Hallo! Hier bin ich! Alles klar? Was gibt's? – Autor Benjamin von Stuckrad-Barre ist auch mit 43 Jahren aufgedreht, aber nicht mehr ganz so hyperaktiv wie früher.

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Benjamin von Stuckrad-Barre, "Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen. Remix 3". € 20,60 / 320 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018

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Was wurde Benjamin von Stuckrad-Barre nicht schon alles genannt: "Berufsprovokateur", "arroganter Schnösel", "Hanswurst mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom". Der Pastorensohn, der im zarten Alter von 23 Jahren mit seinem Roman Soloalbum über Nacht zum Star der deutschen Popliteratur wurde, jedem ans Bein pinkelte, den er traf, und dann mit Drogen, Magersucht und Depressionen abstürzte, hat sich derfangen.

In den letzten Wochen fuhr er viel im Auto durch Deutschland. Die Lesetour zum Band Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen führt ihn am Freitag und Samstag zum Abschluss auch nach Wien. Unterwegs beantwortete er vom Beifahrersitz aus unseren Wordrap.

Älterwerden Bislang finde ich es schön, älter zu werden. Besser als sterben allemal. Die Jugend muss unverschämt und laut sein. Die muss reinkommen und den Saloon leerschießen und sagen: Alles scheiße hier, jetzt komme ich. Das ist evolutiv vonnöten. Es ist aber wichtig, diese Haltung beim Älterwerden zu verlassen, sonst wird es lächerlich. Ich verstehe heute mehr, was Freundschaft, Familie und Liebe bedeuten. Das empfinde ich als starke Verbesserung.

Deutschland Wenn man wochenlang durchfährt, lernt man das Land wirklich besser kennen und begreift: Es ist den meisten Leuten völlig egal, was in Berlin und aus Berlin so daherhysterisiert wird, nichts davon wird gedeckt durch die tatsächliche Lebenswirklichkeit. Das geht ganz wunderbar aneinander vorbei alles. Die Leute sind viel weicher, offener und herzlicher, als es medial behauptet wird.

Erfolg Wenn man anfängt zu schreiben und gleich so viele Leute erreicht wie ich vor 20 Jahren mit Soloalbum, ist das toll. Ich habe dadurch zwar später erst den Überblick und dann den Verstand verloren, aber umso besser – erwarte ich doch vom Leben, dass es stark hoch und runter geht. Sonst hätte man ja nix zu erzählen.

Helden Ich bin hingebungsvoll und gern Fan, weil ich auf Religion verzichte. Ich habe viele Helden, auch aus Wien: Thomas Bernhard, Falco, Josef Hader, Wanda, David Schalko, Yung Hurn. Ihnen zu Ehren wallfahre ich zu den abgeschmacktesten Orten: Bräunerhof, Gesundheitszentrum Wien-Süd, Hietzinger Hauptstraße 109A, Zentralfriedhof und so weiter. An Falcos Grab zu stehen, vor diesem gewiss geschmacklosesten aller Grabsteine, und frei heraus zu rufen "Okay, cool" – das empfinde ich als in hohem Maße sinnstiftend.

Idylle Garten, Stille, Wohnzimmer – der komplette Albtraum. Gewohnt wird nicht, ich habe nicht mal eine Küche. In Romantikhotels, wo Kerzen und Schnittblumen auf dem Frühstückstisch stehen, möchte ich direkt eine terroristische Vereinigung gründen. Ich will Stadt, elektrisches Leben, keine Tiere. Idylle macht mir Angst. Jeder Tatort fängt an mit Idylle.

Koks Ich war oft genug berauscht, ich kann das hochrechnen. Das ist ein bisschen wie bei Obelix, der als Kind in den Zaubertrank gefallen ist und nichts mehr davon trinken muss, um die Römer zu verdreschen. Man muss natürlich dennoch auch weiterhin gegen den Körper arbeiten, das mach ich sehr erfolgreich mit Rauchen.

Lesereisen Ich bin wahnsinnig gern auf Lesereise. War der Auftritt toll, mag man den Ort fortan. Wenn der Auftritt nix war, verdammt man alsdann, sagen wir: Ingolstadt. Lächerlich, macht aber Spaß.

Neurosen Stören im Alltag, helfen aber bei der Kunst. Deshalb gilt es den sogenannten Alltag auch knapp zu halten und möglichst viel Zeit, Freude und Liebe in Kunst umzuwandeln. Das Gleiche gilt für Schmerz. Die Beschädigungen des Menschen sind sein Kapital. Mit Abstand ist genau da künstlerisch was zu holen. Das macht den Beruf nicht zur Problemlösung, aber zur Problemverwertung.

Ösikanzler Ich checke mein eigenes Land schon nicht, was weiß ich dann über eures. Sebastian Kurz ist eine tolle komödiantische Figur. Man denkt, gleich kommt Mami, holt ihn ab, und auf der Heimfahrt sagt er: Alle sind gemein zu mir.

Rechts Ich bin in einer niedersächsischen Kleinstadt aufgewachsen, da gab es schon in den 80ern sehr viele Neonazidemonstrationen. Es ekelt mich bis heute an, wenn Männerchöre "Deutschland" rufen, womöglich gepaart mit dem Schlachtruf "Sieg" – wahnsinnig unangenehm. Wenn ich Spiele der Nationalmannschaft anschaue, mache ich den Ton aus.

Scheinwerfer Als jüngstes von vier Kindern muss man schon Lärm machen, um gehört zu werden, weil es keinen mehr interessiert, was auch der noch zu sagen hat. Ich wollt' immer ins Scheinwerferlicht. Und alle Klischees darüber stimmen.

Tagesplan Ich setze mich frühmorgens an den Schreibtisch. Da ist die Angst, dass man es nicht kann, durch den Schlaf gedämpft. Die Zweifelmaschine ist noch nicht auf vollen Touren. Das Grübeln fängt mittags an, da aber ist es günstigstenfalls zu spät, da man schon geschrieben hat.

Weltbild Ich habe das Leben von Anfang an als Krise begriffen. Es ist ja alles eine Unverschämtheit, direkt, ab der Kindheit. Man geht raus und ist beleidigt. Ich bin in gesunder Opposition zu Freund Mitmensch – und zu mir sowieso.

Zartheit Zärtlichkeit ist was aus Eheratgebern. Wenn es nach zehn Jahren nicht mehr läuft, kommt Zärtlichkeit. Ich finde Zartheit schöner. Das Leben ist anstrengend, rätselhaft. Mit sich und anderen Mitleid zu haben, zart zu sein, ist da die beste Haltung. Verletzlichkeit als Rückseite davon muss in Kauf genommen werden. Denn das ist, was uns zu Menschen macht. (Michael Wurmitzer, 6.12.2018)