: Volksgruppen im ländlichen Teil Nepals. "Die Ärmsten der Armen", wie Thapa sagt. Den Frauen sei teilweise nicht einmal bewusst, dass ihnen Unrecht widerfahre: "Ich habe mit Überlebenden von sexueller Gewalt aus diesen Gemeinschaften gearbeitet", erzählt Thapa: "Für sie war das etwas Normales. Sie sind es gewohnt, als Frau nichts wert zu sein."

Diese Beobachtung teilt Timsina: "Teilweise ist es einfacher, Männer davon zu überzeugen, dass Chaupadi etwas Falsches ist, als Frauen." Für Thapa muss sich auch die grundlegende Einstellung der nepalesischen Gesellschaft gegenüber den Randgruppen ändern: "Nepal ist diskriminierend. Man muss den Leuten begreifbar machen, dass wir alle gleich sind und sich der Kampf für die Gleichberechtigung lohnt."

Vergewaltigungen und wenig Bildung

Die Auswirkungen des Zwangsexils auf die Frauen sind sowohl physischer als auch psychischer Natur. Während der Zeit in der Hütte dürfen die Mädchen und Frauen keine Milch trinken und bekommen nur wenig zu essen. Viele Betroffene werden zudem von Männern sexuell belästigt, während sie in den Kuhställen oder Hütten übernachten. Mädchen wird außerdem zu dieser Zeit der Schulbesuch verweigert, weswegen ihre spärliche Bildung noch mehr leidet. "Es brauchte außerdem Toiletten an den Schulen, damit Mädchen sich während ihrer Periode wohlfühlen", sagt Thapa. Doch viele Bildungseinrichtungen hätten keine Klos und schon gar keine getrennten für Mädchen und Buben.

Für Timsina und Thapa sind ein härteres Vorgehen der Behörden und vor allem Aufklärung zwei Schlüssel, um Chaupadi zu beenden. Ihnen ist aber klar, dass es noch ein weiter Weg ist: "Man sieht in anderen Kulturen, dass es lange dauert, bis den Leuten bewusst wird, dass solche Praktiken nicht Teil ihrer Religion sind, sondern dass sie den Menschen von Menschen aufgezwungen wurden." (Bianca Blei, 20.12.2018)