Militär bei einem entdeckten Tunnel, der aus dem Libanon nach Israel führte.

Foto: APA / AFP / Mahmoud Zayyat(

Misgav Am, ein Kibbuz im äußersten Norden Israels, ist an ruhigen Tagen ein beliebter Ausflugsort: 842 Meter über dem Mittelmeer, das im Westen durch den Dunst schimmert, im Osten die grünen Golanhöhen: dazwischen, keine 50 Meter von der Aussichtsterrasse entfernt, der Libanon. Die gelben Flaggen der Hisbollah sind weithin sichtbar. Die 330 Bewohner des Kibbuz bauen Wein an, Avocados, Orangen, Pfirsiche. Josef Abas (77) lebt seit 40 Jahren hier: "Eigentlich ist das hier unsere Toskana."

Seit die israelische Armee aber mit der Militäroperation "Schild des Nordens" begonnen hat, ist es in Misgav Am mit der Ruhe vorbei. Die Armee geht seit Dienstag mit schwerem Gerät gegen Tunnel vor, die vom Libanon bis unter israelisches Territorium reichen und nach Angaben der Armee als Durchgang für Hisbollah-Kämpfer dienen sollten, um israelische Zivilisten im Norden anzugreifen und zu entführen.

Spärliche Angaben

Einer dieser Tunnel reicht bis unter ein Feld am Rande der nahegelegenen Ortschaft Metula. 200 Meter lang, zwei Meter breit und hoch soll er sein und 40 Meter weit in israelisches Territorium führen, berichtete Armeesprecher Jonathan Conricus. Man werde zunächst diesen zerstören und sich dann den anderen unterirdischen Anlagen zuwenden. Informationen darüber, wie viele Tunnel es gibt, will die Armee nicht preisgeben.

Dort, wo der Ausstieg aus dem Tunnel geplant war, sind von Misgav Am aus ein halbes Dutzend Bagger und israelische Soldaten zu beobachten. Staub wird aufgewirbelt. Abas steht auf der Terrasse des Cafés, eine Gruppe junger Soldaten hat gerade Rauchpause. Die Truppen im Norden wurden verstärkt – vorsichtshalber. Derzeit rechnen Sicherheitsexperten nicht mit einer unmittelbaren Reaktion vonseiten der Hisbollah oder des Iran.

Angst vor Überfall und Entführung

Am Himmel knattert ein Hubschrauber der Uno, der wie jeden Vormittag die Grenzlinie abfliegt. Abas deutet auf ein unscheinbares Haus mit rotem Türmchen, keine 500 Meter von hier entfernt, auf der anderen Seite der Grenze: Von dort aus soll die Hisbollah den Gang gegraben haben. "Von dort aus wollten sie wohl in unsere Häuser eindringen und unsere Leute entführen", vermutet Abas. So wie 1980, er war gerade einmal drei Jahre in Misgav Am, als fünf Kämpfer der Arab Liberation Front die Grenze überwanden, in den Kibbuz eindrangen und Kleinkinder als Geiseln nahmen, bis die Armee sie überwältigen konnte.

Noch am Dienstagabend warf der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der schiitischen Organisation Hisbollah ein "doppeltes Kriegsverbrechen" vor: "Sie zielen auf Zivilisten, während sie sich hinter Zivilisten verstecken. Das muss laut und deutlich von allen Ländern verurteilt werden, denen Frieden, Freiheit und die menschliche Würde etwas wert sind." Der Iran unterstütze und finanziere den Tunnelbau, so Netanjahu in Anwesenheit von Armeevertretern. Es sei eine grobe Verletzung von Israels Souveränität sowie der UN-Resolution 1701, die nach dem Libanonkrieg 2006 verabschiedet wurde. Demnach darf die Hisbollah nicht in das Gebiet des Südlibanon, von der sogenannten Blauen Linie bis zum Fluss Litani, zurückkehren.

Israel ruft Uno an

Netanjahu bestätigte, dass er erst am Montag mit US-Außenminister Mike Pompeo über neue Sanktionen gegen die Hisbollah gesprochen habe und sich mit weiteren Staats- und Regierungschefs treffen werde. Die israelische Uno-Delegation habe er gebeten, den Sicherheitsrat aufzufordern, eine Dringlichkeitssitzung zur Hisbollah einzuberufen.

Netanjahu trat auch in seiner Rolle als Verteidigungsminister auf: Er hatte das Amt vor gut zwei Wochen übernommen, nachdem Avigdor Lieberman zurückgetreten war. Damals wackelte die Koalition, weil Bildungsminister Naftali Bennett das Amt für sich beanspruchte. Auch damals trat Netanjahu pünktlich zu den Abendnachrichten vor die Kameras und sprach von einer Militäraktion: "Wir befinden uns mitten in einer militärischen Kampagne", so Netanjahu damals. In solch einer Zeit spiele man keine politischen Spielchen. Auf was er sich bezog, wird erst jetzt klar.

Innenpolitisch kommt die Militäraktion Netanjahu gelegen. Erst Anfang der Woche hatte die Polizei Korruptionsanklage gegen ihn empfohlen. Aus der Opposition kamen Rücktrittsforderungen. Diese rücken vorerst in den Hintergrund. Oppositionsführerin Zipi Livni sah am Mittwoch von innenpolitischen Kommentaren ab und sagte: "Als Oppositionsführerin befürworte ich die Militäraktion. Das ist etwas, was getan werden muss." (Florian Niederndorfer aus Misgav Am, Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 6.12.2018)